Der Moment der Stille
von Christian C. Kruse
Erster Teil
Songlines und Walkabouts
Sie holten ihn von der Arbeit ab. Er war gerade dabei, die fertig verpackten Kartons mit einem Gabelstapler zu dem bereitgestellten Container zu fahren, als sein Vorarbeiter ihm signalisierte, anzuhalten. „Da will Dich jemand sprechen.“ Auf seine Frage, um was es sich denn handele, bekam er ein Schulterzucken zur Antwort, aber der Blick des Vorarbeiters sagte ihm, dass er seinen Spind gleich ausräumen könne, wenn es sich um das handelte, wonach es aussah. Sie waren zu zweit, trugen zweckmäßige Kleidung in unauffälligen Farben; einer von ihnen hatte einen Pepitahut auf. Sie fragten, ob er Daniel Mauro sei, und als er dies bestätigte, forderten sie ihn auf, mit ihnen zu kommen. Sein Einwand, dass er sich hier auf der Arbeit befände und nicht einfach weg könne, ließ sie ihre Köpfe hin- und herbewegen, ganz sachte, kaum merklich, und der mit dem Pepitahut schlug die Innenseite seiner Jacke auf, so dass ein Paar Handschellen sichtbar wurde. „Bitte zwingen Sie uns nicht, davon Gebrauch zu machen.“ Daniel verspürte Trockenheit im Mund und ein Kribbeln an den Haaransätzen, drehte sich im Gehen noch einmal um. Ein anderer Arbeiter saß bereits auf dem Gabelstapler und fuhr die Ladung zu dem Container. Auf einem der Parkplätze vor dem Bürogebäude hatten sie das Auto abgestellt. Es war ein mattgrau lackierter Audi 80. Sie ließen ihn auf der Rückbank platz nehmen;der mit dem Pepitahut setzte sich neben ihn. „Wenn Sie möchten, werden wir Sie nachher wieder zurückbringen.“ Vor dem Eingang zu seiner Wohnung warteten zwei weitere Männer. Diese trugen Uniformen. Daniel wurde aufgefordert, ihnen Einlass zu gewähren. Aus den Augenwinkeln bemerkte er seine Vermieterin, die das Geschehen durch den Türspalt der angrenzenden Wohnung beobachtete. Als sie seinen Blick bemerkte, schloss sie schnell die Tür. Gemeinsam mit Daniel betraten die Vier sein Domizil, ein Zimmer mit angrenzender Küche und Bad. Augenblicklich begannen sie mit ihrer Arbeit, zogen die Schubladen des Schreibtisches auf, entnahmen darin befindliche Unterlagen, öffneten Fotoalben, sicherten ihnen wichtig erscheinende Schriftstücke und Bilder in Klarsichtfolien, die sie in mitgeführten Aktenordnern abhefteten. „Halten Sie sich für weiterführende Befragungen bereit“, bekam Daniel von einem der Nichtuniformierten als Anweisung gesagt. Zurück auf der Arbeit sprach ihn der Vorarbeiter an, dass er sich aus dem Büro einen Scheck mit dem ihm noch zustehenden Lohn abholen könne, und nicht vergessen solle, seine persönlichen Sachen mitzunehmen. Daniel tat wie ihm geheißen, dies, ohne dagegen aufzubegehren, in der Gewissheit, dass dies sinnlos gewesen wäre, nahm seinen Rucksack mit der darin befindlichen Thermoskanne und den am Abend zuvor belegten Broten aus dem Spind, ließ den Schlüssel stecken. Draußen setzte sich der Mann aufs Rad, fuhr als erstes zum Geldinstitut, da er befürchtete, dass ihm das Konto gesperrt würde, und löste den Scheck ein. Danach begab er sich in den Stadtpark, setzte sich dort auf eine Bank. Trotz der milden Frühlingsluft verspürte er ein schauerartiges Frösteln;gleichzeitig stand ihm Schweiß auf der Stirn. Daniel packte die Brotdose und die Thermoskanne aus, hielt Mahl, weniger aus Hunger als aus dem Bedürfnis heraus, sich damit ein Stück weit Sicherheit zu verschaffen. Es ist ihm von Anfang an bewusst gewesen, worauf er sich einließ, als er die maschinegetippten, auf Kopierern vervielfältigten Hefte verteilte, sie in Bibliotheken, Supermärkten und anderen öffentlich zugänglichen Orten hinterlegte. Zuvor hatte er in der Kneipe gesessen und Zettel mit Notizen vollgeschrieben. Ab und an kam einer von den Kneipenbesuchern zu ihm an den Tisch, fragte, was er denn da schreibe. „Nichts besonderes“ war seine Antwort, oder „Tagebuchaufzeichnungen“. Er wollte niemanden mit hineinziehen, zum Mitwisser werden lassen, was er vorhatte. Daniel gehörte keiner Gruppierung an, keiner der so genannten radikalen Zellen, weder den Rechten noch den Linken, die beide nach Revolution schrien und Machtwechsel wollten. Dies war nicht sein Ansinnen. Er wollte keine Abschaffung der Machtverhältnisse erreichen, nur um sie dann durch andere ersetzt zu sehen. Daniel waren verschiedentliche Aussagen aufgefallen, an denen er begonnen hatte Zweifel zu hegen. Es waren Aussagen, die die vier Säulen betrafen, auf denen die Existenz der westlichen Welt, des Abendlandes, aufgebaut worden war: die Religion, die Wissenschaft, die Wirtschaft, und die Politik. Dabei ging es nicht etwa um divergierende Meinungen, sondern um Fundamentalismen, die nach den von Daniel gewonnenen Erkenntnissen nicht der Wirklichkeit entsprachen, ihr nicht entsprechen konnten. Jedoch waren sie so fest verankert im Konsens des Sprach-, Schrift- und Denkgebrauchs, dass sie als unumstößliche Gesetzmäßigkeiten galten. Stellte jemand sie infrage, wurden, unter Zuhilfenahme der vorherrschenden Lehrmeinungen, die Zweifler zurechtgewiesen, so dass sie schließlich angaben, es hatte sich um einen blinden Fleck in ihrer Wahrnehmung gehandelt, da sie dem Mehrheitsdruck nicht länger in der Lage waren standhalten zu können. Mitunter veranlasste sie der drohende Verlust ihrer Arbeit oder des sozialen Ansehens, wieder den Weg der Konformität zu gehen. Hin und wieder wurden Gegenmeinungen zugelassen, dies letztlich mit dem Ziel, die fundamentalen Konstrukte in ihrer Wahrhaftigkeit zu stärken. So besteht dieses System seit Jahrhunderten, unterstützt und getragen durch Autoritäten, die diese Aussagen in Vorträgen ständig wiederholen und sie in Büchern oder Feuilletons veröffentlichen lassen, untermauert mit Formeln, Berechnungen und Prognosen. Und für andere kritische Querdenker wurden Verschwörungstheorien erfunden, um sie abzulenken und in die Irre zu führen. Die dafür zuständigen Denkfabriken arbeiten mit den Geheimdiensten der entsprechenden Regierungen zusammen. Anfangs dachte Daniel, dass er einem Irrtum unterlegen war, Opfer eines Denkfehlers geworden wäre. Wenn er jedoch die Sachverhalte überprüfte, lagen die Falschaussagen vor ihm, offenbarten sich wie Webfehler in einem vorgegebenen, immer wiederkehrenden Muster. Daniel tat Brotdose und Thermoskanne zurück in den Rucksack und fuhr zu seiner Wohnung. Dort wurde er bereits von seiner Vermieterin erwartet, einer kleinen, silberhaarigen Frau von siebzig Jahren, die nach dem Tod ihres Mannes den Entschluss gefasst hatte, einen Teil des Hauses zu vermieten. „Ich kann Sie nicht weiter hier bei mir wohnen lassen“, trat sie Daniel im Hausflur entgegen. In ihrem Gesicht konnte er sowohl Angst als auch Verzweiflung lesen. „Es tut mir leid.“ Der soeben Gekündigte nahm die Entscheidung der Frau entgegen, ohne den Versuch eines Einwandes zu erheben. Auch er war dabei, eine Entscheidung zu treffen. So begab er sich zu John, dem Philosophen. Sie lernten sich bei einer Lesung kennen, die John im hiesigen Buchladen gehalten hatte. Dort hörte er die Geschichte von der Erdgöttin Gaia, die aus dem Chaos entstand, dem weiten, leeren Raum, der erfüllt war mit dem gestaltlosen Äther. In diesem Chaos herrschte Finsternis und ihr Gott Erebos, zusammen mit seiner Schwester, der Göttin Nyx, die Nacht. Erebos und Nyx zeugten Hemera, den Tag, was der Anbeginn der Ordnung des Kosmos war. Für das weltliche Gleichgewicht sollte Uranos, der Gott in Himmelsgestalt sorgen, den Gaia mit Hilfe ihres Bruders Eros im Schlaf hervorbrachte. Gaia zeugte mit Uranos die Titaninnen und Titanen, sechs Töchter und sechs Söhne, unter ihnen Kronos und Rhea. Da Uranos seine ersten Kinder, die Gaia gebar, die Kyklopen und Hekatoncheiren, als Konkurrenten seiner Macht sah, verbannte er sie zu Gaias Bruder Tartaros, dem Wächter des tiefsten Teils der Unterwelt. So zog Gaia die Titaninnen und Titanen im Verborgenen auf, und wies Kronos, ihren jüngsten Sohn, an, Uranos zu entmannen. Als nun Uranos ebenfalls den Weg zu Tartaros antreten musste, verfluchte er Kronos und weissagte ihm, dass es ihm einst mit seinen Kindern genauso ergehen werde. Aus der Verbindung Kronos und Rhea gingen Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon hervor. Aus der Befürchtung heraus, dass sich die Weissagung seines Vaters Uranos bewahrheiten würde, verschlang Kronos die Fünf. Um ihren Jüngstgeborenen, dem Rhea den Namen Zeus, gesprochen dze-us, gegeben hatte, vor diesem Schicksal zu bewahren, gab sie an dessen Statt Kronos einen in eine Decke gewickelten Felsbrocken. Kronos entdeckte die Täuschung nicht und verschlang auch diesen. Rhea brachte Zeus zu einer Berghöhle der Insel Kreta, wo er von Nymphen großgezogen wurde. Zeus wuchs rasch heran, und fasste den Entschluss, gegen seinen Vater Kronos vorzugehen. Hierzu suchte er Metis, die Göttin der Klugheit, auf, und fragte diese um Rat. Metis mischte einen Trunk, dem sie Kronos zu trinken gab, worauf dieser die Geschwister des Zeus erbrach. Zeus fesselte seinen von dem Trank berauschten Vater und brachte ihn auf die Insel der Seligen, dem Elysium. Zeus wurde zum mächtigsten der zwölf olympischen Gottheiten gewählt, woraufhin er die Welt in drei Reiche einteilte: den Himmel, den er selbst beherrschte, das Meer, über dem sein Bruder Poseidon regierte, und die Unterwelt, die Hades, dem Erstgeborenen von Kronos und Rhea, zugesprochen wurde. „Laut der Erzählung der Orphiker soll Kronos noch immer in den Elysischen Gefilden weilen, dort, wo das Goldene Zeitalter besteht, die Phase der Menschheit vor dem Beginn der Zivilisation“, schloss John Engelbert Boner seinen Vortrag. Kurz nachdem Daniel den Klingelknopf gedrückt hatte, wurde der Türöffner betätigt. Er betrat das Treppenhaus, stieg die Stufen hinauf. John und seine Frau begrüßten ihn auf das herzlichste und hießen ihn im Wohnraum platz nehmen, boten ihm zu trinken an, was er dankend ablehnte. Während Daniel berichtete, was ihm widerfahren war, hörte John aufmerksam zu. Seine Mimik drückte Besorgtheit aus, hatte er doch ähnliche Erfahrungen gemacht als junger Mann, damals, als er vor dem Krieg und den Schergen der Nazis geflohen war. In einem Sommerhaus bei Freunden konnte er sich verstecken, nahe der Österreichischen Grenze. „Die finsteren Mächte lauern im Verborgenen und sind dabei, neu zu erstarken.“ Daniel stimmte John mit einem Seufzen zu. „Und was gedenken Sie zu tun?“ wurde er von John gefragt. „Ich werde wohl das Land verlassen wollen, weiß aber noch nicht genau, wie.“ „Bleiben Sie doch zum Abendbrot“, lud Frau Boner ihn ein. „Vielleicht wird Ihnen dabei eine Idee kommen.“ Daniel nahm die Einladung dankend an. Johns Frau bereitete einen Salat mit Schafskäse und Oliven, dazu wurde geröstetes Fladenbrot gereicht, und es gab Retsina zu trinken. Während sie aßen, erzählte John, dass er nach dem Ende des Krieges in Österreich blieb und dort 1946 in Linz dem Förster und Naturforscher Victor Schauberger begegnete. Mit seinen Ausführungen über Energiegewinnung aus der Kraft von Wirbeln fand dieser bei dem interessierten Boner offene Ohren. „Nichts klang esoterisch bei ihm“, stellte John klar. „Alles war fundiertes Wissen aus Naturbeobachtungen.“ Seine Forschungen an dem ‚Repulsator‘, der mit einem neuartigen Bewegungsprinzip, der Implosion, funktionieren sollte, weckte die Begehrlichkeiten der Kriegsherren. Unter Aufsicht der Gestapo sollte Schauberger alternative Antriebstechniken für Fluggeräte, die beim Luftkampf eingesetzt würden, entwickeln, dies erst im Konzentrationslager Mauthausen, später im Außenlager Schönbrunn. „Bei einem Probedurchgang erhob sich so ein Ding, krachte durch das Dach des Hangars, und das war`s dann“, zitierte John Victor Schauberger. Aber was es nun gewesen ist, vergaß John damals nachzufragen. Ingeborg und John lernten sich 1951 kennen, 1954 heirateten sie, und zogen 1978 in die Kleine Stadt, fanden dort diese Wohnung, mit einem wunderschönen Blick hinab auf die Wiesen und den Fluß. Nach dem Essen saßen die drei noch beieinander und lauschten den Klängen von Antonin Dvoraks Symphonie ‚Aus der Neuen Welt‘. Da es schon spät geworden war, wurde Daniel die Couch als Schlafplatz angeboten. Ingeborg gab ihm eine Zudecke, dann zog das Ehepaar sich zurück. In der Nacht zeigte ein Traum ihm den Weg zu dem Land, das sein Ziel sein würde. Der erste Weg führte Daniel erneut zu dem Geldinstitut, wo er die restlichen D-Mark von seinem Konto abhob. Daraufhin erstand er im Bahnhof der Kleinen Stadt ein Interrailticket, packte einen Reiserucksack, und passierte einige Stunden später die Niederländische Grenze. Im Zug von Amsterdam nach Paris fiel die Beklemmung, die auf Daniel Mauro gelastet hatte, zu einem großen Teil von dem Reisenden ab. Er atmete tief durch, ließ seine Gedanken schweifen. Der Begriff Heimat hatte für den Mann keine Bedeutung. Auch konnte er sich nicht mit der Geschichte des Landes, in dem er geboren war, identifizieren, ebenso wenig mit der Religion und den Gesetzen. All dies hatte er in seinen Schriften, die er ‚der Anfang‘ nannte, zum Ausdruck gebracht. Durch sie, so war seine Hoffnung, könne er bei Denjenigen, die sie lasen, eine Veränderung der Sichtweise erreichen. Und die wiederum würden ihre neu gewonnenen Erkenntnisse weitertragen, zu Freunden, auf die Arbeit, in die Kneipe, bis sich daheraus eine so große und starke Gemeinschaft bildete, der dieses System nicht mehr standhalten konnte und schließlich einer neuen Gesellschaftsform weichen musste. Wie diese neue Gesellschaft aussehen würde, vermochte Daniel nicht vorauszusehen, und so gab er weder irgendwelche Lehr- oder Glaubenssätze noch eine Anleitung zum Handeln in seinem Anfang mit. Was er jedoch voraussetzte, war kritisches Denken, dies gegenüber Autoritäten, die nur aufgrund von Machtausübung bestand hatten, respektive über Gesetzesgebung funktionierten. Daniel wollte, dass der Einzelne aus Eigenverantwortung handelte, aus seiner Erkenntnis heraus. Das Einzige, was er mit seinen Bestrebungen nun erreicht hatte, war dieser Entschluss, sich zurückzulassen und einen Neubeginn zu wagen. Immerhin etwas, sagte er sich. In Paris fuhr er mit der Metro vom Gare du Nord zum Gare du Austerlitz, und stieg dort in einen Zug zum Grenzbahnhof Port Bou. Von Amsterdam nach Paris begleitete ihn die Musik der Doors und L.A. woman, the Specials ihr erstes Album, und von the Clash Combat Rock. Von Paris nach Port Bou hörte er Neil Youngs Harvest, das dritte Album von Led Zeppelin, und Star Wars von John Williams. Die meiste Zeit jedoch hatte er die Kopfhörer des Walkman abgenommen und unterhielt sich mit den anderen Reisenden im Abteil. In Port Bou gab es einen längeren Aufenthalt. Daniel nutzte die Zeit, und besah sich die nähere Umgebung, erinnerte sich daran gelesen zu haben, dass der Schriftsteller Walter Benjamin, auf der Flucht vor den Deutschen Faschisten, hier, aus Angst vor einer Auslieferung und erneuten Internierung, sich mit einer Überdosis Morphiumtabletten das Leben nahm. Auf der Fahrt nach Algeciras lachte und sang er mit einer spanischen Familie, die mit ihm Essen und Rotwein teilte. Als er müde wurde, legte er sich in die Gepäckablage des Abteils, hörte beim Einschlafen das dritte Album von Camper van Beethoven und Pink Floyds obscured by clouds. In Algeciras setzte er mit der Fähre nach Tanger über. Auf dem Schiff kam er mit einem Punkpärchen ins Gespräch, die den Himmel über der Wüste sehen wollten. In Tanger angelandet, nahm sich Daniel ein Zimmer in einem einfachen Hotel, freute sich nach der langen Strecke des durchgehenden Reisens über eine Dusche, und legte sich, nur mit Unterwäsche bekleidet, auf das Bett, schöpfte neue Kraft. Als nächstes begab sich Daniel zu einer Bank, tauschte die D-Mark gegen Dirham, erwarb in einem Geschäft neue Batterien für den Walkman und erkundigte sich nach einer Busverbindung zu dem Ort Chaouen, bekam die Auskunft, dass am Vormittag des nächsten Tages ein Bus dorthin fahren würde. Nach dem Abendessen saß Daniel noch draußen vor dem Hotel und trank Pfefferminztee, als ein Mann an seinen Tisch kam, gekleidet in eine weiße Hose und ein langärmeliges weißes Hemd, sowie einen Torquillahut auf dem Kopf tragend, und lud ihn ein, zu ihm nach hause mitzukommen. „In my house we can smoke without fire“ raunte der Mann mit tonloser Stimme; sein Blick war auf etwas für Andere nicht Sichtbares gerichtet. Als Daniel das Angebot ablehnte, entschwand der Mann, sich dabei um die eigene Achse drehend, als müsse er sich neu orientieren. Schnell brach die Dunkelheit herein. Am darauffolgenden Tag wurde sein Rucksack zusammen mit dem Gepäck der anderen Reisenden auf das Dach des Busses verfrachtet. Während der Fahrt in das gut einhundert Kilometer entfernte Chaouen lag eine Musikkassette mit Gustav Holsts Die Planeten ein. Auf der anderen Seite befand sich der Soundtrack von dem Film Crossroads. Schon bald waren jene zwei Gipfel des Rifgebirges zu sehen, die der Stadt den Namen gaben: „die Hörner“. Am Busbahnhof warteten bereits Taxis. Daniel stieg in eines, auf dessen Rückbank bereits drei vollverschleierte Frauen saßen, und ließ sich zum zentralen Platz des Ortes fahren. Dort fand er ein Hotel mit freien Zimmern und Frühstück, überlegte, gleich zu einer Wanderung in die Berge aufzubrechen, entschied sich stattdessen für einen Spaziergang durch die verwinkelten Gassen mit ihren in unterschiedlichen Blautönen gestrichenen Häusern. Hin und wieder wurde er von Händlern angesprochen, die ihm Kif anboten, entweder als getrocknete Blüten oder in Form von Paste. Daniel signalisierte ihnen, dass er kein Interesse daran hegte. In einem kleinen Restaurant bestellte er sich eine Tajine und dazu ein Glas Fruchtsaft. Gesättigt kehrte er zum Hotel zurück. Als Daniel zu der Bergtour aufbrach, bedeckten lichte Wolken den Himmel. Er schritt den Pfad entlang, der ihn an abschüssigen Hängen und steil aufragenden Felswänden entlangführte. Die Vegetation war karg; mitunter blieb er stehen und betrachtete eine Blume, die sich durch den Sandboden ihren Weg gebahnt hatte. Mittlerweile stand die Sonne an ihrem höchsten Punkt. Daran konnte der Wanderer abschätzen, wie lange er bereits unterwegs war. Er hatte weder Verpflegung noch Wasser dabei, verspürte auch keinen Hunger oder Durst. Aber es kamen Zweifel in ihm auf, ob er hier richtig war. Hatte er sich vielleicht verirrt? Würde er überhaupt finden, wonach er suchte? Daniel ließ seinen Blick schweifen über die scheinbar endlos bis zum Horizont reichende Gebirgslandschaft. Die weiße Sonnenscheibe schien in den Anhäufungen aus Wolkenfeldern zu zerfließen. Unsicherheit und Furcht durchdrangen den Suchenden. Dass er wieder in sein Herkunftsland zurückkehren würde, ohne dass sich dort etwas verändert hätte. Er vernahm den Ruf eines Muezzin; der vermochte es, ihm etwas Zuversicht zu spenden. Gleich darauf bemerkte Daniel eine in einen gestreiften Kapuzenmantel gewandete Gestalt, die auf dem Pfad entlangging. Er freute sich, einen weiteren Suchenden zu erblicken. Dieser schritt langsam dahin, bedächtig seine mit Sandalen bekleideten Füße aufsetzend. Schon hatte Daniel ihn eingeholt, grüßte, woraufhin der andere Wanderer sich umwandte. „Da bist Du ja. Hattest Du eine gute Reise?“ Der Gefragte bejahte dies. Der Mann sah ihn mit einem durchdringenden Blick an. Sein Vollbart schien verwoben mit dem Stoff der Kapuze, die Gesichtshaut war von der Sonne gegerbt. „Ich bin Hassan i Sabah.“ Dies wollte Daniel nicht recht glauben, fragte, ob er tatsächlich dem sagenhaften Alten vom Berge begegnet sei. Darüber zeigte der Mann sich amüsiert, wiederfragte, ob Daniel etwa den Legenden über die haschischrauchenden Assassinen Glauben geschenkt habe. „Dies bekamen die damaligen Kreuzfahrer durch die strenggläubigen Muslimen erzählt, um sie gegen uns einzuvernehmen.“ „Weshalb taten sie das?“ Der Alte ließ sich auf einem Felsvorsprung nieder. „Sie hassten uns. Für sie waren wir Abtrünnige. Unser Glauben wich von den Predigten ihrer Schriftgelehrten ab. Jedoch hat es uns schon in den Anfangszeiten gegeben. Einige waren Weggefährten Mohammeds…“ Als der Muezzin sein Gebet beendete, glich die wiedereinkehrende Stille einem Vakuum. „Worin besteht euer Glaube?“ „Wir bezeichnen es als das ‚wahdat al-wudschùt‘, wohl am ehesten zu übersetzen als ‚Die Einheit des Seins‘. Wir glauben nicht an Gott als ein übergeordnetes Wesen, sondern an Gott als eine verborgene Kraft, zu der wir durch Meditation in Verbindung treten können, und die durch uns sich materialisiert. Einer unserer Scheichs wagte einmal bei der Befragung durch einen schiitischen Rat zu sagen „ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin die Erkenntnis.“ Daraufhin wurde ihm der Kopf abgeschlagen.“ „Warum bin ich hier?“ wollte Daniel von Hassan i Sabah nun wissen. „Ein weiterer unserer Lehrsätze ist, dass die Wahrheit in allen Glaubensrichtungen zu finden ist. Der Ursprung von Religion ist der Wunsch des Menschen, sich zu erklären, woher er kommt, und was um ihn herum geschieht…“ Ein Tier umschwirrte den auf dem über einem darunterliegenden Tal ragenden Felsen sitzenden Mann. Ob es ein Vogel oder ein Insekt war, konnte Daniel nicht erkennen, aber er meinte zu sehen, dass sich Hassan mit dem Geschöpf unterhielt, sich ihm zuwandte, lachte und gestikulierte. Als das Tier weggeflogen war, setzte er seine Ausführungen fort. „Wenn Menschen ihre Verbindung zur Natur verlieren, verlieren sie auch die Verbindung zu Gott. Ihr Geist und ihr Handeln wird vom Materiellen beherrscht. Diese Menschen sind unfähig zu lieben. Sie benutzen andere Menschen, um ihre geschlechtlichen Triebe zu befriedigen, wollen sie besitzen, so wie sie Land und Güter besitzen wollen. Aus Angst, dass andere Menschen ihnen dies wegnehmen wollen, mauern sie sich ein. Fremde betrachten sie als Feinde, die ihr zivilisiertes, sesshaft gewordenes Leben zerstören wollen. Jedoch zerfällt diese selbsternannte Zivilisation von innen heraus, aus ebendiesen Gründen.“ Dunkelheit umgab Daniel. Er sah hinauf zum Firmament und meinte, die Plejaden zu erkennen. Als er wieder zu dem Felsen schaute, war der Mann nicht mehr da. Über das von Hassan i Sabah Gesagte empfand Daniel eine Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Als Daniel am darauffolgenden Tag nach Tanger fuhr, um sich dort nach einer Bleibe umzusehen, sah er vor einem Hotel das Punkpärchen von der Fähre sitzen. Mit verklärtem Lächeln gingen ihre Blicke ins Leere. Sie hatten ihren Himmel gefunden.
„Träume nicht, arbeite!“
Die junge Frau hat Schmerzen. Als penetrantes Ziehen in ihrem Rücken, anfangend in der Gegend der Nieren, kriecht es über die Wirbel hinauf zum Genick, und frisst sich dort weiter als zermürbendes Stechen in ihren Kopf, in ihr Gehirn, in ihr Denken… Die Packung mit dem Medikament aus der Apotheke liegt griffbereit in der Schublade des Schreibtischs. Ein Schluck aus der Dose mit dem Energydrink befördert die Tablette in ihr Inneres und lässt sie den Schmerz für eine halbe Stunde vergessen. Ihr Blick konzentriert sich wieder auf den Bildschirm des Rechners. Dort sieht sie einen weiteren Antrag, den es zu bearbeiten gilt. Die den Antrag stellende Person hat eine Geschäftsnummer zugewiesen bekommen. Damit wird jeder Antrag zu einem Fall, über den nach Aktenlage zu entscheiden ist. Es sind an die zwanzig Anträge pro Tag, die bei der Frau eintreffen, manchmal auch mehr. Die Frau hat einen Arbeitstag von acht Stunden, von denen eine halbe Stunde Mittagspause abgerechnet wird. Es wären somit 22,5 Minuten, die ihr zur Bearbeitung eines Antrages zur Verfügung ständen. Jedoch beansprucht das Lesen von E-Mails, das Führen von Telefonaten und die Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten im Durchschnitt eine Stunde, also Zeit für zweizweidrittel Anträge weniger. Und ebensolche unbearbeiteten Anträge stapeln sich im Eingangskorb der Frau und verursachen ihr diese Schmerzen. Denn die Frau vergisst nicht, dass die Geschäftsnummern Menschen sind. Menschen, die nach der Grenzöffnung hierhergekommen sind, weil sie meinten, hier die Insel der Glückseligkeit vorzufinden, wo sich das Glücksrad ständig und für jeden dreht, und Wünsche sofort in Erfüllung gehen, so wie es die Werbesendungen im Westfernsehen versprochen haben. Dafür verließen viele ihre Wohnungen, das nötigste Hab und Gut auf das Dach des Trabi geladen. In Berlin und Leipzig standen ganze Wohnblocks leer, die nach und nach zu Treffpunkten für Künstlerszenen und Technoraves wurden. Die Bürouhr zeigt die Zeit für die Mittagspause an. Die Sachbearbeiterin isst einen Müsliriegel, trinkt dazu aus der Energydrinkdose, dabei weiterhin die Angaben auf dem Formblatt durchlesend. Würde sie ihre halbe Stunde Pause wahrnehmen, weiß sie, dass weitere eineinviertel Anträge unbearbeitet liegenblieben. Das hieße eine Nichterfüllung der Sollvorgaben für ihre Dienststelle, was zu einer Rüge ihres Vorgesetzten führt, der wiederum den Druck von seinem Vorgesetzten weitergibt. Auch muss die Frau seit einer Stunde auf die Toilette, und irgendwann würde sie zumindest diesem Bedürfnis nachgeben müssen. Es wird an die Bürotür geklopft. Ohne eine Aufforderung abzuwarten kommt ein Mann herein, grüßt die Sachbearbeiterin mit einem gewinnenden Lächeln. Diese grüßt zurück, fragt, womit sie helfen kann, dies, obwohl jetzt gar keine Geschäftszeit bei ihrer Dienststelle vorgesehen ist, doch das freundliche Auftreten von dem Herrn lässt sie für den Moment ihre Vorschriften vergessen, ebenso die Anträge, den Stress, und auch ihre drückende Blase. „Ich bin neu hinzugezogen und möchte mich anmelden.“ Mit einem aufrichtigen Bedauern schüttelt die Frau ihren Kopf. „Da sind Sie hier verkehrt. Da müssen Sie zu Zimmer 234.“ Die Bezeichnung Zimmer für die Diensträume konnte nichts an den Eindrücken verbessern, die Stahlschränke, Stahlschreibtische und ebensolchen Regale, vollgestellt mit Aktenordnern, hinterließen. Auch die in der Ecke stehende Glücksfeder und der Wandkalender mit Landschaftsbildern – für den laufenden Monat ist eine Aufnahme von der Ägäis zu sehen: blaues Meer, Segelboote, eine felsige Bucht mit einer Zunge Sandstrand – halfen nicht, den Zweck der Einrichtung zu verbergen: die Verwaltung von Menschen, die in dieser Stadt leben, gelebt haben oder zu leben beabsichtigen. „Wieso, das ist doch hier…“ Der Mann wirft einen Blick zurück auf das Plastikschild links neben der Tür. „Oh. 243. Mein Fehler. Wo muss ich denn da…“ „Den Flur links entlang“, hilft ihm die Frau bei seiner Orientierung. „Vielen Dank. Ihnen noch einen angenehmen Tagesverlauf.“ Der Mann zieht die Tür wieder zu und geht den Flur entlang. Seine Schritte werden gedämpft durch einen dort ausgelegten graubraunen Filzteppichboden. Entlang des Flures stehen oder sitzen vereinzelt Menschen, die darauf warten, aufgerufen zu werden. Manche von ihnen scheinen bereits sehr lange dort zu warten. Da sieht er die Tür mit dem gesuchten Nummernschild. Wieder klopft er an, wartet diesmal, bis eine Stimme ihn dazu auffordert, einzutreten. Der Raum ist mit dem gleichen zweckmäßigen Mobiliar ausgestattet. Hinter dem Schreibtisch dort sitzt ein Sachbearbeiter, der ihn mit durch Brillengläser verstärktem Blick mustert. Er trägt einen Pullunder, der eine ähnliche Farbe hat wie der Schreibtisch, der Schrank, die Regale und der Teppichboden. Seine Gesichtshaut erscheint ebenfalls grau im Licht der Leuchtstoffröhre. Wortlos wartet er ab, was der Eingetretene von ihm will. Nachdem dieser sein Anliegen genannt hat, beginnt er, die Tastatur des Computers zu bedienen, und, ebenso mechanisch, die Daten abzufragen. „Name?“ „George Oremora“. „Bitte buchstabieren Sie.“ „G-E-O-R-G-E-O-R-E-M-O-R-A.“ „Geburtsdatum?“ „Einundzwanzigster Oktober Neunzehnhundertneunundfünfzig.“ „Geburtsort?“ „Hamburg“. „Sie haben Ihr Abmeldeformular dabei?“ „Ja, habe ich.“ George holt ein zusammengefaltetes Blatt aus der Innentasche seines Jacketts, überreicht es dem Beamten. Der nimmt das Blatt entgegen, faltet es auseinander, überprüft die dort zu findenden Angaben auf ihre Richtigkeit. In dem Augenblick beginnt das Telefon zu klingeln. Der Mann hinter dem Schreibtisch unterbricht seine Tätigkeit nicht, reicht das Formular an George zurück, wartet bis das Klingeln aufhört. „Ihre jetzige Adresse?“ George nennt sie ihm. Auch diese Daten werden erfasst, das neue Formular wird ausgedruckt, gestempelt und unterschrieben. „So, bitte.“ George nimmt das Papier entgegen, bedankt sich, wünscht auch hier einen angenehmen Tag. Wieder draußen auf dem Gang faltet er die Anmeldebestätigung zusammen und steckt sie weg, muss sich kurz orientieren, um dann den richtigen Weg zum Treppenhaus einzuschlagen. Er sieht eine Frau, die einen kleinen Jungen in den Armen hält. Sie trägt ein Kopftuch, einen zerschlissenen Mantel und einen langen, bis zu den klobigen Stiefeln reichenden Rock aus grobem Stoff. Neben ihr steht ein Mann gegen die Wand gelehnt, in seinen Händen einen schwarzen Hut haltend. Auch sein Anzug ist schwarz und abgetragen. Die Frau und der Mann erwecken den Eindruck, als kämen sie nicht nur aus einem anderen Land, sondern auch aus einer anderen Zeit. Endlich wieder draußen, atmet George erst einmal tief ein und aus. All diese Begegnungen dort in dem Gebäude sind mit starken Emotionen verbunden gewesen. Bei der Frau im ersten Raum hat er ihren Schmerz wahrgenommen. Sowohl ihren physischen als auch den seelischen, der auf ihr lastet, verursacht durch all die Schicksale, mit denen sie tagtäglich konfrontiert wird. Bei der Frau und dem Mann im Gang spürte er Trauer und Resignation. Aber auch Liebe, die sie füreinander empfanden. Als unangenehm hat George empfunden, was in Raum 234 geherrscht hat: da ist etwas Kaltes, Sezierendes gewesen, was jedoch nicht von dem Mann alleine ausgesendet wurde. George kam es vor, als wäre der Sachbearbeiter Bestandteil von etwas geworden, das ihn vereinnahmt hatte. Aber das war nichts Organisches, nichts Lebendiges. George hat keine Gefühle wahrnehmen können. Stattdessen meinte er, dass etwas in ihn einzudringen versuchte, um sich seiner zu bemächtigen. Hin und wieder hat George so etwas zu spüren bekommen, in der U-Bahn, auf der Arbeitsstelle, oder auch beim einkaufen. Aber dort ist es besonders stark aufgetreten. In einer anderen Zeit hätte so eine Begebenheit den Mann dazu veranlasst, sich mit Alkohol zu stabilisieren, seine fibrigglühenden Nerven zu beruhigen, dies entweder an einem Kneipentresen oder mit Ware aus dem Supermarkt. George schließt sein Rad auf und fährt zu der neubezogenen Wohnung. Als erstes greift er zum Telefon und tastet eine Nummer ein, spricht eine Nachricht auf den daraufhin eingeschalteten Anrufbeantworter. George ist froh darüber, dass er dieser Frau begegnet ist. Manche nennen es Vorherbestimmung, doch daran mag der Mann nicht glauben. An Schicksalsfügung ja. Die Wege zweier menschlichen Wesen kreuzen sich. Häufig geschieht dies, ohne dass sie einander bewusst wahrnehmen. Mitunter führen sie eine kurze Unterhaltung. Oder sie schließen ein Geschäft ab. Haben Sex miteinander. Und manchmal tötet das eine Wesen das andere. Aber all dies passiert nicht aus einer Bestimmung heraus. Die Entscheidung über ihr Handeln liegt bei den Menschen. George war in die Kneipe gegangen mit dem Plan, dort Bier zu trinken. Und weil er auf dem Schild gelesen hatte, dass dort Guinness ausgeschenkt wird. Und Georgina? George sitzt an dem blauen Tisch und überlegt. Er weiß es nicht. Sie hat es ihm nie erzählt, warum sie an diesem Abend in die Kneipe gekommen waren. Georgina und ihre Schwester. So hatte sie die Frau in ihrer Begleitung genannt. Der Mann bewegt leise lächelnd den Kopf hin und her. Hatten die Beiden bereits an der Bar gesessen, als er hereinkam? Oder betraten sie nach ihm die Kneipe? Er weiß noch, dass er an einem Tisch platz genommen hatte. Und aus den Lautsprechern war Musik zu hören. Aber er kann sich nicht mehr daran erinnern, was für welche es gewesen ist… Es ist Zeit geworden, dass George sich zur Arbeit begibt. Auch dorthin fährt er mit dem Fahrrad. George besitzt kein Auto, hat auch nie eine Fahrerlaubnis dafür erworben. Eine knappe halbe Stunde, nachdem er von seiner Wohnung losgefahren ist, stellt er das Rad vor dem Fabrikgebäude ab und betritt die Produktionshalle. Es ist sein zweiter Arbeitstag dort; er wurde zur Spätschicht eingeteilt. George Oremora hat schon einiges an Arbeit hinter sich gebracht. Im Lager hat er gearbeitet, hat Metallfässer mit Hammer und Meißel aufschlagen müssen, ist Gabelstapler gefahren, war auf Montage. Alles nur befristet, mitunter lediglich ein paar Wochen, dann treibt es ihn weiter, zu einem anderen Ort, in eine andere Stadt, mit anderen Kneipen und Menschen. Und nun ist er hier, greift heiße Brotbackformen vom Fließband, stapelt sie zu Türmen. Schwere Maloche, wie immer, die ihn den Lärm in seinem Inneren vergessen helfen soll;das Leid, die Angst, den Hass, die Stimmen all dieser Menschen, die dort wohnen in den Städten. Ihre Emotionen, die sie voreinander und oft auch vor sich selbst zu verbergen versuchen; George nimmt sie wahr. Er kann sie spüren, wie elektrisch geladene Teilchen, die in seinen Körper dringen. Und je näher Menschen ihm kommen, um so intensiver wird dieser Beschuss von den Teilchen. Wenn George dies nicht mehr aushalten kann, muss er fliehen, fort von diesen Menschen und ihren Gefühlen, die auf ihn eindringen. Zwar hat er nach und nach gelernt, diese Flut von Emotionen einzuordnen, sich bewusst gemacht, dass sie von außen kommen, genau wie die Stimmen, das ständige Flüstern, Raunen, Stöhnen in seinem Kopf. Es waren menschliche Gefühle. Nicht wie das, was er dort in der Behörde in Raum 234 zu spüren bekommen hat. Er weiß nicht, was es gewesen ist. Er kann es nicht benennen. „Ich habe an dem Abend Deine Gedanken aufgefangen.“ George kann es erst kaum glauben, was die Frau zu ihm sagt. Sie sitzt ihm in seiner Wohnung gegenüber, hat sich als Georgina Darling vorgestellt. Er hat Tee zubereitet, und nach und nach hat sein innerer Sturm sich gelegt. Ganz ruhig ist es auf einmal geworden, bis auf so ein kleines Wispern. „Manchmal kann ich auch die Träume anderer Menschen sehen.“ Nein, dies könne er nicht, sprach George. „Ich kann mich nicht mal an meine Träume erinnern.“ Ein Anruf von dem Arbeitskollegen reißt George aus seinen Gedanken. „Mensch, träum da nicht, arbeite!“ Vor ihm haben sich bereits mehrere der Backformen für Toastbrote angesammelt. Schnell sammelt er sie ab, spürt das heiße Blech durch den dünnen Stoff der Arbeitshandschuhe, und den Schweiß seinen Rücken hinabrinnen. Der menschliche Roboter knirscht mit den Zähnen, innerlich über die Entscheidung fluchend, hier Arbeit angenommen zu haben. Zumindest zwei der Gründe für diese Selbstkasteiung, der Lärm im Kopf und das Vibrieren der Nerven, haben seit dem Gespräch mit der Frau nachgelassen. Und der dritte Grund ist ein profaner: George bekommt dafür Geld, und mit dem Lohn schafft er es, sein Leben zu bestreiten, Miete zu zahlen, Essen zu kaufen, und sich Abende in Kneipen leisten zu können, wo er sich betrank, um den Leidensweg, als den er sein Leben betrachtet, ertragen zu können. Nach zwei Stunden erfolgt der Wechsel zu einem anderen Fließband. Dort sind die Backformen nicht mehr so heiß, dafür aber schwerer. Und George trifft für sich die Entscheidung, dass er dort nicht lange bleiben wird.
Close Encounters
Es sieht so aus, dass dort, wo er sich befindet, Nacht ist. Wenn er den Blick hebt, sieht er Sterne funkeln. Die Umgebung ist für ihn klar erkennbar. Es ist eine steppenartige Landschaft, vielleicht auch eine Wüste. Vor ihm taucht ein felsenartiges Gebilde auf. Es ist ein Berg, von dem ein rötlicher Glanz ausgeht, als würde er von innen heraus leuchten. Oder der Schein geht von den Sternen aus, die ihn anstrahlen. Und im selben Moment steht er auf diesem Berg, dessen Oberfläche sich wie ein Plateau um ihn herum ausbreitet. Die Sterne sind jetzt ganz nah. Er weiß, dass es sich um die Plejaden handelt, streckt seine Hände nach ihnen aus, als könne er sie berühren. Ihm gegenüber steht ein Mann. Er trägt einen weißen Bart, Gesicht und Körper sind mit den Symbolen der Wüstenbewohner bemalt. Der Mann bewegt den Speer in seiner rechten Hand zu ihm hin, sagt „jetzt bist Du hier“, und der so Angesprochene entschuldigt sich für seine Anwesenheit, weil er weiß, dass dies ein heiliger Ort ist. „Du bist hier, weil die Große Kraft es so gewollt hat“, erwidert der Wüstenmensch, „und deshalb ist es Dir erlaubt hier zu sein, in unserer Welt.“ „Ist es ein Traum?“ will der Mann wissen. „Ihr nennt es Traum, für uns ist es eine andere Ebene.“ „Warum bin ich hier?“ „Du bekommst eine Botschaft mit für Deine Menschen. Sie lautet, dass ihr aufhören müsst zu versuchen, die Zeit zu besiegen.“ „Die Zeit zu besiegen?“ „Ja. Haltet die Uhren an! Begebt euch in den Moment der Stille. Nur so kann verhindert werden, dass die Große Kraft stirbt und mit ihr der Planet Erde und alles Leben auf ihm.“ „Ich verstehe. Aber wie komme ich wieder zurück?“ Der Wüstenbewohner deutet mit dem Speer zum Nachthimmel. „Sieh hinauf zu den Sternen! Dann schließe die Augen, und Du wirst wieder auf Deiner Ebene sein…“ Er erwacht. Tageslicht dringt durch die zugezogenen Vorhänge des Schlafzimmerfensters. Ein Blick auf die Uhr gibt ihm Zeit genug. Auf dem Nachttisch neben der Uhr liegt Tabak mit Blättchen. Feuerzeug und Aschenbecher befinden sich auch auf dem Tischchen. Soll er duschen? Quatsch. Hat er doch gestern erst. Ein bisschen Wasser ins Gesicht und reichlich Deo unter die Arme, wie in der Werbung. Naja, fast. Im Kühlschrank steht lediglich ein Nussjoghurt. Der Sinn steht ihm nach Tiefkühlpizza, oder Ravioli. Und Chips. Das Bier ist auch alle. Genau wie das Geld. Und deswegen muss er jetzt los. Um sich welches zu besorgen. Er fährt von der Köllnischen Heide drei Stationen mit der S-Bahn, nimmt den Bus weiter, der ihn so gut wie direkt zu seinem Ziel bringt. „Name?“ „Kellner.“ „Vorname?“ „Rafael.“ „Geburtsdatum?“ „Fünfzehnter Februar.“ Die Frau hinter dem Schreibtisch schaut ihn an. „Neunzehnhundertsiebenundfünfzig.“ „Wohnhaft?“ Er verkneift sich einen Witz darüber, antwortet „Sonnenallee 293.“ Die Sachbearbeiterin vergleicht die Daten. „Haben Sie sich in letzter Zeit irgendwo beworben?“ „Ja. Ja klar, habe ich.“ Rafael breitet seine Arme aus. „Aber da ist nischt zu machen. Nirgendwo hat jemand Arbeit für mich.“ Die Frau hält ihm einen Scheck entgegen. „Den können Sie bei einem Geldinstitut bar einlösen.“ „Danke. Haben Sie noch einen schönen Tag.“ Eine Dreiviertelstunde später sitzt der Mann mit dem ersten geöffneten Bier des Tages auf einer Bank und sieht einer Gruppe von Jungs zu, die abwechselnd einen Basketball in einen Korb versuchen zu befördern. Aus dem Ghettoblaster schallt Musik, eine rüde Mischung aus Rap und Hardrock. ‚Das, was Euch Eure Führer als Sozialismus vorsetzen, ist das strikte Gegenteil von Sozialismus, ist erneute Knechtschaft, Ausbeutung, Terror usw., nur durch andere Personen ausgeführt. Schon in euren Zentralgewerkschaften habt ihr kein Selbstbestimmungsrecht, hier ist die Führerdiktatur vorherrschend.‘ Das hatte Rafael irgendwo gelesen, und es gab seine Ansicht über so genannten Volksvertreter wieder, die, so kommt es ihm vor, lediglich Theater aufführen und dafür reichlich Diäten bekommen – von den ganzen anderen Zuwendungen mal jetzt gar nicht reden, die sie sonst noch einstreichen, für Vorträge und Beratertätigkeit bei irgendwelchen Konzernen. Er jedenfalls braucht diese Knallchargen nicht! Seine Mutter hatte ihn dahin erzogen, selbstständig Entscheidungen zu treffen und kritisch zu denken. Dies jedoch kam in der Schule nicht immer gut an, wenn er mit Lehrern anfing, über ihren Lehrstoff zu diskutieren, im Geschichtsunterricht beispielsweise, wo ein Persilnazi seine Vergangenheit schönreden wollte mit Sätzen wie „dem Hitler haben wir die Autobahnen zu verdanken“ und anderes Gebügel, selbstverständlich immer im Rahmen des Sagbaren bleibend, auch wenn es den Frontalpädagogen schon gereizt hatte, mal ordentlich loszulegen. Das kitzelte dann der vierzehnjährige Rafael bei ihm heraus, als er die Frage stellte, was denn mit den sechs Millionen Juden passiert sei. „Geschichte wird von Siegern geschrieben“, bekam er als Antwort zu hören, und dann, nachgeschoben: „Du kannst davon ausgehen, dass diese Zahl durch die Alliierten gefälscht worden ist.“ In der Pause begab der Junge sich zum Rektor und erstattete Meldung über den Vorfall, in dem festen Glauben, dort Unterstützung zu finden. Doch der Schulleiter, kurz vor der Pensionierung stehend, spielte die Begebenheit herunter, meinte, dass der „Herr Lehrer es bestimmt nicht so gemeint“ habe, und dass er immer schön brav dem Unterricht folgen solle. Die 5 im Fach Geschichte war es dann, die eine Versetzung in die nächste Klasse verhinderte, und auch die tröstenden Worte seiner alleinerziehenden Mutter, er habe absolut richtig gehandelt, konnte die daraus gewonnene Gewissheit nicht rückgängig machen, dass er in einem System aus Lügen und Korruption würde aufwachsen. Die drei Jungs haben ihr Spiel unterbrochen, scheinen etwas zu beratschlagen, und dann kommt einer von ihnen zu ihm hinübergelatscht. Er trägt eine blaue Sporthose und ein rotes ärmelloses Shirt, auf das in gelben Ziffern eine 23 gedruckt worden ist. „Wie sieht`s aus, Digga? Willst was kaufen?“ „Bitte?“ Es dauert eine Weile, bis bei dem Angesprochenen der Groschen fällt. „Ach so! Nee, danke. Ich hab alles, was ich brauche.“ Er hält kurz die Bierflasche hoch. „Und die würd ich gern noch in Ruhe austrinken, wenns euch nicht stört…“ Die Worte, höflich aber bestimmt an den Shirtträger gerichtet, kommen klar an, und mit einem „ja Mann, alles klar, Mann“ will er sich wieder seinen Sportkollegen zuwenden. „Was ich noch wissen wollte…“ Rafael deutet zu dem Ghettoblaster. „Der Name der Band würde mich interessieren.“ „Das sind Bodycount, zusammen mit Ice-T.“ „Coole Musik, gefällt mir.“ Während der Sänger sich über eine ‚KKK-Bitch‘ auslässt, landet der nächste Ball im Netz. Wieder zuhause betätigt Rafael den Knopf der Fernbedienung, zappt durch, bis er auf eine Doku beim SFB stößt. Auf dem Bildschirm ist der Ayers Rock zu sehen, ein wolkenloser Himmel rahmt den rostroten Fels ein. Rafael hat sich auf dem Sofa niedergelassen und sein zweites Bier aufgemacht. Eine Stimme erzählt von Urulu, dem heiligen Ort der dort lebenden Ureinwohner, und dass seit einigen Jahren… Rafael starrt auf das Felsgebilde, erinnert sich mit einem Mal an den Traum letzte Nacht oder auch in den frühen Morgenstunden, kurz bevor er aufgewacht ist, und kommt sich vor wie der Protagonist in ‚unheimliche Begegnung der 3. Art‘, der im Fernsehen den Devils Tower sieht und plötzlich weiß, warum er zwanghaft aus Rasierschaum, Kartoffelbrei und auch Gartenerde etwas formen wollte, von dem er nicht weiß, was und warum. Das Bild wechselt, und ein Aborigine erzählt von Songlines und Walkabouts, während eine Stimme aus dem off übersetzt. Da wird der Bildschirm dunkel, schemenhaft spiegelt sich Rafael darin, die Fernbedienung in der Hand haltend. Das Bier hat er auf dem Wohnzimmertisch abgestellt. Was hatte der Aborigine zu ihm gesagt? Er solle aufhören, anderen die Zeit zu stehlen? Nein. Die Uhren. Die Menschen müssten die Uhren anhalten, weil sonst...jemand sterben würde? Rafael schüttelt seinen Kopf. Was hatte der Mann in dem Traum noch gesagt? Keine Erinnerung. Rafael Kellner muss lachen. Unglaublich. Und dann findet er diese Doku! Zufälle gibts. Er drückt das TV-Gerät wieder an, nimmt einen Schluck aus der Flasche, schaltet weiter, bleibt bei einer Talkshow hängen, und hat kurze Zeit später die ganze Begebenheit vergessen.
Eat the rich
Die Frau schiebt mit einer Spülbürste die Essenreste von dem Teller, und befördert Kartoffeln, Gemüse, aber auch nicht aufgegessene Rinder- und Fischfilets in den dafür vorgesehenen Schweineeimer. Und, hat`s geschmeckt? Ja, aber sicher. Ist ja auch nicht billig, was die Köche da aus erlesenen Zutaten herrichten. Und warum fressen es die Leute dann nicht auf, was sie bezahlt haben, fragt sich die Frau, wäscht die letzten Teller und das Besteck mit der Hand ab, öffnet den fertigen Geschirrspüler und beginnt, ihn auszuräumen. Eben sind die letzten Gäste gegangen. Der Chef schließt die Tür hinter ihnen und macht sich an die Abrechnung. Er und die Frau sind jetzt alleine. Gleich hat sie Feierabend und wird nach hause fahren. Aber vorher… „Noch nen kleinen Absacker?“ „Klar, Dete, gerne.“ Die Küchenkraft streift die Gummihandschuhe ab und setzt sich auf einen der Barhocker. „Und was darfs sein?“ „Was trinkst Du?“ „Ich denke, heute Abend einen Grappa.“ „Gut. Für mich auch einen.“ Dete nimmt zwei passende Gläser aus dem Regal und schenkt ein. „Worauf trinken wir?“ „Vielleicht auf...weiterhin guten Umsatz?“ Dete stimmt lächelnd zu, „auf den Umsatz“, und nippt an seinem Grappa, während die Frau den Schnaps in eins wegzieht. „Noch einen?“ Sie nickt und hält ihm das Glas entgegen, bekommt es erneut vollgefüllt. „Auf Dich, Chef.“ „Auf Dich, Gee.“ Diesmal nippen beide. „Ja, der Laden läuft gut.“ „War nicht immer so, oder?“ Dete bewegt verneinend seinen Kopf. „Als ich das Ganze hier vor zwei Jahren übernommen habe, war er total heruntergewirtschaftet. Hab ich halt ein wenig das Konzept verändert…“ Die Frau nimmt einen weiteren Schluck vom Grappa. „Was mich ankotzt, ist, dass so viel von dem Essen zurückgeht.“ Der Restaurantinhaber nickt, trinkt sein Glas leer, schenkt auch sich noch ein zweites Mal nach. „Bert scheint`s egal zu sein, aber Ernie, der kriegt voll die Wut, wenn er das sieht.“ „Bert und Ernie?“ „Ja. Die beiden Köche. Ich finde, die sehen aus wie Ernie und Bert aus der Sesamstraße.“ Darüber muss Dete lachen, und dann kommt er auf einmal ins Sinnieren. „Einige der Gäste sind halt mit nem goldenen Löffel im Mund geboren. Die brauchten nie arbeiten, können quasi dabei zuschauen, wie sich ihr Geld vermehrt.“ „Sie lassen also ihr Geld arbeiten, wie es so schön heißt.“ Dete verneint. „Geld arbeitet nicht. Das ist eine der Lügen des kapitalistischen Systems. Menschen arbeiten. Menschen schaffen Werte.“ „Oder sie zerstören aus Profitgier die Umwelt“, entgegnet die Frau, und Dete pflichtet ihr bei. Er nimmt die leergetrunkenen Gläser und stellt sie gesäubert ins Regal zurück. „So, Feierabend. Mein Schatz wartet schon zuhause auf mich.“ Die beiden Menschen verlassen das Restaurant, Dete steigt in sein Auto, die Frau in die Straßenbahn zum Hauptbahnhof. Auf dem Bahnhofsvorplatz wird sie von einer jungen Frau um eine Mark angeschnorrt. Sie holt ihre Brieftasche raus, überlegt kurz, um dann dem Mädchen einen Fünf-Markschein entgegenzuhalten. Das Mädchen ergreift das Geld und wendet sich dem nächsten Passanten zu. Die Frau schaut ihr nach, wird durch die Begegnung an sich selbst erinnert, wie sie, im Winter 1981, vor dem Berliner Hauptbahnhof Leute um Geld anbettelte. Da war sie fünfzehn gewesen. Ihre Mutter hatte sich drei Monate zuvor im Keller ihres Einfamilienhauses erhängt; der Vater suchte Trost im Alkohol und bei ihr. Irgendwann nahm sie nach der Schule im Nachbarort den Bus nicht mehr zurück, kaufte sich von dem aus der Geldbörse ihres Vaters entnommenen Geld eine Zugfahrkarte, im Rucksack einen Schlafanzug, Wäsche zum wechseln, sowie das Pausenbrot und den Marsupilami, den ihr die Mutter zum Geburtstag geschenkt hatte. Am dritten Tag machte sie Bekanntschaft mit Zotty, einer ein paar Jahre älteren Punkfrau, die in einem besetzten Haus in Kreuzberg wohnte, und sie unter ihre Fittiche nahm. In einem Zimmer dort konnte sie sich einquartieren, lernte nach und nach die anderen Bewohnerinnen und Bewohner kennen, unter ihnen eine Eva, die über ein Einkommen verfügte und damit zum großen Teil die Kommune versorgte. Eines Abends drangen laute Stimmen aus dem für Versammlungen genutzten Raum. Als sie mehr besorgt als neugierig die Tür öffnete, stritt Eva dort mit zwei Männern, die das Mädchen nicht kannte. Auf dem Tisch lagen gebündelte Geldscheine und Waffen unterschiedlicher Bauart. Sie wollte, eine Entschuldigung murmelnd, die Tür wieder schließen, da wurde sie von Eva hereingerufen, die sagte, dass sie den Grund für das Streitgespräch darstellte. An diesem Abend erfuhr sie, dass in dem Haus eine Zelle agierte, die sich zum Ziel gemacht hatte, das imperialistisch-faschistische System zu bekämpfen, und von Eva der Vorschlag gekommen war, das Mädchen in diese Aktivitäten mit einzubeziehen. Die zwei Männer sprachen sich anfangs dagegen aus, aber das Mädchen konnte sie überzeugen, sagte, ihr Vater sei ein Nazibulle, der sich an ihr vergangen habe, und sie bereit dazu sei, es dem Schweinesystem heimzuzahlen. So wurde ihr als erstes ein Pass besorgt, der sie drei Jahre älter machte und ihr eine neue Identität verlieh: Georgina Darling. Ihre Aufgabe wurde es, Orte auszukundschaften, an denen Anschläge verübt werden sollten. Zudem zeigte sie Geschick beim Zusammensetzen von Zeitzündern, und sie reinigte und lud Waffen. Eines Tages war Eva verschwunden. Man sagte Georgina, sie sei an einen anderen Ort zu einer anderen Gruppe versetzt worden. Als das Mädchen hörte, dass im Zuge des Widerstandskampfes auch Attentate auf Menschen aus Politik und Wirtschaft verübt werden sollten, schnappte sie sich die in einem Versteck gelagerte Glock und 150 Mark aus der Gemeinschaftskasse und nahm den Transitzug bis zum Grenzübergang Helmstedt. Sie suchte sich in Braunschweig ein günstiges Hotelzimmer, und als nach drei Tagen das Geld aufgebraucht war, betrat sie kurz vor der Schließung eine Sparkassenfiliale und forderte von dem zu dieser Zeit dort alleine diensttuenden Angestellten mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe des Geldes. Der Mann, zugleich auch Filialleiter des Geldinstitutes, hätte den Knopf für den stillen Alarm drücken können, der ihn mit der Polizeistation verband, sah aber dieses Geschöpf dort stehen mit dem um das Gesicht gewickelten Schal und in der zitternden Hand die Pistole, sagte „Mädchen, mach Dich doch nicht unglücklich“. Im selben Augenblick brach die so Angesprochene in Tränen aus. Der Bankangestellte kam hinter dem Schalter hervor, schaute zur Uhr und schloss die Tür ab. Der gut zwanzig Jahre ältere Filialleiter, der den Vornamen Werner trug, besorgte der Ausreißerin eine Wohnung, konnte sie dazu überreden, ihren Realschulabschluss nachzumachen, und sah in ihr die Tochter, die er sich in der bis zu diesem Zeitpunkt fünfzehn Jahre bestehenden kinderlosen Ehe so sehr gewünscht hatte. Für das Mädchen war Werner jedoch nicht der Ersatzvater, und das gab sie ihm bei einem seiner Besuche in ihrer Wohnung unzweideutig zu verstehen. Neun Monate darauf gebar Georgina einen Jungen, ein Jahr später folgte ein Mädchen. Werner hielt dieses Doppelleben noch eineinhalb Jahre aufrecht, um endlich die schon seit langem als zerrüttet anzusehende Ehe zu beenden, und mit seiner Familie in ein kleines Eigenheim am Rande von Hannover zu ziehen. Werner konnte mit seiner Betätigung als Vermögensberater ihnen ein sorgenfreies Leben gewährleisten, während seine Partnerin ihre Rolle als Hausfrau und Mutter anstands- und klaglos ausfüllte. Lediglich zu einer Eheschließung war Georgina nicht bereit. Die Jahre gingen dahin, und irgendwann begann sich in der Frau eine innere Unruhe auszubreiten. Oft saß sie nur da und lauschte, nach irgendetwas, das ihr sagen konnte, wie es weitergehen solle. Werner fiel nichts auf, störte sich nicht an den immer öfter sich türmenden Bergen ungewaschener Wäsche, oder dass statt selbst gekocht ein Lieferservice angerufen wurde. Das Leben lief weiter, bis zu jenem Abend, an dem sie ihm sagte, dass sie sich fühle wie in einem Gefängnis, ihr die Luft zum atmen fehle, und dass sie weitermüsse, auch wenn sie noch nicht wüsste, wohin. Werner akzeptierte ihre Entscheidung, denn er wusste, dass es zwecklos sein würde, zu versuchen, Georgina zum weiteren Bleiben zu überreden. Am darauffolgenden Tag war sie fortgegangen, und weder Werner noch die Kinder sollten je erfahren, was aus ihr geworden ist. Georgina schließt die Tür zu ihrem Studio auf, findet eine Nachricht von George auf dem Anrufbeantworter. Wenn sie Lust auf ihn habe, würde er sich über einen Besuch von ihr freuen, sagt die Stimme. Seine Schicht geht bis fünf. Wenn sie möchte, könne er für sie beide etwas kochen. Bis nachher. Die Frau duscht sich den Arbeitsschweiß und -geruch vom Körper, zieht ihr Nachthemd an, liest noch etwas in einem Buch, und alsbald fallen ihr die Augen zu. So löscht Georgina das Licht, und kurz darauf ist sie eingeschlafen. Im Traum sieht sie einen ihr unbekannten Mann. Er sagt, dass er ihre Träume aufschreiben will und dass er sie in der Echtzeit treffen müsse. Am nächsten Morgen fasst Georgina einen Entschluss, da sie weiß, wo sie den Mann finden kann.
Tötet den Affen
Die Geräusche vorbeifahrender Autos und LKW dringen durch das geschlossene Fenster und bilden zusammen mit dem Anschlagen von Tastatur und dem damit verbundenen Treffen des Kugelkopfes auf die Walze und das dort eingespannte Papier eine orchestrale Verbindung. Die Schreibmaschine steht auf einem Küchentisch. Der Tisch sowie die andere Kücheneinrichtung sind Bestandteil der Mietwohnung. Das Wohnzimmer ist eingerichtet mit seinem eigenen Mobiliar: ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch, den er jedoch nicht mehr nutzt, ein Regal sowie ein niedriger roter Tisch, der mehr der Dekoration dient oder um vielleicht etwas darauf abzustellen. Es gibt noch einen weiteren Raum, das Schlafzimmer, in dem außer seinem Bett noch ein Einkaufswagen mit einem darin befindlichen Fernseher steht. Vor etwa sechs Jahren ist der Mann hierher gezogen, als ihm die Wohnung gekündigt worden ist. Außer ihm leben in dem Haus noch ein Ehepaar in der Wohnung gegenüber, eine junge Frau und ein Mann in den Wohnungen im Erdgeschoss. Von dem Flur seines Stockwerks führt eine schmale Holztreppe zu einer fünften Wohnung, die jedoch leersteht. Ab und an begegnet man sich im Treppenhaus, grüßt, wechselt einige Worte, sonst nichts. Seit dem Nachmittag sitzt der Mann dort und schreibt seine Geschichte. Er hat eine neue Identität angenommen; für das Schreiben nutzt er ein Pseudonym. Er lauscht. Zum Abend hin hat das Verkehrsaufkommen nachgelassen. Nur noch ab und an rauschen PKW vorbei. Jetzt ist vermehrt das Brummen von Lastern zu hören. Er hat seinen Schreibprozess unterbrochen, um einen Schluck aus der neben der Schreibmaschine stehenden Bierdose zu nehmen. Zum Wochenende will der Mann seine Geschichte fertig geschrieben haben, um sie bei einem Literaturfestival in Berlin vorzulesen. Er hat eine Einladung bekommen, wie alle Autorinnen und Autoren, deren Texte in einer im letzten Jahr herausgebrachten Anthologie abgedruckt worden waren. Noch hat er sich nicht entschieden, wie die Geschichte enden wird. Ob die Protagonisten in den Untergrund gehen, oder ob sie verhaftet werden. Oder sich vielleicht einer von ihnen das Leben nimmt, weil die Übermacht des Systems für ihn unerträglich geworden ist. Am Samstag Mittag steigt er in einen Zug, und erreicht nach mehrmaligem Umsteigen den Berliner Hauptbahnhof. Von dort bringt ihn ein Taxifahrer zielsicher zu dem Veranstaltungsort. An dem Tresen steht biertrinkend eine Handvoll Leute; einer von ihnen ist der Herausgeber der Anthologie und Mitorganisator des Festivals. „Khalil Samiri! Schön, dass Du gekommen bist“ wird der Mann von ihm begrüßt, der ihn darüber informiert, wann er mit seiner Lesung an der Reihe sei. Daraufhin sucht sich Khalil einen Platz, trinkt Bier und harrt der Dinge. Nach und nach füllt sich der Club mit Publikum, das sich an die wenigen Tische vor der kleinen Bühne, und als diese belegt sind, auf den Boden setzt. Aus dem ganzen Land sind Schreibende angereist. Sie veröffentlichen in Magazinen mit Auflagenhöhen von vielleicht mal hundert Exemplaren. Die Vorlagen werden zuhause ausgedruckt, im Copyshop vervielfältigt und anschließend ausgelegt, verteilt oder mit der Post verschickt. Worüber ihre Texte handeln? Von verzweifelten, gescheiterten Menschen. Von Abtrünnigen, von Träumern. Als letzter setzt sich Khalil an den auf der Bühne befindlichen Tisch, liest die in der Nacht zuvor fertig gestellte Kurzgeschichte sowie noch einige seiner Gedichte, bekommt Applaus dafür, bedankt sich, und tut seine Texte zurück in den mitgeführten Rucksack. Im Publikumsraum begegnet er Georgina und George. Sie sprechen ihn an, sagen, seine Kurzgeschichte habe ihnen gut gefallen, und dann sagt Georgina, sie habe in einem Traum Signale von ihm empfangen. Khalil nickt, ja, sein Doppelgänger könne im Traum dies tun. „Gibt es noch Andere?“ fragt Georgina. „Ich bin mir nicht sicher. Manchmal vernehme ich noch eine andere Energie, die versucht, Kontakt mit mir aufzunehmen. Aber… ich kann sie noch nicht erkennen…“ „George und ich bauen ebenfalls erst seit Kurzem unsere Traumkontakte auf.“ „Habt ihr für heute Nacht einen Schlafplatz?“ George antwortet, sie haben sich ein Hotelzimmer in der Nähe genommen, was sofort von Georgina korrigiert wird in „zwei Hotelzimmer.“ „Was haltet ihr davon, die Adressen auszutauschen?“ Als Georgina ihren Wohnort nennt, zeigt Khalil sich überrascht, sagt, dass er in dem Nachbarort wohne. „Na, dann ruf uns doch an“, schlägt Georgina vor, was von Khalil positiv erwidert wird. Also geben die drei sich ihre Telefonnummern auf aus Khalils Schreibblock herausgerissene Zettel notiert, und verabschieden sich daraufhin. Georgina und George landen noch in einer in der Nachbarschaft des Clubs befindlichen Cocktailbar, um sich dort „die Sterne wegzuschießen“, aber das sei nur nebenbei erwähnt. Khalil unterdessen bekommt seine Übernachtungsmöglichkeit bei einem der Organisatoren angeboten, wo ein Großteil der Angereisten untergekommen ist. Bei Bier und Zigaretten wird noch bis spät in die Nacht beisammen gesessen, und auch hier werden Adressen ausgetauscht und damit der Grundstein gelegt für eine daheraus hervorgehende Literaturbewegung, dem social Beat.
Youth against facism
Durch das Laubdach der Bäume schimmert zaghaft das Licht der Spätnachmittagssonne. Es ist ein heißer Tag, doch dort ist es angenehm; die Eichen und Buchen bieten etwas Schutz vor der Strahleneinwirkung. An eines der drei Denkmäler, die an die Gefallenen der beiden Weltkriege erinnern, hat jemand das Friedenszeichen gesprüht. Entlang der Wege stehen Bänke, die gestiftet worden sind von Geschäftsleuten und anderen Persönlichkeiten der Kleinen Stadt. Ihre Namen sind eingraviert in die an den Bänken befestigten Messingschilder. Das Geräusch eines nahenden Traktors ist zu hören, verstummt, und kurz darauf taucht zwischen den Rhododendren ein hochgewachsener Kerl in Zimmermannskluft auf. Begleitet wird er von einem vielleicht fünfzehn- sechzehnjährigen Mädchen mit kirschrot gefärbten Haaren. „Hey, Mikesch“ wird der Neuankömmling von einem der auf der Rasenfläche Sitzenden begrüßt. „Hi Leute, ich bin Swan Lee“, stellt sich das Mädchen vor, „der Treckernomade hat mich mitgenommen.“ „Willst n Bier?“ wird sie von dem gefragt, der Mikesch begrüßt hat. „Ich glaube, dafür ist sie noch ein bisschen zu jung“, weist ihn eine jungen Frau zurecht, und an Swan Lee gewandt: „Ich heiße Sonja.“ „Ist schon okee, ich hab selber was mit.“ Das Mädchen holt eine Glasflasche aus dem Rucksack, öffnet den Drehverschluss und nimmt einen Schluck von dem Getränk, das der Farbe nach Orangensaft sein könnte. Der Treckernomade hat sich unterdessen eine Bierdose aus der bereitgestellten Palette geangelt, die Lasche aufgezogen, und prostet dem Spender zu. „Kann ich auch noch eins haben?“ wird dieser gefragt, woraufhin er mit den Worten „noch ist was da“ eine Dose an einen Typen überreicht, auf dessen T-Shirt der Schriftzug „schieß mich heute tot“ zu lesen ist. Der bedankt sich und wendet sich wieder dem Backgammonspiel zu, das er sich mit einem anderen Typen leistet, der ein Shirt mit dem Satz „morgen ist eh alles zu spät“ trägt. Swan Lee betrachtet die junge Frau neben sich. Sie trägt ein in blau und orange gebatiktes Hemd mit weiten Ärmeln, an dessen Enden Rüschen angenäht worden sind. Das eine Bein ihrer Cordjeans ist auberginefarben, das andere in grün gefärbt. Die Haare hat sie abgeschnitten und die Kopfhaut rasiert. „Bist Du etwa das Glatzengirl?“ traut sich Swan Lee sie zu fragen, was von Sonja mit einem Schulterzucken bestätigt wird. „Oh man, ist das cool.“ Glatzengirl zeigt sich etwas irritiert über die Reaktion des Mädchens, fragt nach, was sie denn bitte so cool findet. „Na, wie...dass Du den Fascho auf der Demo verkloppt hast!“ Sonja verdreht die Augen. „Also erstens habe ich den Fascho nicht verkloppt, zweitens war das nicht auf der Demo, sondern danach, und drittens…“ „...ist Gewalt keine Lösung“, kommt da aus der Richtung des Spielbretts, „...war es Notwehr. Der Scheißkerl ist mich angegangen.“ „Und...was hast Du gemacht?“ Swan Lee hängt an den Lippen der vielleicht sieben Jahre älteren Frau. Diese deutet mit ihrem Kinn auf die auf dem Rasen abgestellten Fallschirmspringerstiefel. „Damit habe ich ihm einen Tritt zwischen die Beine versetzt.“ „Cool.“ „Naja, wie gesagt, es war Notwehr. Die Typen hatten mir nach der Demo in einer Seitenstraße aufgelauert. Ich war gerade auf dem Weg in die Kneipe…“ „Wie...das waren Mehrere?“ „Vier oder fünf, genau weiß ich es nicht mehr. Jedenfalls hatte der eine ein Messer in der Hand und drohte mir ‚jetzt mach ich Dich fertig‘. Und da habe ich halt zugetreten, reflexartig, gewissermaßen. Weglaufen hätte nichts gebracht.“ „Und was passierte dann?“ „Ach mensch, ich glaube nicht, dass Sonja…“ mischt da sich Mikesch ein, doch das Glatzengirl wehrt ab: „Nein, ist schon in Ordnung!“ Die Frau spürt, dass es ihr gut tut, über dieses einige Wochen zurückliegende Ereignis zu sprechen, hier, jetzt, mit diesem Mädchen, welches sie hier gerade zum ersten Mal sieht. „Die anderen standen da, sahen zu, wie ihr Anführer oder was auch immer stöhnend zusammensackte. Auch ich stand da, wie festgeleimt, aber in meinen Beinen zuckte es. Jetzt wäre es vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, abzuhauen. Und auf einmal tauchte eine Gruppe von der Demo auf, auch gerade auf dem Weg zur Kneipe. Das bekamen die Faschos mit und machten sich daraufhin aus dem Staub….“ Sonja überlegt, wie es weiterging. „Der da auf dem Asphalt gekniet hat, rappelte sich hoch, bekam noch einen Arschtritt. Zwei wollten dem Haufen noch hinterher, wurden aber von den anderen überredet, nun doch lieber in der Kneipe noch ein, zwei Bier zu trinken, bis ihr Zug fährt.“ Die Sonne ist verschwunden, lange wird es nicht mehr dauern, bis die Dämmerung einsetzt. Schieß-mich-heute-tot und Morgen-ist-eh-alles-zu-spät haben ihr Spiel beendet. „Sehn wir uns nachher noch in der Kneipe?“ fragt Glatzengirl in die Runde, bekommt eine positive Rückmeldung lediglich von dem Bierverteiler. So steigt sie in ihre Stiefel und macht sich auf den Weg.
come and get your Love
Die Kugel prallt neben dem anvisierten Loch gegen die Bande und rollt auf dem grünen Filzbelag zurück. Der Spieler stellt das hintere Ende des Queues auf dem Boden ab, greift mit der freien Hand nach seinem Hefeweizenglas und nimmt einen ausgiebigen Schluck. Unterdessen will der Gegenspieler eine seiner Kugeln einlochen, was ihm ebenfalls misslingt. Einige der an den Tischen Sitzenden haben Markstücke unter die Bande gelegt, um damit das Billard für ein Spiel zu reservieren. Jedoch macht es gerade den Anschein, als müssten sie sich gedulden. Don Pedro, der Wirt, hat ein Mixtape eingelegt, das ihm der Bierverteiler aus dem Stadtpark übergeben hat. Gleich darauf widmet er seine Aufmerksamkeit wieder den beiden Stammkunden, die am Tresen ihr Bier trinken, schenkt ihnen und sich selbst einen Whisky Hausmarke ein. ‚Ooga chaka, ooga ooga ooga chaka‘ beginnt es aus den Lautsprechern zu tönen, gerade als einer der Spieler eine weitere Kugel versenken kann. „I can`t stop this Feeling, deep inside of me. Girl, you just don`t realise, what you do to me…“ kann Don Pedro mitsingen, und wird prompt neunzehn Jahre zurückgebeamt, als er und eine Handvoll Späthippies hier in der Kleinen Stadt die Revolution geprobt haben, mit leerstehende Häuser besetzen und LSD einwerfen. „Hooked on a feeling“ fällt einem der beiden Männer vor der Theke zumindest der Titel des Liedes ein. Am Billardtisch wird der nächste Treffer erzielt, und somit bleiben für den ersten Spieler noch zwei Kugeln über, was ihm einen Vorsprung von einer Kugel gibt. Er visiert die 9 an, beugt sich vor und versetzt der Spielkugel einen Effetstoß. Zack! Die 9 verschwindet im linken mittleren Loch. Jetzt wird es eng für Spieler zwei. Spieler eins kreidet den Queue, trinkt noch einen Schluck, um sich dann eine Strategie für das Einlochen seiner letzten Kugel, der 11, zu überlegen. Der Macher des Tapes hat sich wieder zu Glatzengirl an den Tisch gesetzt. „Was ist das jetzt?“ wird er von ihr gefragt. „Das sind Redbone. Eine Rockband aus den USA, dessen Musiker alle Natives waren.“ „Waren. Die gibt es also nicht mehr?“ „Nee, glaub ich zumindest, nicht mehr. Das Stück ist jetzt aus den Siebzigern.“ Ein Typ, vielleicht Anfang zwanzig, betritt den Schankraum. Er trägt einen blauen Overall und ein Barett mit Leopardenfellmuster. In seiner an der rechten Seite herabhängenden Messenger-Bag führt er verschiedene Farbspraydosen mit. Der Typ bestellt sich beim Wirt einen KiBa und setzt sich damit alleine an einen Tisch. „Bin gleich wieder bei Dir.“ Der Tapemixer nickt verständig und widmet seine Aufmerksamkeit dem Geschehen am Billardtisch. Dort hat Spieler eins soeben die rote Kugel versägt. „Hi, Alex! Was treibt Dich hierher?“ Der Angesprochene gibt Glatzengirl einen kurzen Looker. „Ich werd gleich noch was taggen.“ „Hab ich mir wohl so gedacht.“ Sonja betrachtet den ihr gegenübersitzenden Jungen. Der hat seinen Blick wieder gesenkt, fingert an dem Glas herum, ohne jedoch daraus zu trinken. Die Frau spürt, dass ihn etwas beschäftigt, also fragt sie nach. „Da ist etwas im Gange. Etwas Großes, weißt Du? Ich kann Strömungen wahrnehmen…“ Lachend deutet er mit seinem Kinn zu der Musikanlage. „Da! Die Musik! Spirit in the Sky. Das ist es…“ Sonja kennt das Lied zwar, kann Alex jedoch nicht folgen. Dieser schaut sie jetzt direkt an. „In meinem Traum...da war eine Gestalt, in einem...einem Behälter. Die sendet Gedanken aus, also die Gestalt. Sie will Kontakt zu Anderen herstellen…“ Vom Billardtisch ertönt Jubeln und Beifall. Ein Mann und eine Frau haben begonnen, nach der Musik zu tanzen. „Und dann ist da noch etwas anderes…“ Der junge Mann starrt wieder auf das Holz des Tisches, und das Glatzengirl wartet, auf das, was da kommen wird. „In einem anderen Traum habe ich Wesen gesehen, die dabei sind, diese Welt zu verlassen. Sie bauen… sie errichten eine andere Welt.“ „Wesen?“ fragt Sonja nach, und Alex lacht wieder, als wäre er sich im klaren darüber, dass sowieso niemand versteht, was er da von sich gibt. „Nun ja, es sind schon Menschen, aber…“ Die junge Frau unterbricht ihn mit einem Handzeichen, der Musik lauschend, weiß sie, was es ist, und überrascht darüber sagt sie „das ist David Bowie und Moonage Daydream.“ Alex schaut ihr in die Augen, und Tränen der Erleichterung darüber, dass dort jemand sitzt, der verstanden hat, rinnen seine Wangen hinab. „Ja. Es sind die Zeichen, überall um uns herum. Wir müssen sie lediglich erkennen…“
Being in Dreaming 1
Georgina, George und Khalil sitzen im Wohnzimmer von Khalils Wohnung. Sie haben, Sitzkissen als Unterlagen nutzend, auf dem Teppichboden platzgenommen. Es ist früher Abend, draußen ist es bereits dunkel. Die einzige Lichtquelle im Raum ist eine Kerze. Die drei haben eine Zeitlang darüber debattiert, wie ihre Traumwelt aussehen könne. Nun halten sie ihre Augen geschlossen und versuchen, sich in einer von ihnen erdachten Welten zu begegnen. Georgina sieht einen Wald. Dicht an dicht stehen die Bäume, durch die Wipfel flirrt Sonnenlicht. Sie vernimmt den Ruf eines Vogels, vielleicht ist es ein Eichelhäher. Georgina will George und Khalil finden, ruft ihre Namen. Sie geht einen Weg zwischen den Bäumen verlaufend entlang. Dabei schaut sie auf ihre Füße. Ihre Füße sind nackt. Da weiß Georgina, dass sie sich in einem Traum befindet. Sie öffnet die Tür zu einem Raum, der so aussieht wie der in Khalils Wohnung. Überall verteilt stehen entzündete Kerzen. Auf dem Bett sitzt Khalil, lacht sie an. „Schön, dass Du in meinen Traum gefunden hast! Hast Du Lust, Dich auszuziehen?“ Georgina überrascht diese Frage, ist aber Khalil deswegen nicht böse. „Weißt Du, wo George ist?“ „Er wird in seiner Traumwelt sein. Wir können ja versuchen, ihn zu finden.“ „Dann komm.“ Georgina hält ihm ihre rechte Hand hin. Khalil erhebt sich von dem Bett; er trägt einen Poncho und ist ebenfalls barfuß. „Ich bin auf jeden Fall gespannt“, hört Khalil sich sagen. Es ist, als würde er seine Stimme im Kopf spüren, genau wie die Stimme von Georgina. „Ja, ich auch.“ Und da sieht Khalil, wie die Frau sich in ein Vogeltier, er meint eine Taube zu erkennen, verwandelt und in den Flur hinausfliegt. Von dort aus gelangt Khalil in den Traum von George. Es ist eine Reparaturwerkstatt. George steht dort, in einen Blaumann gekleidet, und lacht ihm entgegen, so wie er in seinem Traum Georgina angelacht hat. „Was ist das denn hier?“ „Eine Reparaturwerkstatt für Motorräder. Manchmal habe ich es mir in der Realwelt vorgestellt, so eine Schrauberwerkstatt zu haben, aber mir fehlte das Geschick dazu. Hier kann ich es…“ Khalil schaut sich um, zeigt sich beeindruckt. „Hätte ich jetzt gar keinen Bezug zu, aber: beeindruckend. Habe ich nicht mit gerechnet.“ „Und Du?“ wird er von George gefragt. „Was...ich?“ „Was hast Du Dir erträumt?“ „Ich? Ich habe mich in mein Zimmer geträumt und mir vorgestellt, dass Georgina hereinkommt. Es waren überall Kerzen aufgestellt..“ „Du wolltest ihr an die Wäsche!“ Diese direkte Aussage macht Khalil kurz verlegen, doch dann stimmt er George unumwunden zu. „Apropos: wo ist sie?“ „Gerade eben noch… sie hat sich in einen Vogel verwandelt, und ich bin ihr hinterher gegangen, und bin hier gelandet, bei Dir.“ „Dann komm, lass sie uns suchen.“ „Aber dann musst Du Deinen Traum hier verlassen!“ „Ich war lange genug hier. Zeit, was Neues auszuprobieren“ spricht George, und wandelt sich ebenfalls um, in eine Saatkrähe, fliegt los, und landet in einem Badezimmer. Dort sieht er Georgina auf einer Waschmaschine sitzen und sich eine Zigarette drehen. Er fliegt zu einer gekachelten Fensterbank und lässt sich neben der dort stehenden Yuccapalme darauf nieder, sich scheinbar teilnahmslos das Gefieder putzend. Khalil betritt den Raum, lässt Wasser in die Badewanne ein, streift sich den Poncho ab, lässt ihn auf den gefliesten Boden fallen, entkleidet sich weiter. Georgina schaut zu, macht dabei einen interessierten Eindruck. Und was George denkt, fühlt oder meint, ist nicht zu erkennen, und die Krähe gibt es auch nicht preis. Khalil steigt in die mit Badewasser gefüllte Wanne, Georgina entledigt sich ebenfalls ihrer Kleidungsstücke und setzt sich auf ihn, umfasst seine Schultern, reibt sich an ihm, beginnt auf einmal zu lachen. „Na, was ist? Das wolltest Du doch. Und jetzt wird er nicht hart?“ Khalil betrachtet diese wunderschöne Frau, ihr von an den Seiten herabfallendem schwarzem Haar eingerahmtes Gesicht, die Augen, wie irisierendes Perlmutt, die Farbe von grau in blau und wieder zurück wechselnd. „Ich spüre Dich nicht“, hört er sich antworten, „weil… ich fühle nichts.“ „Weil alles in unseren Köpfen stattfindet, Du Dummkopf“, antwortet ihm Georgina, und drückt ihn unter Wasser. Khalil öffnet die Augen, sieht George und Georgina, die ebenfalls aus der Traumwelt zurückgekehrt sind. Verlegen schaut Khalil zu der Kerze, hört Georgina gurrend lachen. „Das war doch abgefahren, oder?“ George stimmt ihr mit einem Kopfnicken zu, Khalil wendet seinen Blick wieder zu den Beiden hin. „Ihr...ihr habt euch in...Vögel verwandelt. Wie ist das möglich?“ „Ganz einfach“, antwortet Georgina ihm, „weil ich es so wollte.“ George sagt, dass er sich durch etwas von außen kommend aufgefordert fühlte. „Dann müssen wir uns auch passende Namen geben“ schlägt Georgina vor. „Für mich wähle ich Georgina Taubenfuß. Und Du… Du heißt jetzt George Rabenvater.“ „Und was ist mit mir?“ „Na, Du bist weiterhin Khalil“, bekommt er Antwort. „Khalil Samiri, wie vorher auch. Vielleicht bist Du ja beim nächsten Mal so weit, Dich in ein Traumtier zu verwandeln.“ „Und wie bist Du auf ein Badezimmer gekommen?“ will George wissen. „Davor war ich in einem Wald. Dann fiel mir ein, dass wir uns ja ein Haus oder eine Wohnung erträumen wollten.“ George meint, dass er sich eine Waldhütte auch gut vorstellen könne, vielleicht mit einem Floatingtank darin. Auf die Frage, was dies sei, bekommt Khalil von Georgina eine Erklärung, die ihn fragen lässt „um sich darin in dem Traum in einen weiteren Traum zu begeben?“ George denkt darüber nach, stimmt Khalil schließlich zu. Unterdessen hat sich Georgina etwas überlegt. „Wir müssen Aufzeichnungen hinterlassen, wenn jemand von uns sich alleine in die Traumwelt begibt und etwas Neues erschafft.“ „Ist das denn nicht für die Anderen auch da?“ fragt Khalil nach. „Nur das, worin wir uns alle drei befunden haben.“ „Was wäre das bis jetzt?“ „Das Badezimmer“, sagt George, und Khalil stimmt ihm zu. „In meinem Wohnzimmer waren nur ich und Georgina… Und den Wald kennt nur sie.“ „Und meine Schrauberwerkstatt hast nur Du gesehen.“ „Was für eine Schrauberwerkstatt?“ will Georgina wissen, woraufhin George ihr davon erzählt. „Du sagtest zu mir, dass Du dort lange genug gewesen bist. Wie meintest Du das?“ „Ach…“ George winkt ab. „Es können bestimmt einige Stunden gewesen sein. Ich kann es nicht genau sagen…“ Nun fällt auch Georgina auf, dass ihr der Aufenthalt in dem Wald ziemlich lange vorgekommen war. Lediglich Khalil kam der Traum nur einige Minuten vor, so viel Zeit, wie nach dem Blick auf die Uhr an der Wand angegeben worden ist. Sie einigen sich darauf, zukünftig in der Traumwelt auf Uhren zu verzichten. „Also, wann treffen wir uns wieder?“ Khalil schlägt gleich morgen vor, er hat die nächsten Tage frei. George und Georgina jedoch müssen arbeiten, und so wird sich auf den kommenden Montag geeinigt, wieder um die gleiche Uhrzeit. George und Georgina verabschieden sich, Khalil holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, sinniert über das unterschiedliche Empfinden von Zeit während ihres Traumes nach. Dabei kommt ihm der Gedanke nachzurechnen, wie spät es jetzt in Neuseeland ist. Er erinnert sich zu wissen, dass die beiden Inseln gewissermaßen zehn Stunden ,Vorsprung' gegenüber der europäischen Zeitzone haben. Die Uhr in seinem Wohnzimmer zeigt zehn Uhr abends. Demzufolge ist es in Auckland acht Uhr morgens am darauffolgenden Tag. ‚Sind die Menschen, die dort leben, also zehn Stunden älter als die hier Geborenen?` fragt sich Khalil und muss gleich darauf über diese selbst erdachte Scherzfrage lachen. Vor zwei Jahren ist Khalil nach Neuseeland gereist. Zuvor weilte er auf Viti Levu, der Hauptinsel der Fidschis, dies auf Einladung eines alten Schulfreundes, der dort im Begriff war, eine Zweigstelle vom Honig verarbeitenden Betrieb seines Vaters zu errichten. Vier Wochen blieb Khalil dort, unternahm Wanderungen in die Berge und den Regenwald, besuchte gemeinsam mit seinem Freund den Sri Krishna Kalya-Tempel in Lautoka, wo sie zusammen mit den Gläubigen rituelle Tänze durchführten. Hernach aßen sie auf Bänken an Tischen sitzend eine kostenfrei ausgegebene Mahlzeit aus Reis und Gemüse. In Lautoka gab es auch ein Kino. Dort wurde gerade der aktuell angelaufene Film ‚the Doors‘ von Oliver Stone gezeigt. Die beiden Freunde aßen vorher jeder ein Stück Haschischkuchen, dann fuhren sie mit dem Pickup von Khalils Freund in den gut drei Kilometer von ihrer Behausung entfernt liegenden Ort. Während der Film in dem gut besuchten Vorführraum lief, begann die Droge ihre Wirkung zu zeigen und bescherte den Beiden ein eindrucksvolles Erlebnis. In einer Szene trifft Jim Morrisson Andy Warhol. Dieser zeigt Morrisson ein goldfarbenes Telefon, sagt, dass er damit „zu Gott telefonieren“ könne, oder so ähnlich. Morrisson nimmt Warhol daraufhin die Brille ab und zerbricht sie, so glaubt Khalil sich zumindest zu erinnern. Als er in Auckland ankam, suchte er sich als erstes ein Backpackerhotel und darauf einen Pizza Hut auf, bestellte dort eine Thunfischpizza und ein Steinlager Bier. Gerade als Khalil die großzügig bemessene Pizza anschnitt, betrat ein auffällig gekleideter Typ den Gastraum, kaufte sich am Tresen eine Flasche Beck`s, und setzte sich an den Tisch schräg gegenüber. Er trug domestosgebleichte Jeans, eine Jeansjacke und Doc Martens. An der Jacke waren verschiedene Aufnäher angebracht. Khalil erkannte das Anarchiezeichen, das Logo der Dead Kennedys, die Schwarze Sonne und eine Swastika, was in Neuseeland wohl nicht untersagt war, damit in der Öffentlichkeit herumzulaufen. Der Typ prostete ihm zu, fragte „bist Du Deutscher?“, was Khalil entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten - er machte sich nichts aus Nationenzugehörigkeiten - bejahte. Und da begann der Typ ihm einen Vortrag zu halten über Illuminaten und andere Geheimlogen, die gemeinsam mit den Rothschilds sowohl die Presse als auch das internationale Bankenwesen kontrollieren würden und so den Weg ebneten für eine Neue Weltordnung. Dann erzählte er von der Vrilgesellschaft, die sich 1919 in Berchtesgarden gründete, und die mittels telepathischer Kräfte Botschaften von Bewohnern des Aldebaraan-Systems erhielten, um daraus eine Jenseitsflugmaschine zu bauen. Während des Dritten Reiches wurden Flugversuche mit den als Vrilmaschinen oder Haunebus bezeichneten untertassenförmigen Flugschiffen unternommen, die jedoch nicht zum Einsatz kamen, da das als Weltraumstadt geplante Peenemünde 1944 bombardiert wurde. Nach Ende des Krieges wurden die Wissenschaftler, die an diesem Geheimprojekt beteiligt gewesen waren, in die USA gebracht. Unter ihnen befanden sich Victor Schauberger und Wernher von Braun. Zum Ende des Krieges konnten einige der Mitglieder der Vrilgesellschaft sowie der SS-Elite Schwarze Sonne nach Neuschwabenland in die Antarktis fliehen, um dort einen Stützpunkt für Flugscheiben zu errichten, die sie zum Mond, zum Mars, und schließlich nach Aldebaran bringen sollten, um sich mit den dort lebenden lichten Gottmenschen, den Ariern, zu vereinen. Der Typ hatte sein Bier ausgetrunken, stand auf und verabschiedete sich mit den Worten „ich treffe gleich noch einen Kontaktmann, der etwas über die Bilderberger zu berichtet weiß.“ Wäre es Khalil während dieser denkwürdigen Begegnung möglich gewesen, etwas von seinen Träumen und dem darin vorkommenden Doppelgänger zu berichten, hätte der Typ in dem ein paar Jahre später von ihm herausgebrachten Buch einige andere, auch durchaus interessante Gedanken unterbringen können… Von Auckland ging es auf dem Schienenweg mit dem Silverfern nach Wellington, dort mit der Fähre übergesetzt zur Südinsel. In Dunedin verbrachte Khalil ein paar Tage bei der WG von zwei Studenten, die er in Lautoka kennengelernt hatte. Der letzte Punkt seiner Reise war der Ort Bluff, wo er das Muschelmuseum besuchte. Der Museumswärter, ein einarmiger ehemaliger Walfänger, erklärte ihm anhand von einem Skelett, woher der Christusfisch seinen Namen hatte. Beim Schütteln des Skeletts klapperten in seinem Inneren drei kleine Knochen, die, mit etwas Phantasie, die Form von den Nägeln besitzen könnten, mit denen Jesus von Nazareth von den römischen Legionären an das Kreuz genagelt worden war. Bevor Khalil das Backpackerhotel des Ortes aufsuchte, setzte er sich mit einer Dose Steinlager auf die Felsen des kleinen Leuchtturms, während Meereswellen an „worlds end“ schäumten. Nach der Südspitze von Neuseeland kommt nur noch Wasser, und irgendwann beginnt die Antarktis. Am übernächsten Tag nahm Khalil den Flug zurück, und begann, wieder in Deutschland, in dem Heim für gehandicapte Menschen zu arbeiten, wo er vor Antritt der Reise einen Vertrag unterschrieben hatte. Er hat sein Bier ausgetrunken, überlegt kurz, alleine nochmal in die Traumwelt zurückzukehren, entscheidet sich jedoch dazu, bis zum verabredeten Treffen mit George und Georgina zu warten.
The offending Humans
Die drei Männer machen einen konzentrierten Eindruck, wobei sie aber auch meditierend nach-innen-lauschend wirken. Einer der drei hält seine Augen geschlossen, die zwei anderen richten ihre Blicke auf ihn, als warten sie auf ein Zeichen, eine Aufforderung. Und diese kommt, in Form der hinausgebrüllten Worte „Eins, zwei, drei, GO!“ und darauf bricht ein infernalischer Lärm aus, der gegen die feuchten Wände und die Decke des Übungsraums hämmert und raus will wie Dampf aus einem Schnellkochtopf. Die aus einem Orange-Verstärker heraushauenden Bässe treffen auf eine durch in Reihe geschaltete Piggyback-Verstärker verzerrte Gitarre, kämpfen erst miteinander, um sich nach und nach anzunähern, zu einem gemeinsamen Tanz, dessen Rhythmus durch ein Schlagzeug vorgegeben wird, hinter dem ein durch die in sein Gesicht sich hineinbewegenden Haare nicht zu erkennendes Wesen hockt und mit hingebungsvoller Gewalt auf die Grundausstattung seines Instruments eindrischt. (Bassdrum, Snare und HiHat – unglaublich, was man da alles rausholen kann, vorausgesetzt, man hat das nötige Talent oder genug Wut; bei dem jungen Mann hier darf getrost zweites attestiert werden, und zudem ist er Guns`n Roses-Fan, was jetzt nichts über seine musikalischen Qualitäten aussagt. Lediglich die vordere Bespannung der Bassdrum (das Teil, was über ein Fußpedal bearbeitet wird) weist ein dilettantisch aber liebevoll aufgemaltes Logo dieser Band aus.
So an die fünf, sechs Minuten wird der Sound, der so ein bisschen an die sich zu der Zeit gerade aufgelösten SWANS erinnert, aufrechterhalten, dann bricht das Schlagzeug auf einmal abrupt ab, Gitarre und Bass beenden daraufhin ihren Tanz. Der Gitarrist, seinen Blick bisher auf die Finger des Bassisten gerichtet, dreht sich um, sieht, wie der Drummer gerade einen Schluck aus der Bierdose nimmt. „O mensch, wir haben doch ausdrücklich vereinbart: während des Probens keinen Alkohol!“ Schieß-mich-heute-tot stellt die Dose neben dem Schlagzeug ab. „Ja, Matthias, ich weiß. Aber mit nem Bierchen kann ich mich halt besser konzentrieren…“
Die Feuerschutztür des Kellerraums wird aufgedrückt, ein rothaariges Mädchen kommt herein. „Hi, Leute! Sonja sagte mir, dass ich euch hier finden würde.“ „Wer ist das?“ wendet sich der Gitarrist an Morgen-ist-eh-alles-zu-spät, den Bassisten, und ehe dieser antworten kann, stellt das Mädchen sich selbst vor. „Ich bin Swan Lee. Und Du musst Barfly sein.“ Die Bestätigung quittiert Swan Lee mit einem ‚cool‘. „Braucht ihr vielleicht noch eine Sängerin?“ „Was?“ Der Gitarrist verneint, will am liebsten, dass das Mädchen verschwindet, doch diesen Buchungsabschluss kann er vergessen, da seine Bandkollegen nun anfangen zu diskutieren. Derweil setzt sich Swan Lee auf einen herumstehenden Korbstuhl und holt ihre Orangensaftflasche aus dem Rucksack.
„Schau mal, Alkohol trinkt sie auch nicht“ wirft Morgen-ist-eh-alles-zu-spät auf die Aktivaseite, was Barfly lediglich veranlasst, Feierabend zu verkünden, nachdem er einen Blick auf seine Taschenuhr geworfen hat. Dies wiederum ist das Signal für Schieß-mich-heute-tot, die Bierdose zu ergreifen und, nachdem er sie geleert hat, zusammengedrückt in den Raum zu pfeffern. „Also, auf geht´s in den Stadtpark!“
„Na, hast nen neuen Chauffeur gefunden?“ begrüßt Sonja Swan Lee, als diese diesmal in Begleitung von Morgen-ist-eh-alles-zu-spät die Rasenfläche betritt. „Barfly und Schieß-mich-heute-tot kommen auch gleich noch.“ Morgen-ist-eh-alles-zu-spät setzt sich zu einem Herrn mit einer starkglasigen Brille, der gerade dabei ist, Backgammonsteine für ein Spiel aufzubauen. „Grüß Dich, Faktor vier. Hast Du schon einen Mitspieler?“ Statt einer Antwort reicht dieser ihm einen Würfel. „Die höhere Zahl fängt an.“ „Willst`n Bier?“ wird Morgen-ist-eh von einem Jungen gefragt, der ähnlich hippielike gekleidet ist wie Glatzengirl. „Ja, gerne. Bist Du heute der Bierverteiler?“ „Ja, easy. Hab ich mir mal so gedacht.“ „Warum nennt er Dich denn Faktor vier?“ will Swan Lee von dem Herrn wissen, woraufhin sich das Licht des Nachmittages in seinen starken Brillengläsern spiegelt, als er sich dem Mädchen zuwendet. „Is doch klar: Warp Faktor fooour!“, und als Swan Lee verständnislos dreinschaut, erklärt Morgen-ist-eh „na, er ist halt n Trekkie“, was der Fünfzehnjährigen auch nicht weiterhilft. „Star Trek, schon mal was von gehört?“ „Ach so, ja. Guck ich aber nicht.“ Diese Äußerung lässt Faktor 4 sich in gespielter Verzweiflung an den Kopf fassen. „Aber Krieg der Sterne find ich toll.“ „Möge die Macht mit uns sein“, ruft da der Hippiejunge aus.
Barfly und Schieß-mich-heute-tot haben mit ihren Fahrrädern den Stadtpark erreicht und gesellen sich der kleinen Gruppe hinzu, bekommen auch Bier angeboten. Barfly nimmt eine Dose entgegen, Schieß-mich hat selber noch welche im Rucksack dabei. „Wann kriegt man euch denn mal live zu hören?“ will Glatzengirl wissen. „Dann, wenn unser Programm steht“, bekommt sie von Barfly die Antwort, „und wir nicht andauernd von unangemeldetem Besuch gestört werden.“ Sonja verdreht die Augen. „Die Kleine hat doch nur gefragt…“ „Ich bin nicht mehr klein“, lässt da Swan Lee verlauten, und als Morgen-ist-eh sagt „wir haben überlegt, dass Swan Lee Sängerin bei uns werden könnte“, fährt Barfly dazwischen: „WIR haben überhaupt nichts überlegt. IHR habt überlegt!“ „Ach mensch, Matthias, sei doch nicht andauernd so aggressiv“, bekommt er von Sonja zu hören, was auf den Gitarristen der Band auch nicht beruhigend wirkt. „Ich bin nicht aggressiv. Und nenn mich nicht Matthias.“
Unterdessen haben sich den auf dem Rasen Sitzenden ein Mann und eine Frau genähert. Sie tragen silbern- und goldglänzende Kleidung und haben Halsketten aus Muschelschalen umgehängt. Original aussehende Cowboystiefel vollenden ihr schon als auffallend zu bezeichnendes Erscheinungsbild. Die Beiden sind stehen geblieben, die Frau richtet sich mit Gesten an ihren Begleiter, und als dieser zustimmend nickt, treten sie an die Gruppe heran. „Hallo. Wir sind Lyndon und Neila. Dürfen wir uns zu euch setzen?“ „Ja, ja klar. Gerne.“ Glatzengirl räumt ihre Stiefel beiseite. „Wollt ihr n Bier?“ „Vielen Dank, aber: nein. Wir haben vorhin schon etwas zu uns genommen. Was wird denn da gespielt?“ „Das Spiel nennt sich Backgammon“ antwortet Morgen-ist-eh-alles-zu-spät, und die Frau gestikuliert wieder, als müsse sie dem Mann übersetzen, doch dieser weiß: „Ein Brettspiel mit einer Mischung aus Würfelglück und Strategie. Es gibt unterschiedliche Varianten, so zum Beispiel die Russische und die Griechische. Ursprünglich kommt das Spiel aus dem angelsächsischen Bereich.“ „Und woher kommt ihr?“ will da der Hippiejunge wissen. „Oh. Wir haben eine lange Reise hinter uns. Zufällig hat der Weg uns hierher zu euch geführt.“ „Es gibt keine Zufälle“, weiß Barfly zu korrigieren. Die Frau schaut ihn an und gibt ihm recht. „Gibt es einen Anlass, zu dem ihr euch hier trefft?“ „Nein, kein Anlass“, beantwortet Glatzengirl die Frage der Frau. „Bier trinken, Musik hören…“ „...Backgammon spielen“, ergänzt Faktor 4 und setzt seinen Wurf, kann dabei einen Stein von Morgen-ist-eh rauswerfen. Die Frau mit dem Namen Neila interessiert sich für das Leben dort in der Kleinen Stadt, was sie so beruflich machen, und fragt schließlich nach außergewöhnlichen Ereignissen, die sich vielleicht in der letzten Zeit zugetragen haben. Dazu fällt Sonja ihr Gespräch mit Alexander ein, und als Neila nachfragt, erzählt sie von den Gedankenströmen, die Alex empfangen haben will, und von seinen Traumbegegnungen. Die Frau und der Mann hören aufmerksam zu, beraten sich, nachdem das Glatzengirl geendet hat, wieder mittels ihrer Gebärden. „Wo können wir diesen...Alexander...denn antreffen?“ Manchmal würde er in der Kneipe auftauchen, erhalten sie als Antwort, aber wo er wohnt weiß keiner zu sagen. „Wie heißt er denn weiter?“ „Er nennt sich Alexander Tagthetruth. Aber seinen richtigen Namen wissen wir auch nicht.“ Neila schließt das Gespräch, bedankt sich, wünscht noch eine angenehme Zeit, und dann gehen sie den Weg entlang, der zu dem angrenzenden Friedhof führt.
Watchman
Der letzte Traum, an den Rafael Kellner sich erinnern konnte, hat ihn dazu veranlasst, eine Bibliothek aufzusuchen. Dieses Mal ist es kein australischer Ureinwohner gewesen, der zu ihm gesprochen hat. Rafael hat sich in einem weißgekalkten Raum gesehen, in dessen Mitte etwas stand, von dem er lediglich die Umrisse erkennen konnte, sowie das Blinken zweier Lichter. Er solle sich auf die Suche begeben nach Gleichgesinnten, vernahm Rafael die Stimme eines Mannes. Und diese Gleichgesinnten zu finden sei nur möglich über die Auflösung des Gottesmythos. Sein Verhältnis zu Religion konnte er bis dato in einem Satz zusammenfassen: „ich glaube nicht an Gott.“ Jedoch ist ihm schnell klar geworden, dass ihn diese Einstellung bei der Auflösung des Rätsels, oder besser bei der Lösung der Aufgabe, die ihm in dem Traum gestellt worden war, nicht weiterhelfen würde. Auch würde es Gott letztlich scheißegal sein, ob der Mensch Rafael Kellner nun daran glaubte oder nicht. Es war die Bezeichnung ‚Mythos‘, die ihn dazu bewogen hat, in die Bibliothek zu gehen. Mythologien haben ihn schon als Junge fasziniert. In den Marvel Comics ist Thor einer seiner Lieblingshelden gewesen. Und die Fantastischen Vier. Superhelden, die die Menschheit vor Bedrohungen in Gestalt von Superschurken beschützen, die die Macht über die Welt zu erlangen versuchen. Und nun sitzt Rafael bereits seit drei Stunden dort und wälzt Bücher. Begonnen hat er bei der Griechischen Mythologie, da er dachte, Thor gehöre zu den Griechischen Gottheiten, landet dadurch bei den germanischen Stämmen, ist überrascht, dass doch einiges von deren Riten im christlichen Glauben wiederzufinden ist, widmet sich daraufhin der Literatur über weitere alte Religionen, Sagen, Mythen. Besonders gefällt Rafael eine Sage von einem afrikanischen Volk, welches rund um das Kilimandscharomassiv angesiedelt ist. Bei ihnen kommen die ersten Menschen an dem Faden einer Spinne herab, die als Urahn verehrt wird. Jedoch können diese Menschen nicht mehr zurückkehren, weil mittlerweile ein Vogel den Faden mit seinem Schnabel zerrissen hat. Er liest von dem Volk der westafrikanischen Dogon, die ihre Häuser nach einem überlieferten Prinzip errichten, um damit die Ordnung der Welt aufrecht zu erhalten. Um die Ordnung der Welt beziehungsweise die des Kosmos geht es auch bei den australischen Ureinwohnern, die mittels Träumen sowohl mit ihren Urahnen als auch mit der sie umgebenden Welt in Verbindung treten. Rafael erfährt, dass dieses Träumen nichts mit den Gehirnaktivitäten im Schlaf zu tun hat. (Aber weshalb ist mir dann der Aborigine im Traum begegnet, fragt er sich) Es ist, so wird versucht zu erklären, der Anfang von Allem, die Geschichte der Menschheit, die an nachfolgende Generationen weitergegeben und von ihnen weitergeführt wird. Dieser Geschichte zufolge waren die Urahnen Wesen halb Mensch, halb Tier, die aus der Erde kamen, und mit ihnen das Licht. Sie wanderten über das Land und erschufen die Berge, Täler und die Flüsse, die Tiere und Pflanzen, und schließlich die Menschen. Von diesen Taten erschöpft kehrten die Ahnen in die Erde zurück, um zu schlafen. Ihre Geister sind zu finden in Bäumen, Bergen, Höhlen und in Teilen der Landschaft, durch die Menschen mit ihnen in Kontakt treten können, um die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen und zu nutzen. Fasziniert ist Rafael von der Information, dass diese Vorstellungen und Überlieferungen an die 50.000 Jahre alt sind, und damit zu den ältesten bekannten Glauben gehören. Ein Ziehen im Rücken und die Andeutung von so etwas wie Hunger rufen ihn in die Gegenwart zurück. Zudem verspürt Rafael Durst. Drei Signale, die ihm bedeuten, für heute die Suche nach einer Antwort zu beenden. Viel ist ja nicht dabei rausgekommen, befindet er, und überhaupt: was hatte der Mann mit Gleichgesinnten gemeint? In seinem bisherigen Leben ist es ihm nicht in den Sinn gekommen, einer Partei oder einem Verein beizutreten, um sich dadurch in seinen Ansichten und seiner Lebensführung bestätigen zu lassen. Naja. Andererseits hat er bisher auch noch keine Stimme im Traum vernommen, die ihm irgendwelche Anweisungen für sein Handeln gegeben hat. Und die er dann auch noch befolgt. „Einmal Curry und Pommes rot-weiß.“ „Curry normal, scharf oder extra?“ „Ja, normal scharf, nä?“ „Und noch was zu trinken dazu?“ „Nö, hab selber was dabei.“ „Eijenvazehr is hier aba nich erlaubt.“ „Bier gibt`s bei Ihnen ja nicht.“ „Wir ham Cola und Sinalco im Angebot.“ „Sowas trinke ich nicht. Hab mir extra n schönes Bier ausm Supermarkt geholt.“ „Wenn de mir ne Mark jibst, jeb ick Dir n Glas dafür.“ „Einverstanden.“ „Denn macht det fünf Mark fuffzich.“ Rafael sucht das passende Geld zusammen, legt es auf den Tresen, bekommt schon mal ein Glas gereicht. „Der Rest wird gleich nachjeliefert.“ Rafael nimmt an einem der Tische platz und holt eine Halbliterflasche aus dem Rucksack, entkorkt sie mit dem Feuerzeug, trinkt. Immer spielen Berge eine Rolle, sinniert er. Der Ayers Rock, der Kilimandscharo, der Devils Tower. Wobei letzter keine Bedeutung bei den amerikanischen Ureinwohnern gehabt hat. Oder? Er seufzt, trinkt, stellt die Flasche neben dem Rucksack auf den Boden. „So, eenmal Curry mit Pommes rot-weiß.“ Rafael holt sich die beiden Pappschälchen ab, fängt an zu essen. „Und, schmeckt`s?“ wird vom Grillbetreiber gefragt, was mit einem Nicken bejaht wird. „Na, det freut den Sohn der Mutter aba.“ Ein weiterer Kunde ist an den Imbisswagen herangetreten, bestellt ein halbes Hähnchen zum Mitnehmen und eine Cola zum Hiertrinken, setzt sich mit der Flasche an einen Nachbartisch. „Einen guten Appetit wünsche ich.“ Rafael nickt auch ihm zu, sieht an der Halskette ein Jesuskreuz hängen, was seine durch den im momentan sich befindenden Kontext sensibilisierte Neugierde weckt und ihn fragen lässt „sind Sie religiös?“ Der Mann nickt bedächtig, antwortet „ich habe Anfang des Jahres eine Gotteserfahrung gehabt.“ Nun hat er Rafaels volle Aufmerksamkeit. Er erzählt Rafael von seiner schweren Krankheit, und dass an der Schwelle zum Tod Gott in der Gestalt von Jesus dem Erlöser an sein Bett getreten ist, ihm sein Leben zurückgab und ihn gesunden ließ. „Glauben auch Sie an Gott?“ Rafael verneint, berichtet nun seinerseits von den Träumen und den Botschaften, die darin an ihn gerichtet worden waren. „Und was genau hat der Aborigine zu Ihnen gesagt?“ „Er sprach davon, dass wir Menschen die Uhren anhalten sollen, weil sonst alles Leben auf dem Planeten sterben würde.“ „Hat der Ureinwohner dabei von einer großen Kraft gesprochen?“ Mit einem Mal fühlt sich Rafael in den Traum zurückversetzt, „Ja. Ja, das hat er! Wissen Sie, was damit gemeint ist?“ Der Mann schaut auf die um sein rechtes Handgelenk gebundene Armbanduhr. „Oh, es ist schon spät! Ich muss los“, ruft er aus, trinkt die Flasche leer und will augenblicklich gehen. „He, juter Mann! Vajessen Se Ihren Broiler nich!“ Er greift sich die Tüte mit dem Grillgut und strebt ohne ein Wort des Abschieds dem Parkplatz zu, steigt in ein dort abgestelltes Auto und fährt davon. „Wat war denn ditte für Eina?“ Auch Rafael findet diese Begebenheit etwas sonderbar, isst und trinkt zuende, stellt das unbenutzte Glas zurück, wirft Schälchen und Plastikbesteck in den Abfalleimer. „Und nich det Bier vajessen!“ „Nee, gibt es ja Pfand drauf.“ Die beiden Männer wünschen sich einen schönen Tag, und Rafael macht sich auf den Heimweg.
Being in Dreaming 2
Khalil steht vor dem Herd neben der Spüle. Er hat einen weißen Frotteebademantel an, an den Füßen trägt er Badelatschen. Er schaut zu Georgina hinüber. Die hat sich mit gekreuzten Beinen auf den Kühlschrank gesetzt, trägt jetzt den Poncho und schwarze Halbstrümpfe. Auf ihrem Schoß liegt ein Schreibblock, in der rechten Hand hält sie einen gelben Kugelschreiber. „So, ich schreib das jetzt alles auf, was wir jetzt hier in der Küche haben.“ „Da musst Du jedes Teil ganz genau beschreiben“, mahnt George da an, „sonst gibt das Unstimmigkeiten in den räumlichen Dimensionen.“ Dabei hält er seine Blättchenpackung hoch, die sich zusammen mit Tabakbeutel, Feuerzeug und einem Aschenglas auf dem Küchentisch liegend befunden hat. George sitzt auf einem weißen Plastikgartenstuhl davor. „Okay.“ Georgina beugt sich vor, schlitzt ihre Augen, nimmt damit die Blättchenpackung ins Visier, schreibt auf und liest dann vor: „Im Vordergrund der Zeichnung auf dem Deckel steht ein Dromedar, eingerahmt von zwei sich im Hintergrund befindenden, stilisiert gezeichneten Pyramiden. Links im Bild, neben der kleineren Pyramide, Doppelpunkt, drei Palmen.“ „Ja, schön, jaja.“ George verlässt etwas genervt seinen Sitzplatz, wendet sich der Küchentür zu. „Ich versuch mal was anderes. Bleibt ihr hier. Ich bin gleich wieder da.“ Und ist aus der Küche verschwunden. „Na, da bin ich ja mal gespannt, was er vorhat.“ Khalil deutet zum Kühlschrank. „Ist da auch was drin?“ „Ja, klar! Alles, was Du Dir vorstellst.“ Schon will Khalil die Kühlschranktür öffnen. Georgina hebt ihre Beine an, wobei kurz ihre Vagina zu sehen ist. „Aber vorher genau ausdenken!“ Khalil zögert. „Und wenn das mit dem essen genau so ist wie mit dem Sex?“ „Tja, richtig! Du musst Dir auch den Geruch und den Geschmack genau vorstellen. Nimm also etwas, was Du kennst.“ Khalil nickt. „Hast Du auch Hunger?“ „Nö, danke. Ich hab zuhause gegessen.“ Khalil öffnet die Tür, greift hinein. „Kannst Dir ja nachher noch was überlegen.“ Doch dem widerspricht Georgina. „So funktioniert das nicht. Wenn Du Dir jetzt überlegt hast, was sich in dem Kühlschrank befinden soll, dann hast Du…“ Sie überlegt, saugt dabei an dem gelben Kugelschreiber. „...Den Platz schon belegt?“ versucht Khalil das Gedankenkonstrukt zu beenden, und stellt eine Pizza auf den Tisch, greift nochmals in den Kühlschrank und zaubert eine 0,5-Liter Bierdose heraus, stellt sie neben der Pizza ab, schließt die Tür. „Genau das, ja“, pflichtet Georgina ihm bei. „Der Platz ist dann von Deinen Vorstellungen belegt.“ „Wie die Pizza hier.“ Khalil hat sich auf dem Plastikstuhl niedergepflanzt und zieht die Lasche der Bierdose auf. „Brauchst Du ein Messer?“ Khalil schüttelt den Kopf und hält ein Stück der Pizza in seiner rechten Hand. „Hab ich mir als bereits geschnitten vorgestellt.“ „Ja, cool.“ Georgina runzelt die Stirn, starrt auf die leere Seite ihres Schreibblocks. „Ich glaube, George hat recht. Mit dem, was er meinte über die Genauigkeit der Aufzeichnungen…“ „Was meinte er?“ wird von Khalil nachgefragt. „Ich denke, es ist auch wichtig aufzuzeichnen, was alles in den Räumen passiert…“ „Was passiert?“ muss Khalil schon wieder nachfragen. „Na, dass Du zum Beispiel Pizza isst… und dabei Bier trinkst.“ „Willst Du auch´n Stück ab?“ „Nein, danke.“ „Oder dass wir es vielleicht gleich miteinander machen?“ fällt Khalil spontan ein, was Georginas Augen glitzern lässt. In diesem Moment kommt George zurück. „Stör ich?“ Einvernehmliches köpfeschütteln. „Ich esse gerade“, merkt Khalil an. „In den Kühlschrank kommt aber nichts mehr.“ „Bitte? Ja.“ George stellt einen grünen Kasten aus Metall auf den Tisch. An der Vorderseite hängen zwei Drähte herunter, an deren Enden sich kleine Greifer befinden. Leuchtdioden sind an dem Kasten angebracht, ein Schalter sowie zwei kleine Hebel. „Damit müsste es funktionieren.“ Georgina und Khalil betrachten das Metallkästchen. Es hat eine Kantenlänge von genau 15x10x5 Zentimeter. „Was funktionieren?“ fragt Georgina. „Unsere Gedanken zu speichern. Hier. Probier mal aus.“ Die Frau zuckt etwas zurück, lässt Khalil dann die Greifer an ihren Schläfen befestigen, schließt die Augen. Die Diode hat begonnen, blau zu leuchten. „Ich sehe Dich. An einer Werkbank stehen. Du sägst etwas zurecht, misst nach. Jetzt umwickelst Du einen Metallklotz mit Draht… Und nun lötest Du. Fügst die Platten zusammen. Betätigst einen der Hebel. Das wars…“ George nimmt ihr die Drähte ab. „Aber das ist doch“, formuliert Khalil seine Bedenken, „physikalisch gar nicht möglich…“ „Hier in unserer Traumwelt schon“, erwidert George, und hält ihm die Drähte entgegen. „Auch mal?“, doch Khalil lehnt ab, sagt, dass er etwas wahrnimmt, dem er gerne jetzt mal nachgehen möchte, und ehe nachgefragt werden kann, ist er bereits aus der Tür hinaus... ...und betritt ein Schlafzimmer. Durch das Fenster sieht er den fast vollständig beleuchteten Mond. Neben dieser Lichtquelle befindet sich in dem Raum noch ein angeschalteter, in einem Einkaufswagen stehender Fernseher. Das Bild zeigt die Übertragung einer Bundestagsdebatte. Gerade spricht der Finanzminister. „Der deutsche Bundesbürger muss erkennen - wir müssen dem deutschen Bundesbürger zu erkennen geben...“ Khalils Blick fällt auf das Bett links von ihm. Er nimmt zwei schemenhafte Gestalten wahr, einen Mann und eine Frau. Sie sind beide nackt. Der Mann trägt schwarze Socken, die Frau erhebt sich und zieht lachend ihr Höschen hoch. „...dass er nicht mehr ausschließlich Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern andererseits…“ Khalil erkennt in der Frau Georgina - aber das ist doch nicht möglich, denkt er - und dann beschaut er die Farbe ihrer Haare, sagt „Du bist nicht Georgina!“ „...ihm auferlegte Verpflichtungen erfüllen muss, damit auch für die Zukunft unser aller Lebensstandart gesichert ist." „Geh mal besser wieder zu den Anderen“, hört Khalil den Mann sagen, der ebenfalls aufgestanden ist und etwas in dem auf dem Bett liegenden Bademantel sucht. „Du bist hier verkehrt gelandet.“ Da sieht Khalil, um wen es sich bei dem Mann handelt, und als dieser einen Revolver aus der Tasche des Bademantels zieht, wandelt die Frau sich um in ein Ponee mit einer seltsam erscheinenden schwarzweißen Musterung. Als Khalil sich dazu entschließt, den Raum zu verlassen, wird er noch Zeuge, wie er mit der Waffe auf den Fernseher zielt und abdrückt, das Fenster sich öffnet und das Pferd hinausspringt in die Nacht, dabei seine Mähne silbern glänzt im Licht des Mondes. „Und – wo bist Du gewesen? Was hast Du gesehen?“ „Ich habe ein Schlafzimmer betreten. Auf dem Bett lagen zwei Gestalten. Die Frau sah aus wie Du, nur dass sie blonde Haare hatte. Und der Mann… das war auch ich…“ „Gib es in den Traumaufzeichner ein“, fordert George ihn auf, doch Khalil wehrt ab. „Nein! Eigentlich hätte diese Begegnung gar nicht stattfinden dürfen, weil…“ er ringt nach Worten, die seine Überlegungen verständlich machen können. „Also ich kann meine Schwester – so nenne ich meinen zweiten Traumkörper – ohne Probleme treffen und mit ihr kommunizieren.“ „Ja, stimmt. Ihr beide wart ja zusammen in der Kneipe“, kann sich George erinnern. „Aber wir befinden uns hier auch in einem Traum“, erinnert Khalil, „was bedeutet, dass es sich bei uns ja schon um unsere Doppelgänger handelt“, vollendet George den Gedankengang. „Und wer war dann der Typ in dem Schlafzimmer?“ will Georgina wissen. In diesem Moment vernehmen sie das Klingeln eines Telefons. „Wo kommt das jetzt her?“ „Ich nehme an, aus dem Wohnzimmer.“ Die Drei begeben sich dorthin, Khalil hebt den Hörer ab. „Wer ist dort? - Ja, das ist richtig. - Ja, wir sind zu dritt…“ Er schaut zu Georgina und George. Georgina gibt ihm Zeichen, nicht ihre Namen zu nennen und auch nicht den Echtzeitaufenthaltsort. „Was? Was sagen Sie? Und woher wissen Sie das?“ Sein unruhig flackernder Blick trifft auf die fragenden Blicke von George und Georgina. „Ja. Doch. Ich vertraue Ihnen. Gut. Ich werde das mit den anderen Beiden besprechen.“ Khalil legt den Hörer zurück. „Wer war das?“ wird er von George gefragt. „Ein Mann. Seinen Namen hat er nicht genannt, und auch nicht, woher er anruft. Er sagt, dass er gespürt hat, wie versucht wird, unsere Gedankenströme zu orten, um sie zu stören und zu kontrollieren.“ „Hat er gesagt, wer das ist?“ „Er weiß es nicht, nein. Aber er sagt, dass jemand ein starkes Interesse daran hat, den Kontakt von uns zu Anderen zu verhindern.“ „Und was machen wir nun?“ Khalil weiß keinen Rat, aber George hat einen Einfall. „Wir benötigen einen Ort, von dem aus unsere Gedanken nicht ortbar sind. Wir müssen unter die Erde!“ „Wie meinst Du das?“ „Ganz einfach. Wir benötigen einen Kellerraum.“ „Ja. Gut. Begeben wir uns in einen Keller“, stimmt Khalil zu. „Und nimm Deinen Apparat mit!“
Rust never sleeps
Die Vorstellung ist beendet. Im Foyer des Kulturhauses sitzen Barfly, Faktor 4, der Treckernomade, Glatzengirl und ein SHARP-Skin. Von der Gaststätte haben sie sich Getränke geholt. Der Treckernomade ist gerade dabei, ein Grasteil zu bauen. „Und, wie fandet ihr den Film?“ „Ziemlich deprimierend. Vor allem das Ende.“ „In der Tat kein happy end, nein.“ „Eine Studie über ein kaputtes Leben.“ „Ein ultimativer Punkfilm“ meint der SHARP-Skin, dem zugestimmt wird. Mikesch hat den Joint fertig und übergibt ihn Faktor 4. „Bula!“ „Vinaka!“ Faktor 4 nimmt das Rauchteil entgegen, entzündet es, inhaliert dreimal, reicht es weiter an Barfly. „Was war das eben?“ will Sonja wissen. „Das ist fidschianisch“, lässt der Treckernomade die Frau wissen, und Faktor 4 ergänzt „hat uns zumindest ein Bekannter erzählt. Der ist mal da gewesen, in Fiji. Auf Fiji?“ Sonja lehnt den dargebotenen Joint ab, und auch der SHARP will nicht probieren, bleibt lieber beim Hefeweizen. So kommt der Joint wieder bei Mikesch an. Sonja berichtet von der Begegnung mit Alexander vor ein paar Tagen in der Kneipe. „Das erinnert mich an den Glauben an Krafttiere und Schutzgeister alter mexikanischer Kulturen“, fällt Faktor 4 dazu ein. „Die Azteken glaubten daran, dass diese Naguals, so wurden sie genannt, sie vor den Überfällen der spanischen Konquistadoren schützen konnten.“ „Der Begriff Nagual kommt doch auch bei Carlos Castaneda vor“, weiß Mikesch. „Castaneda? Das ist doch Hippiescheiß“, wirft Barfly dazwischen, was den SHARP-Skin „tötet alle Hippies“ aus dem eben geschauten Film zitieren lässt. „Ja, vielleicht hat Alex von solchen Schutzgeistern geträumt“, stellt Sonja ihre Überlegung an. „Und die wollen Kontakt zu ihm aufnehmen…“ „Esoterischer Blödsinn“ lässt Barfly verlauten, und verabschiedet sich. „Bis die Tage.“ „Ich finde solche Mythologien schon interessant“, sinniert Faktor 4. „Immerhin glaubten die alten Griechen, dass es ihre Gottheiten tatsächlich gab.“ „Hoffentlich sind Gott und Allah auch bald nur noch Mythen“, meint dazu der Treckernomade, was für zustimmendes Lachen sorgt. Von der Gaststättenangestellten werden sie darauf hingewiesen, dass gleich Feierabend ist und abgeschlossen wird. Der SHARP-Skin reicht ihr das leergetrunkene Glas und bedankt sich. Mikesch hat den zuendegerauchten Joint in einem Aschenglas ausgedrückt, stellt dieses auf den Tisch zurück, hängt sich seine Stofftasche um. „Tja, also dann, Leute…“ Auch Faktor 4, Glatzengirl und der SHARP erheben sich, streben zum Ausgang und verabschieden sich draußen voneinander.
Fortes sumus in fide
„Ich grüße Sie, Euer Eminenz. Hier spricht Generalvikar Piepvogel vom Bistum Osnabrück.“ Der erste Präfekt des heiligen Offiziums sitzt auf einem gepolsterten Lehnstuhl vor seinem Schreibtisch, den Telefonhörer in der linken Hand haltend. „Ich grüße Sie auch. Meine Sekretärin sagte mir, Sie haben ein Anliegen von immenser Wichtigkeit.“ „So ist es, Euer Eminenz! Bestünde auch nur der leiseste Zweifel daran, würde dieser Anruf nicht stattfinden.“ „Also sprechen Sie: was ist der Grund Ihres Anrufs?“ „Vor zwei Tagen wurden in einer kleinen Stadt in der Nähe von Bremen Abweichungen festgestellt.“ Der Präfekt überlegt seine nächste Frage gut. „Sprechen Sie von gotteslästerlichen Handlungen oder von einem Fall von Besessenheit?“ „Nein, Euer Eminenz. Es sind dort allem Anschein nach widernatürliche Erscheinungen aufgetreten.“ Erneut entsteht eine Pause, dann „sind Sie sich dessen sicher?“ „Ich habe die Informationen von dem dort ansässigen Gemeindepfarrer. Dieser hat eine entsprechende Ausbildung, was diese Phänomene betrifft, erhalten.“ „Gut. Also dann – werde ich entsprechende Maßnahmen einleiten.“ „Sehen diese Maßnahmen es vor, Zeitung und Fernsehen über diesen Vorfall zu informieren?“ „Um des Himmels Frieden Willen, nein! Es gilt, absolutes Stillschweigen darüber zu bewahren!“ „Selbstverständlich, Euer Eminenz. Wie Ihr wünscht.“ „Es ist Euer erstes Mal, dass Ihr mit solcherart Dingen konfrontiert werdet?“ fragt der Präfekt in einem ruhigeren Ton nach, was von dem Generalvikar bejaht wird. „Haltet noch einmal Rücksprache mit dem Gemeindepfarrer, damit auch von dieser Seite nichts nach außen dringt.“ „Ich werde dies sofort erledigen.“ Kurz nachdem er den Generalvikar verabschiedet hat, wählt der Präfekt seine Sekretärin an und bittet um eine Verbindung, die gleich darauf hergestellt wird. In der Zwischenzeit hat der Kirchenmann den Hörer auf die Platte des Schreibtisches gelegt und den dort aufgestellten Lautsprecher eingeschaltet. So hat er die Hände frei, und kann aus einer der Schubladen eine Flasche sowie ein Glas hervorholen, befüllt dieses mit der klaren Flüssigkeit aus der Flasche, schnuppert daran, nimmt anschließend einen kleinen Schluck. „Grüß Dich, Josef“, tönt es aus dem Lautsprecher. „Was verschafft mir die Ehre?“ Der so Gefragte gibt seinem Gesprächspartner die soeben erhaltenen Informationen weiter, setzt ihn über ein zweites Vorkommen in Berlin in Kenntnis, von dem er bereits vor dem Gespräch mit dem Generalvikar erfahren hatte. In der Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung meint Josef nun einen belustigten Unterton zu erkennen. „Es ist doch nicht zu fassen, oder? Dass solche Phänomene hier im zwanzigsten Jahrhundert auftauchen, trotz der dankenderweise getroffenen Übereinkünfte von Wissenschaft und christlichem Glauben… nun ja. Und wie kann ich dabei behilflich sein?“ „Es gilt, Nachforschungen anzustellen, um was genau es sich bei den Abweichungen handelt. Wenn ich mit diesem Anliegen an die offiziellen Stellen herantreten würde, ist davon auszugehen, dass dann auch irgendwann die Öffentlichkeit darüber erfahren wird…“ „Und das ist ja auf jeden Fall zu vermeiden!“ Jetzt vernimmt der Präfekt einen Anflug von Sarkasmus, und als aus dem Lautsprecher die Schlussfolgerung „und nun dürfen wir für Euch wieder die Kastanien aus dem Feuer holen“ dringt, kann er seinen Unmut darüber nicht verbergen. „Herrgott, Roland! Musst Du jetzt wieder mit den alten Geschichten kommen?“ „Ach was, nein! Sage er mir besser noch einmal, wo diese… Abweichungen aufgetreten sind.“ Der Kirchenobere nennt seinem Gesprächspartner ein weiteres Mal den Namen des Ortes, sagt, dass der Mann, von dem in Berlin die Strahlung ausgegangen ist, bereits ausfindig gemacht werden konnte. „Ist schon eine Befragung durchgeführt worden?“ „Vorbereitungen diesbezüglich werden bereits in die Wege geleitet.“ „Benötigt ihr dabei Unterstützung?“ „Ich denke nicht, nein.“ „Gut.“ Das Gespräch pausiert. Der den Namen Roland trägt überlegt, gräbt in seinen Erinnerungen. Dann: „Bei dem Namen des Ortes… Irgend etwas war dort vor einiger Zeit vorgefallen.“ „Ich wüsste jetzt nichts, was in dem Zusammenhang…“ „Schriften!“ schallt es da aus dem Lautsprecher. „Dort hatte jemand Schriften verbreitet, in denen er die Übereinkünfte und Gesetze als Lügen bezeichnete!“ „Ich kann Dir nicht ganz folgen, was das jetzt…“ „Glaubst Du an Zufälle?“ „Was? Nein, selbstverständlich nicht! Alles ist durch die Hand Gottes…“ „Ja,ja,ja“, fährt ihm der Andere unwirsch ins Wort, um dann weiter auszuführen: „Vor etwa sechs Jahren wurden diese Pamphlete dort verteilt, und nun, an eben diesem Ort, kommt es zu diesen Phänomenen…“ „Roland, wir müssen davon ausgehen, dass solche Erscheinungen auch an anderen Orten geschehen; nur dass wir davon keine Kenntnis erhalten. Hier nun haben wir es der Aufmerksamkeit eines Kirchendieners zu verdanken – und in dem anderen Fall war es…“ „Fügung des Schicksals?“ „Wenn Du es so nennen willst, ja.“ „Wieder gibt es eine Pause zum Sammeln der Gedanken. „Ist es erforderlich, das Institut über die Vorkommnisse zu unterrichten?“ „Weshalb?“ „Im Falle der Nichteinhaltung der physikalischen Gesetze könnte es für die Wissenschaft von Interesse sein.“ „Darüber entscheiden wir, wenn wir in Erfahrung gebracht haben, um was genau es sich bei den Abweichungen handelt...“
Zweiter Teil
He`s got a Movement in his Cellar, he`s a Danger to the State. Watch out for the normal People (Robert Geldof/the Boomtown Rats)
Khalil hat das Zündrad eines Einwegfeuerzeugs betätigt. Im Licht der aufleuchtenden Flamme sieht er die Gesichter von Georgina und George, die ihm gegenüberstehen. „Wir haben Licht vergessen.“ „Ja, und besonders groß ist der Raum auch nicht geworden.“ „Und wir bräuchten vielleicht auch etwas zum Sitzen…“ „Gut, dann weiter.“ George öffnet die Tür, und sie gelangen in einen anderen Raum. Als Georgina auf den Lichtschalter drückt, wird der Kellerraum von einer plastikverkleideten Neonröhre erhellt. Die Steinmauern sind weiß gekalkt, in der Mitte des Raumes stehen Stühle, verschiedenfarbig gestrichene Holzkisten und ein niedriger gelber Tisch. „Und was soll das da?“ fragt Georgina und deutet auf einen rostroten Boiler. „Die Heizung“, antwortet Khalil, was die Frau hell auflachen lässt. „Das ist eine Gastherme! Du bist mir vielleicht ein Träumer. Ohne Heizkörper bringt die uns nichts.“ „Wir üben ja noch. Sitzgelegenheiten sind ja wenigstens da. Und ein Tisch…“ George stellt darauf den Gedankenspeicherapparat ab und setzt sich auf eine der Holzkisten. „Mist, ich hätte ja auch an was zu essen denken können“, entfährt es Khalil. „Und an ein Weinregal“, fällt George jetzt noch ein. Georgina schüttelt darüber den Kopf und nimmt auf einem der Stühle platz, holt erstmal einen Tabakbeutel aus ihrer Wildlederjacke. Khalil staunt. „Vorhin in der Küche hattest Du doch noch einen Poncho an…“ „Ja, ich hab noch schnell daran gedacht, mich umzuziehen. Könnt schon ein bisschen frisch hier werden, so ohne viel an.“ „Oh mensch!“ Khalil greift in die Taschen seines Bademantels, als könne er dort außer dem Feuerzeug noch etwas Brauchbares finden. „Naja, wir werden hier ja wohl nicht ewig bleiben.“ „Denk dran, dass wir hier ein anderes Zeitempfinden haben“, macht Georgina ihm zur Sicherheit noch einmal bewußt, was den Mann ins Grübeln bringt. „Was heißt, dass die Zeit hier schneller vergehen kann als in der Realwelt? Oder aber auch langsamer…“ „Wir empfinden das lediglich so“, erinnert Georgina Khalil erneut an ihre bisher gemachten Erkenntnisse. „Uns kann es so vorkommen, als würden Tage vergehen, obwohl wir tatsächlich vielleicht erst ein paar Minuten hier sind.“ „Und andersherum? Dass einige hier verbrachte Minuten in der Wirklichkeit ein oder mehrere Tage sind…“ Georgina beleckt die Klebeseite ihres Blättchens und rollt den Tabak ein. „Hast mal Feuer?“ Khalil reicht der Frau das Feuerzeug, und bekommt von ihr gesagt, dass sie so eine Erfahrung bisher noch nicht gemacht habe, worin Khalil ihr zustimmt. „Und bis dahin bleibt es eine Vermutung“, lässt George sich vernehmen. „Ein Gedankenkonstrukt“, bestätigt Khalil. „Eine Theorie“, benennt es Georgina und beginnt, vor sich hinzusummen. „Was ist das?“ wird sie von Khalil gefragt, doch sie kann sich nicht erinnern. „Irgendein Hit aus den 80ern…“ „Aber es spricht doch nichts dagegen, zwischendurch mal den Keller zu verlassen, oder?“ hakt Khalil noch einmal nach, doch George ist der Ansicht, dies möglichst zu unterlassen, da die Gefahr zu groß ist, von Denjenigen, die sie verfolgen, aufgespürt zu werden. „Das klingt gruselig, so wie Du das sagst.“ Georgina streift ihre Selbstgedrehte in einem Aschenglas ab, das sie auf einmal in der Hand hält. Khalil deutet darauf, sagt „an was Du alles gedacht hast“. Georgina schickt ihm ein zuckersüßes Lächeln und zwinkert lustig mit ihren Augen. „Willst Du Dich nicht setzen?“ Erst jetzt bemerkt Khalil, dass er immer noch dasteht wie bestellt und nicht abgeholt, lacht etwas verunsichert darüber und sucht sich nun ebenfalls einen Platz, wobei seine Wahl auf eine der Holzkisten fällt. Wieder lacht Georgina. „Ja, so gefällt mir das! Ihr sitzt niedriger als ich“, was Khalil zu der Aussage verleitet „wir sind Ihre Diener, Mylady“, und George wagt, noch einen Schritt weiterzugehen: „Wir waren unartige Buben, und Du musst uns jetzt den Hintern versohlen.“ Die Taubenfuß steigt in das Theater ein, singt „womit denn, o Georgie, o Georgie, womit?“ „Nimm die Hände, Georgina, Georgina, nimm die Händ`“ führt erst Rabenvater den Nonsens fort, dann Khalil: „Aber die Hände, die braucht sie, die braucht sie, die Hände, die braucht sie ja noch.“ So vertreiben die Drei sich die Zeit, welche, da ist es nun egal ob Traum oder nicht, sich in solcherart Situation zäh zieht. Es werden Gespräche geführt über die Arbeit – George kündigt an, dass er in der Fabrik zur nächsten Schicht aufhören wird – ein bisschen über ihre Vergangenheit, das, was sie noch nicht voneinander wissen, und es folgen Rätselfragen und Witze in Abwechslung. Und auf einmal befindet sich jemand Viertes in dem Raum. Die Drei werden ihn zeitgleich gewahr, und da stellt er sich auch schon vor: „Hi, ich bin Alexander Tagthetruth. Seid ihr die, die mit mir im Traum Kontakt aufgenommen haben?“ Die dort Sitzenden verneinen bedauernd. Nein, davon wissen sie jetzt nichts, aber das soll ja nichts heißen, höchstwahrscheinlich wird er ihre Energien wahrgenommen haben. Alexander nickt und berichtet von einem weiteren Traum, in dem er von noch Jemandem Gedankenströme empfangen habe. Er geht davon aus, dass es sich um einen Mann handelt. „Weißt Du, wo dieser Jemand sich aufhält?“ wird er von George gefragt. „Ich habe ihn in einem Behälter liegen gesehen“. Alexander muss bei dieser Vorstellung daran glucksend lachen. „Es sieht aus wie ein blinkendes Ei.“ „Der Samadhi-Tank“ ruft George da aus, und „was hat er zu Dir gesagt?“ „Er sagte… er müsse die Naguals finden.“ „Die Naguals? Was ist das?“ fragt Khalil George und Georgina, als wäre der neu Hinzugekommene gar nicht anwesend, und Georgina weiß „das sind Schutzgeister. Es gibt sie in unterschiedlichster Form in vielen alten Glaubensrichtungen.“ „Ja. Und der Typ in dem Tank sucht nach euch.“ „Muss ne Verwechslung sein“, behauptet Khalil, „wir kennen keinen Typen, der in nem Ei wohnt.“ „Aber er kann uns behilflich sein für die Konstruktion des Samadhi-Tanks“, gibt da George zu bedenken, und Georgina stimmt ihm zu. „Ja genau, für die Waldhütte.“ „Also gut.“ Khalil wendet sich dem Jungen zu. „Wie erreichen wir ihn?“ Alexander zuckt mit den Schultern. „Er sagte, über einen… Traumaufzeichner?“ „Ja, da wird der Hund aber in der Pfanne verrückt“, entfährt es da George. „Woher weiß der denn von dem Apparat?“ Die Frage ist an niemand Spezielles gerichtet, und so fühlt sich auch niemand bemüßigt, ihm eine Antwort darauf zu geben, wobei anzunehmen ist, dass keiner der der Drei eine Erklärung parat gehabt hätte, lediglich Mutmaßungen, aber die helfen bekanntermaßen bei der Wirklichkeitsfindung auch nicht groß weiter. „Hat er sonst noch irgend etwas gesagt?“ will Khalil von dem Burschen weiter wissen, erntet jedoch nur Kopfschütteln. „War da nicht mehr oder weißt Du es nicht mehr?“ „Ach mensch, Khalil“, bremst Georgina den Mann, „das führt doch jetzt auch zu nichts.“ Nun summelt auch George vor sich hin und überlegt, laut, für sich: „Wie, hat er sich gedacht, was hat er sich gedacht“, und dann fällt ihm eine Lösung ein, aber „ich habe kein Werkzeug, um den Kasten zu öffnen.“ „Was brauchen Sie denn?“ „Im Grunde lediglich zwei Schraubendreher: einen Kreuz und einen Schlitz.“ Alexander Tagthetruth kramt in einer Seitentasche seiner Messenger-Bag, holt das Gewünschte hervor. „Hier, geht das?“ „Perfecto.“ George beginnt, an der GAM herumzuschrauben, summt nun das Thema von Georgina weiter, und da fällt es ihr ein: „I still haven`t found, what I`m looking for!“ und da fängt George gleich an zu interpretieren: „I have climbed highest Mountains, I`ve run through the Fields…“ „...only to be with you, only to be with you“, übernimmt Khalil den Part, und dann, alle drei, konzertiert: „but I stiiiill haven`t found what I`m looking for“, und Alexander denkt ‚bei was für Verrückten bin ich hier eigentlich gelandet?‘ Mittlerweile hat George das Kästchen geöffnet, entnimmt ihm die Spule und überreicht sie Alexander. „Darauf sind unsere bisherigen Träume aufgezeichnet. Überbringe sie dem Mann und bitte ihn, uns darauf eine Botschaft zu hinterlassen, und komme dann zu uns zurück.“ Tagthetruth nimmt die Spule entgegen und bestätigt durch ein Nicken, dass er der Aufforderung nachkommen wird. „Aber währenddessen können wir unsere Träume und Gedanken nicht speichern“, gibt Khalil zu bedenken, woraufhin George entgegnet, dass momentan sowieso nichts Weiterführendes passieren wird, und dass der junge Mann, Alexander, ja in wenigen Augenblicken wieder hier sein wird, womit, soviel sei hier verraten, der Rabenvater sich etwas verkalkuliert hat.
Auf dem Nachhauseweg geht Rafael Kellner der Mann mit dem Jesuskreuz nicht aus dem Kopf. Was war der Grund für seinen plötzlichen Aufbruch gewesen, fragt er sich. Und warum hat er die Große Kraft erwähnt? Rafael ist so in Gedanken versunken, dass er beinahe bei rot über eine Straße gegangen wäre. Verflixt noch eins. Er sollte am besten diesen ganzen Kram vergessen. Was maß er diesen Träumen überhaupt so eine Bedeutung bei? Zuhause rührt Rafael sich einen Instantkaffee an, schaltet den Fernseher ein und guckt zwei Folgen Simpsons. In der Nacht schläft er traumlos. Am Morgen frühstückt er, beschließt, nicht in die Bibliothek zu gehen und keine weiteren Nachforschungen hinsichtlich irgendwelcher Traumbotschaften anzustellen. Stattdessen sucht er das Hallenbad auf, schwimmt seine Bahnen, duscht, gönnt sich anschließend bei McDonalds einen Cheeseburger, trinkt dazu eine Cola. Währenddessen überlegt er, wie er den weiteren Tag verbringen könne, zieht in Erwägung, nochmal bei den Basketballjungs vorbeizuschauen, verwirft den Gedanken jedoch wieder. Vielleicht doch mal beim Arbeitsamt reingucken und spicken, ob irgendetwas brauchbares dort ausgehängt… Spinnst Du?! Ruft ihn da sein Gewissen zur Ordnung. Als wüsstest Du nichts mehr mit Deinem Leben anzufangen! So streift er weiter durch die Stadt, fährt ein paar Stationen mit einer U-Bahn, steigt irgendwo aus, latscht dort herum, guckt in Schaufenster, holt sich beim Bäcker zwei Brötchen und füttert damit Enten an einem See im Park. An einer Litfaßsäule sieht der Mann ein Plakat hängen, das Werbung macht für eine Literaturveranstaltung. Dort geht er am Abend hin, schaut sich die auftretenden Künstler an - lediglich eine Frau ist unter den zehn Lesenden dabei - trinkt zwei Bier und lauscht gebannt einer Geschichte, in der ein Typ durch die Geheimpolizei beschattet wird, weil er verbotenes Schriftmaterial unter die Leute gebracht hat. Der Typ flieht aus dem Land, erreicht sein Ziel, wo er bei einer Bergwanderung auf einen Mann trifft, der sich ihm als Hassan i Sabah vorstellt. Dieser erzählt ihm über seinen Glauben, in dem Gott eine verborgene Kraft darstellt, zu der die Gläubigen durch Meditation in Verbindung treten können. Am Ende dieser Begegnung, liest der Mann weiter, „ist es Nacht geworden, und am Himmel konnte ich die Plejaden sehen.“ Später will Rafael ein Gespräch mit dem Mann suchen, ihm sagen, dass eine Verbindung zu der Gotteskraft seines Erachtens über Träume möglich sei. Als er jedoch sieht, dass bereits ein Mann und eine Frau bei dem Mann stehen und sich angeregt mit ihm unterhalten (scheinbar kennen sie sich), überlegt er es sich anders und verlässt den Club. Es vergehen einige Wochen. Rafael hat sich drei Schallplatten zugelegt: Guadalcanal diary ‚2x4‘, U2 ‚the Joshua Tree‘ und ‚Tubular Bells‘ von Mike Oldfield. Am Abend macht er sich ein Bier auf, stellt eine Schüssel Erdnussflips bereit, und legt eine der Scheiben auf den Plattenteller, startet mit dem Bewegen des Tonarms den Apparat, setzt die Nadel auf den Anfang der Rille. Das erste Lied spielt, und danach, die Mitsinghymne: ‚I had spoke with the Tongue of Angels/I had held the Hand of the Devil/ it was warm in the Night/I was cold as a Stone…“ Rafael nimmt eine Handvoll von den Flips, dazu einen ordentlichen Schluck aus der Pulle, schließt die Augen, und sieht sich gleich darauf in dem Kellerraum, zusammen mit dem Geschichtenerzähler und dessen befreundetem Pärchen. „Also, dass geht hier ja zu wie bei der Flugabfertigung“ bemerkt Khalil, und George fragt „sind Sie der Mann mit dem Samadhi-Tank?“, was von dem neu Hinzugekommenen mit einem Kopfschütteln verneint wird. „Wo...wo bin ich hier...und was machen Sie hier?“ „Zuvor würden wir gerne erfahren, wie Sie hierher gekommen sind“, stellt George klar, was von Rafael nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann. „Eben war ich noch...zuhause und habe Musik gehört, und jetzt… was ist das hier?“ „Ein Keller“, antwortet ihm Khalil, aber dies hätte sich Rafael auch noch selber zusammenreimen können. „Wir werden Sie gleich aufklären“, hört er den einen Mann sagen, der, ebenso wie die Frau, Straßenkleidung trägt. Der Andere ist in einen Bademantel gehüllt und trägt Schlappen an den Füßen, was die Situation noch eine Spur befremdlicher erscheinen lässt. „Eine Frage habe ich noch: welche Musik haben Sie gehört?“ „Was?“ Rafael weiß beim besten Willen nicht, was diese Frage zu bedeuten hat, denkt aber nach, braucht tatsächlich eine Weile, bis es ihm einfällt. „U2. Eine Platte von U2 hatte ich mir aufgelegt.“ „Warten Sie, lassen Sie mich raten. Still haven`t found what I`m looking for?“ Und als Rafael etwas perplex mit ‚ja‘ antwortet, ist die Reaktion darauf sehr gemischt. Während der Mann, der das Lied genannt hat, sich über die richtige Antwort freut, ebenso wie die Frau, scheint der Typ im Bademantel über die Auflösung nicht sehr erbaut. „Das bedeutet ja, dass unsere Gedanken nach außen dringen, was aber eigentlich nicht der Sinn dieser Übung hier ist, oder?“ „Ich denke, es zeigt, dass unser neuer Freund hier unsere Energiewellen trotz der Vorsichtsmaßnahmen empfangen konnte – der Mittler gewissermaßen war in diesem Fall ein Lied – was nur bedeuten kann…“ Und damit geht George auf Rafael zu, streckt ihm die Hand entgegen, „...dass er die gleichen Fähigkeiten besitzt wie wir. Hübsch, Dich zu sehen!“ Zaghaft wird die Hand von Rafael ergriffen. „Wie? Ich verstehe immer noch nicht…“ George Rabenvater erklärt die Zusammenhänge, stellt sich und die anderen beiden vor. Als Rafael von seinen Träumen erzählt, zeigen die Drei sich positiv überrascht. Offen aber bleibt die Frage, wer der Mann ist, von dem der Ratschlag kommt, Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen. „Diese Frage wird uns hoffentlich dieser Alex beantworten“, meint Khalil. „Sofern er denn wiederkommt.“ „Bleiben Sie doch ein bisschen bei uns“, wird Rafael von George eingeladen, „oder haben Sie bei sich zuhause irgendetwas auf dem Herd stehen, das anbrennen könnte?“ Rafael muss wieder einen Moment darüber nachdenken, kann dann verneinen. „Und was hat das mit dem ‚Hübsch-Dich-zu-sehen‘ auf sich?“ „Oh, wir geben unseren Traumkörpern Namen. Der ist mir eben ganz spontan eingefallen, vielleicht, weil Sie Ähnlichkeit haben mit einem…“ George kommt jetzt nicht drauf, und Hübsch-Dich-zu-sehen wendet sich an Khalil. „Und Sie sind im Traum diesem Hassan i Sabah begegnet?“ „Es ist die Geschichte von Jemandem, der hier einmal gewohnt hat, also hier in der Gegend.“ „Und Sie haben diesen Menschen gekannt?“ Darauf gibt Khalil ihm keine Antwort. „Also eigentlich duzen wir uns hier“, bemerkt Georgina, worauf Hübsch-Dich-zu-sehen ihr die Hand reicht. „Gerne, ja. Ich bin Rafael, von jetzt an Hübsch-Dich-zu-sehen.“ Ihm gefällt der Name, und auch die momentane Situation, immer besser. Als Alexander Tagthetruth wieder bei ihnen erscheint, wird er von Khalil als erstes nach der Zeit „da draußen“ gefragt. Dazu könne er nichts sagen, antwortet ihm Alex, da er lediglich die Traumebenen gewechselt habe. George ist neugierig zu erfahren, was Alexander ihnen mitgebracht hat. „Eine Botschaft...“ Tagthetruth holt die Spule aus seiner Tasche, reicht sie dem Rabenvater. „...Von D.B.“ „So nennt sich der Herr?“ George baut die Spule wieder in das Kästchen ein. „Wer möchte?“ Da sich niemand meldet, befestigt er die Drähte bei sich an der Kopfhaut, betätigt den Hebel, schließt seine Augen. Georgina bedeutet Alexander und Hübsch-Dich-zu-sehen, währenddessen still zu sein. Khalil weiß dies bereits, und verhält sich ebenso. Schon kurze Zeit später öffnet George die Augen wieder, nimmt die Drähte ab und stellt den Apparat aus. „Wir sollen einen Samadhi-Tank erschaffen. Damit, so sagt D.B., können wir in eine andere Traumebene gelangen und dort eine Frau namens Susha treffen, die wiederum mit ihm in Verbindung steht.“ „Gut. Ja, dann… stellt sich mir die Frage, warum Alex mit diesem D.B. kommunizieren kann“, sinniert Georgina. Dieser zuckt mit den Schultern, als alle ihn erwartungsvoll anschauen. „Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich ein Freier Radikaler?“ Darüber zeigt sich George amüsiert. „Wie auch immer. Dank D.B. haben wir die Informationen über den Floatingtank. Bleiben wir bei der Variation mit der Waldhütte?“ Einstimmiges Nicken. „Na, dann los!“ „Denk an den Gesa“, wird George wieder von Khalil erinnert. „Wo ist Alexander geblieben?“ Georgina öffnet die Tür, schaut hinaus. „Hier ist er auch nirgends.“ „Ob wir ihm trauen können?“ fragt Khalil. „Ich denke schon. Er macht einen vertrauenswürdigen Eindruck.“ George hat den Gesa mit dem Tank verbunden, öffnet den Deckel des Floatingtanks, hält seine Hand in die darin befindliche Flüssigkeit, nickt anerkennend. „Hat sogar die richtige Temperatur. Wie sieht`s aus? Ladys first?“ Ohne Umschweife beginnt Georgina sich zu entkleiden, legt sich in das Salzwasser, bis nur noch ihr Gesicht herausschaut. „Fertig?“ „Roger.“ George schließt den Tank, dreht die Sanduhr um, die auf einem dreibeinigen Tischchen steht. „Wer möchte noch ein Bier?“ Khalil geht zu dem Kühlschrank. Zwischenzeitlich hat auch er sich umgezogen, trägt nun Jeans und einen Kapuzenpullover. „Oh gerne, wenn da ist, aus Flaschen.“ „Halt, warte“, ruft da George, „bevor Du den Kühlschrank aufmachst: mir steht der Sinn nach einem Glas Rotwein.“ Khalil deutet zu einer zweiten Tür gegenüber dem Eingang. „Da befindet sich die Speisekammer. Rotwein aus dem Kühlschrank ist wohl nicht so der Bringer…“ Rabenvater klatscht begeistert in die Hände. „An alles gedacht, diesmal!“ „Bevorzugst Du eine bestimmte Marke?“ „Was? Nein. Wieso?“ „Na, noch habe ich den Kühlschrank nicht auf.“ Hübsch-Dich-zu-sehen braucht eine Weile, dann macht es bei ihm klick. „Achso ja, die Imagination. Dann hätte ich gerne ein Sternburger.“ „Kommt sofort.“ Währenddessen überlegt George sich den Inhalt der Speisekammer, wendet sich an Khalil und Hübsch-Dich-zu-sehen. „Irgendwelche Wünsche?“ Khalil reicht die Halbliterflasche weiter, hat für sich wie gewohnt eine Dose herausgeholt. „Denk an ein Glas – oder besser an zwei, falls Georgina auch eins will.“ „Ne Tüte Chips wär toll“, fällt Hübsch-Dich-zu-sehen ein, und schon macht George die Tür auf, schaut zufrieden, nimmt eine Flasche vom Regal, sowie zwei Gläser und die gewünschte Chipstüte, und als er die Speisekammer wieder geschlossen hat, fällt ihm ein „Mist! Kein Korkenzieher!“ Da holt Hübsch-Dich-zu-sehen ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche, reicht es George. „Hier. Ist ein Korkenzieher dran.“ O mensch, toll! Wir sind schon ein gutes Team, was?“ Während die Drei trinken und ab und an in die Chipstüte greifen, verrinnt der Sand in dem Stundenglas. Khalil macht George darauf aufmerksam, der erhebt sich von der Sitzbank, klopft gegen den Tank, und nach einem kurzen Moment des Wartens wird das Klopfen erwidert. So macht er den Behälter auf, Georgina entsteigt ihm wie Venus aus der Muschel oder Susanna ihrem Bade, fragt nach Handtüchern. „Vergessen.“ „Gut, dann… laufe ich draußen herum, bis ich wieder trocken bin. Bis gleich…“ Alexander Tagthetruth sitzt auf der Rasenfläche des Stadtparks. Er ist allein. Es ist später Abend oder vielleicht ist bereits die Nacht hereingebrochen. Die Sterne funkeln, und auch der Mond ist zu sehen. Es ist ein heißer Sommertag gewesen. Nun hat die Luft sich abgekühlt, und es weht ein leichter Wind, der das Laub der Bäume bewegt. Fledermäuse schwirren umher und sind auf der Jagd nach Insekten. Zusammengekauert sitzt Alexander da, die Arme hat er um seine bis an die Brust herangezogenen Beine geschlungen. Trotz der lauen Abendtemperatur durchläuft ein Zittern seinen Körper. Er hat Angst. Er weiß nicht, was es ist, aber er spürt die negativen Kräfte, die im Verborgenen lauern, seinen Atem schwer gehen lassen. Da sieht er etwas, das sich ihm nähert. Aus der Dunkelheit. Es ist eine Gestalt, die auf ihn zukommt. Schweiß bricht ihm aus. Alexander will aufstehen und abhauen. „Alex? Bist Du das?“ Er meint, die Stimme zu erkennen, verharrt, und dann steht da der Treckernomade vor ihm. „Mikesch!“ „Alexander! Was um alles in der Welt machst Du hier alleine? Wir haben uns gefragt, wo Du geblieben bist.“ Alex weiht den Compańero in seine letzten Erlebnisse ein. „Das ist ja völlig abgefahren! Ich schlage vor, wir schauen bei dem Geschichtenschreiber vorbei, und Du erzählst ihm…“ Dies wehrt Alexander entschieden ab. Dadurch, so begründet er seine Entscheidung, bestünde die Gefahr, dass sie seinen Aufenthaltsort herausbekommen würden. „Aber wer um alles in der Welt sind ‚sie‘?“ Das weiß Alexander nicht zu sagen. Aber er ist sich sicher, dass sie ihm und den anderen Träumenden auf der Spur sind. „Paranoia?“ versucht Mikesch einen Scherz, worauf Alexander erwidert „auch wenn Du nicht paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter Dir her sind“, worüber der Treckernomade kurz nachdenken muss, und dann fällt ihm etwas ein. „Ich weiß, wo wir jetzt hinfahren…“ „Also dann, George: viel Spaß! Und denk dran, dort ist es das Ponee, mit dem Du zusammentreffen wirst.“ Georgina hat nicht verraten wollen, welch ein Szenario sie sich ausgedacht hat, in dem George und sie der Frau mit dem Namen Susha begegnen werden, dies mit der Begründung, Khalil und auch Hübsch-Dich-zu-sehen damit nicht im Erbauen ihrer Traumwelten zu beeinflussen. „Dann können wir also hinreisen, wohin wir wollen?“ Dies bestätigt Georgina, was Hübsch-Dich-zu-sehen „da wüsste ich schon was“ entlockt. Auf die Frage Khalils, was ihm denn so vorschwebe, erwidert er „das verrate ich nicht“, was Georgina, mittlerweile bekleidet und Rotwein trinkend, beifällig lachen und Khalil etwas beleidigt dreinschauen lässt. George weist noch darauf hin, an die Sanduhr zu denken, und dann hat Georgina den Deckel zugemacht.
Es ist eine kleine Wiese, die hinter einem Gasthof mit Hotelbetrieb liegt. ‚Zum Dorfkrug‘ ist auf einem Holzschild zu lesen. Auf der Wiese ist eine Bühne aufgebaut, sowie eine Handvoll Stände, an denen Essen und Getränke feilgeboten werden. Auf einer Hüpfburg toben mehrere Kinder herum. Zur Zeit spielt Musik aus der Konserve; Bob Marley singt „and then Georgie would make a Firelight, as it was Love would burn in through the Night“, und dann erblickt George auch schon Georgina. Auch das Ponee hat den Rabenvater entdeckt, winkt ihm fröhlich lachend zu. Sie trägt ein langes, blau gefärbtes schulterfreies Kleid und einen Strohhut mit einer Sonnenblume dekoriert. George meint, von irgendwoher den charakteristischen Geruch von Marihuana zu vernehmen. „Ich grüße Dich...Georgina.“ Sie hält dem Mann ihre eben noch winkende Hand hin, die er ergreift, dabei einen Handkuss andeutend. George lässt sich neben der Frau nieder. „Wie schön! Die Fußnägel passend zum Kleid lackiert…“ Georgina nimmt einen Schluck von ihrem Bier, fragt, ob er auch etwas trinken möchte, was er ablehnt. „Im Augenblick nicht. Gerade eben habe ich Rotwein getrunken.“ „Aber fahren musst Du heute nicht mehr?“ „Was? Nein.“ „Ich bin mit dem Auto hier“, bekommt er da von Georgina zu hören, „aber ein oder zwei Bier werde ich wohl trinken dürfen. Wir sind ja bestimmt etwas länger hier.“ George zeigt sich überrascht. „Mit dem Auto, tatsächlich?“ „Klar, ja. Funktioniert ja auch. Ab und an kurve ich ganz gerne mal durch die Gegend.“ George lässt den Blick wandern, erblickt einen Cocktailstand, sagt, dass er jetzt doch auf einen Margarita Lust hätte. „Na, dann nichts wie hin.“ Etwas verlegen gesteht George der Frau, dass er kein Geld mit sich führt, was sie hell auflachen und gleich darauf in einer mitgeführten Handtasche kramen lässt. „Hier.“ Sie hält ihm ein perlenbesticktes Portemonnaie entgegen. „Aber nicht alles auf einmal ausgeben!“ George bestellt sich das gewünschte Getränk, kehrt zu Georgina zurück, gibt ihr die Geldbörse wieder. „Ich revanchiere mich irgendwann.“ „Prost.“ Sie stoßen an, Flasche gegen Glas, trinken. „Wie erkennen wir diese Susha überhaupt?“ will George unvermittelt wissen. „Wir wissen doch gar nicht, wie sie aussieht.“ „Ich denke, sie wird Kontakt zu uns aufnehmen.“ Die Bühne haben vier Musiker betreten und beginnen zu spielen, während vor der Bühne Menschen anfangen zu tanzen. „Guck mal, das könnte sie doch sein!“ George deutet mit seinem Kinn auf eine schwarzhäutige Frau mit Dreadlocks, die in sich selbst versunken nach den Klängen der Reggaeband tanzt. „Na, dann los, sprich sie an!“ In dem Moment wird Georgina von hinten umarmt, dreht sich zeitgleich mit George um und beide sehen eine hinter ihnen knieende Frau, mit einer orangerot gefärbten Igelfrisur und mit Kajal überbetont geschminkten Augen. „Georgina Taubenfuß und George… Rabenvater?“ „George Rabenvater stimmt. Ich bin Georgina Ponee.“ Über diese Klarstellung zeigt die Frau sich überrascht. „Dann gibt es zwei Traumkörper von Dir?“ „So sieht das wohl aus, ja.“ „Wow! Ach, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Susha von den drei Ebenen.“ George ergreift die hingehaltene Faust, was Susha witzig findet. Georgina dagegen kennt es und tackert ihre dagegen. „Oh, mein Lieblingsstück! Ich bin gleich wieder bei euch…“ Während Susha tanzen geht, wendet sich George an das Ponee. „Apropos: wie war das mit Khalil?“ „Ziemlich gut, ja.“ „Nein, ich meine, Du… das war dann ja auch ein zweiter Traumkörper.“ Georgina bewegt ihren Kopf hin und her. „Nein. Was da passiert ist, war eine Anomalie.“ „Eine was?“ „Herrgott, ich weiß es nicht! Bin ich Physikerin, oder was? Eigentlich hätte dies gar nicht passieren dürfen…“ „Hey, wie sieht´s aus? Habt ihr noch zu trinken?“ Georgina hebt ihre angetrunkene Bierflasche hoch, George sein Glas ist leer. „Ich glaub, so einen hol ich mir auch.“ George bedankt sich, sieht dabei zu, wie jetzt ein Mann mit der Dreadlockfrau tanzt. „Wer sind eigentlich all diese Leute?“ „Andere Träumende. Nur wissen sie nicht, dass sie sich in einem Traum befinden. Nehme ich mal an. Auch werden sich viele nicht mehr an diesen Traum erinnern.“ George fängt auf einmal an zu gniggern. „Was ist?“ „Seit wann rufst Du denn den Herrgott an? Machst Du sowas öfters?“ Georgina verdreht die Augen, sagt, dass es nur eine Redensart ist, so wie man ‚oh mein Gott‘ sagt oder sowas. „Damit fängt es meist an“, stichelt George hinterher. Ehe die beiden anfangen, sich deswegen in die Haare zu kriegen, kommt Susha mit den Cocktails, fragt „und alles gut bei euch?“ „Nein“, kommt als Antwort von dem Ponee. „Wir sollten jetzt zu den Dingen kommen, die es zu besprechen gibt.“ „Klar. Gerne.“ „Cat Woman!“ platzt es da aus George heraus, „aus ‚the great Rock`n Roll Swindle!‘“ „Bitte?“ „Daran erinnern Sie mich. An eine Darstellerin aus dem Film mit den Sex Pistols.“ Nein, den kenne sie jetzt nicht, sagt Susha. Sie habe sich so frisiert und geschminkt, weil sie David Bowie-Fan sei. „Die Ziggy Stardust-Phase… kennen Sie?“ „Aber ja, natürlich“, bestätigt George mit einem Seitenblick auf Georgina, die aussieht, als würde sie gleich platzen. „Allright, kommen wir zum Wesentlichen…“ Susha setzt sich zu ihnen, nippt an ihrem Cocktail. „Vor ein paar Tagen hat Diego von euch Energiewellen in seinem Tank gespürt, und da…“ „Diego?“ „Oh. Diego. D.B. Der Mann in dem Samadhi-Tank. Und nun will er euch gerne treffen.“ „Und warum… nimmt er nicht selbst Kontakt zu uns auf?“ „Das würde er gerne. Aber er besitzt keinen Traumkörper.“ „Dann kann er sich auch nicht in ein Krafttier verwandeln?“ „Nein.“ „Und über welche Fähigkeiten verfügt er?“ möchte Georgina von Susha wissen. „Er ist ein ausgezeichneter Liebhaber.“ „Hey, das ist ja schon mal viel wert!“ „Ja, das finde ich auch.“ George möchte wissen, weshalb es Alex möglich gewesen ist, Kontakt mit D.B. aufzunehmen. „Dies ist ja in einem Traum geschehen.“ Sushas Antwort, einen Alex kenne sie nicht, verunsichert die Beiden etwas. Daraufhin erklären sie Susha, dass durch Alexander der erste Kontakt zu D.B. mittels der Spule ihres Gesa hergestellt werden konnte. Durch Diegos Informationen ist es ihnen ermöglicht worden, einen Samadhi-Tank zu erschaffen, mit dem sie auf diese Traumebene wechseln konnten. „Ah, verstehe. Cool.“ „Kannst Du uns sagen, was… D.B. von uns möchte?“ stellt Georgina die nächste Frage. Susha sammelt ihre Gedanken, nimmt vorher noch einen Schluck aus ihrem Glas. „Es ist so: Diego ist der festen Überzeugung, dass die Menschheit dabei ist, den Planeten zu zerstören, und damit den Lebensraum für viele Lebewesen… Pflanzen, Tiere, und letztlich auch für sich selbst.“ Georgina und George stimmen dem zu, sagen, dass dies seit Jahrzehnten bekannt ist, es aber nicht zu einer wesentlichen Änderung geführt habe. „Richtig. Es gab immer wieder Phasen, in denen die Kräfte aus dem Gleichgewicht geraten sind. Und immer hat der Planet Erde es aus eigener Kraft geschafft, dies zu regulieren…“ Susha hält kurz inne, holt Atem, ringt um Worte. „Aber jetzt… besitzt Gaia nicht mehr genug Kräfte, um sich und die für die Existenz notwendige Energie am Leben zu erhalten…“ „Und was muss Ihrer Ansicht nach geschehen?“ will Rabenvater von der Frau wissen. „Habt ihr schon einmal von dem Moment der Stille gehört?“ Dies verneinen beide. „Wenn die Erkenntnisse der Wissenschaft mit den alten Überlieferungen übereinstimmen, muss das Kraftfeld der Erde neu justiert werden, um die Möglichkeit zu schaffen, die Energien wieder in Einklang zu bringen. Und dies kann nur gelingen, indem für eine kurze Zeit die Welt angehalten wird.“ „Was ist darunter zu verstehen?“ fragt Georgina nach, und Susha erklärt, dass nach dem jetzigen Stand der Dinge für einen gewissen Zeitraum – wie lange, geht aus den Berechnungen nicht genau hervor – sämtliche Aktivitäten, die in Verbindung mit Energieaufwendung stehen, unterbrochen werden müssen. „Weltweit?“ Susha überlegt, dann “ich denke schon, ja.“ „Welche Aktivitäten sind damit gemeint?“ fragt George nun nach. „Im Grunde alles, was mit Kommunikation und Bewegung zu tun hat.“ Georgina und George lenken zeitgleich ihre Blicke Richtung Bühne. „Ja“, interpretiert Susha ihre Gedanken, „Musik ist letztlich auch eine Art der Kommunikation.“ „Und wie soll das bitte bewerkstelligt werden?“ hakt Georgina hinterher. „Im Grunde ganz einfach: mittels des Einsatzes von Gedankenkraft.“ Georgina und George schauen etwas ratlos drein, das Ponee bewegt zweifelnd ihren Kopf, fragt, ob so etwas bereits durchgeführt worden ist, und bekommt von Susha zu hören, dass so ein Sachverhalt ihr jetzt nicht bekannt sei.. „Ich höre es klopfen! Es ist Zeit, dass ich zurück muss.“ George steht auf, lässt seinen Blick schweifen, erblickt etwas für seine Zwecke Geeignetes, verabschiedet sich mit den Worten „ich denke, wir werden noch weitere Gespräche führen müssen“, und strebt dem am Rande der Wiese aufgestellten Dixi-Klo entgegen.
Alexander steht vor dem Regal und liest die Titel der dort aneinandergereihten Taschenbücher. Der Treckernomade hat sich derweil auf das Sofa geflezt und krault eine schwarzweiss-gestreifte Katze. Faktor 4 hat Tee gekocht, stellt das Tablett mit der Kanne und den Bechern auf dem Tisch ab, schenkt sich und seinen Gästen ein. „Das ist alles Science-Fiction-Literatur?“ wird von Tagthetruth gefragt. „Überwiegend, ja. Auf der anderen Seite steht auch noch was anderes.“ Alex geht um das Regal herum, guckt interessiert dort weiter. „Was ist das für Tee?“ will Mikesch wissen und bekommt als Antwort „Earl Grey, der Lieblingstee von Captain Picard“, worüber er amüsiert den Kopf schüttelt. Er sei jetzt nicht so der Trekkie, lässt der Mann verlauten, er schaue lieber die Lindenstraße. „Oh, Werke von Carlos Castaneda“, ist die Stimme von Alexander hinter dem Bücherregal zu vernehmen. „Habe ich in den 80ern mal gelesen, konnte aber nicht viel damit anfangen“, lässt ihn Faktor 4 wissen. Auch er hat an dem Tisch platz genommen, fängt an, gemeinsam mit Mikesch Pistazien zu knacken. Alexander setzt sich dazu, trinkt von dem Tee und nimmt eine der Nüsse, wirft die Schalenhälften in einen dafür vorgesehenen Behälter. „Ich hatte gehofft, Du könntest uns in den Bereichen der – wie heißt das? Metaphysik? - ein wenig Nachhilfe erteilen...“ Die Katze ist von Mikeschs Schoß gesprungen, reibt sich nun schnurrend an einem von Alexanders Beinen. „...Auch weil Du bei den Gesprächen im Foyer ja einiges gewusst hast.“ Faktor 4 nimmt seine Brille ab, beginnt, die Gläser mit dem Zipfel seines Hemdes zu putzen. „Es ist richtig, dass ich mich für alte Religionen und Mythologien interessiere. Jedoch bin ich auf der anderen Seite Wissenschaftler, und damit bleibt alles, was den physikalischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht, lediglich Gedankenkonstrukte.“ „In der Physik konnten immer wieder neue Theorien aufgestellt werden.“ Faktor 4 stimmt Alexander zu. „Aber Träume finden nun einmal lediglich im Kopf statt.“ „Ich wusste, dass ich mich in einem Traum befand. Und die Personen dort… erschienen mir alle real.“ „Beim luziden Träumen ist das wohl so, ja. Mir fehlt da leider die Erfahrung. Ich bin schon froh, wenn ich mich am nächsten Tag an meine Träume erinnern kann.“ „Aber was ist mit den Energiewellen“, schaltet sich Mikesch ein. „Wie ist das zu erklären?“ Wieder schüttelt Faktor 4 seinen Kopf. „Die elektromagnetischen Wellen aufgrund von Gehirnaktivität können durch direkt an der Kopfhaut angebrachte Sensoren als EEG aufgezeichnet werden.“ „In meinen Träumen gibt es einen Gedankenaufzeichner“, was den Wissenschaftler zum lachen bringt. „Ja, das ist Science Fiction! Ich will nicht ausschließen, dass dies in naher Zukunft einmal möglich sein wird.“ „Vielleicht finden Alexanders Träume ja in der Zukunft statt“, denkt der Treckernomade laut, worüber Faktor 4 erneut lachen muss. „Vielleicht ist er ja ein Zeitreisender.“ Alexander wird es nun zu bunt. Er bedankt sich für den Tee, sagt, dass ihn das Gespräch hier im Moment nicht weiterhilft, und will sich verabschieden. Auf die Frage von Mikesch, wo er denn jetzt hin will, antwortet Alex, dass er es noch nicht weiß. „Auf jeden Fall erstmal an die frische Luft.“ Doch so einfach will Faktor 4 den jungen Mann mit der Leopardenfellmütze nicht gehen lassen. „Hier, es ist das erste Buch von Farmers Flusswelt der Zeit. Darin wird erzählt, wie bekannte Persönlichkeiten aus verschiedenen Epochen in einer Art Jenseitswelt zusammentreffen.“ „Jenseitswelt“, murmelt Alexander, lehnt den Literaturtipp ab. „Ich denke nein. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass sich das alles im Diesseits abspielt.“ „Ja, möglich wäre es“, lenkt Faktor 4 ein, jedoch davon überzeugt klingt er nicht. „Also, bis demnächst vielleicht einmal.“ Alex wirft einen Blick zu dem Treckernomaden. Der ist damit beschäftigt, einen Joint zu fabrizieren. Und somit ist Alexander aus der Tür. „Ach, der wird schon wiederkommen“, spricht Faktor 4, und es klingt tatsächlich ein bisschen tröstlich, aber der Treckernomade lässt sich nicht beruhigen: „Hoffentlich finden die ihn nicht! Ich glaube ihm. Wenn er sagt, dass sie hinter ihm her sind.“ „Wer soll denn hinter ihm her sein?“ fragt Faktor 4, auch darüber amüsiert, „vielleicht Interpol?“ „Ja, wer weiß. Die Polizei aus der Interzone.“ „Ja, die sind gruselig“, bestätigt Faktor 4 und schenkt Beiden noch etwas Tee nach.
Nachdem George sich angezogen hat beschließen sie, die Waldhütte zu verlassen und in den Keller zurückzukehren. Dort erstattet der Rabenvater Georgina Taubenfuß, Khalil und Hübsch-Dich-zu-sehen Bericht, schließt mit den Worten „ich meine, dass ist eine Nummer zu groß für uns… zu groß für mich, wollte ich sagen. Ich kann ja nur von mir ausgehen“, doch Georgina pflichtet ihm bei: „Die Welt anhalten! Bin ich Superwoman oder was?“ „Ich bin auch raus“, meldet Hübsch-Dich-zu-sehen sich zu Wort. „Ich kehr jetzt zurück in meine Bude und hör mir noch meine Platten an…“ Und weg ist er. „Wir bleiben doch aber noch hier, oder?“ fragt Georgina nach, was George vorerst bestätigt. Khalil wiederholt, dass er ganz gerne die Echtzeit erfahren möchte, da er nun einmal wieder nach da oben müsse, weil am Donnerstag um sechs Uhr früh Arbeitsbeginn sei. Dies lässt George zu der Bemerkung hinreißen, ob Albert Einstein wohl jemals von solchen Entscheidungen beeinflusst worden ist. „Witzig, dass Du im Zusammenhang mit der Realwelt von ‚da oben‘ sprichst“, fällt dazu Georgina ein, worauf Khalil einlenkt, dass er ebensogut nach da unten hätte sagen können oder nach nebenan, und Georgina sagt, dass mit ‚da oben‘ die Assoziation mit dem Göttlichen naheliegt. „Die Realwelt als das Göttliche? Na, ich weiß nicht…“ „Doch, doch“ spinnt George Georginas Gedanken weiter. „Gemeint als Idealzustand, den es zu erreichen gilt: das Paradies auf Erden!“ „Ja, guter Gedanke! Den Garten Eden nicht erst nach dem Tod betreten zu dürfen, sondern bereits zu Lebzeiten.“ „Was den Assassinen ja angeblich im Rauschzustand ermöglicht worden ist“, fällt Khalil dazu ein. „Ich denke, dass der Schlüssel dazu die Erkenntnis darstellt“, meint Georgina. „Aber die zu erlangen wird dem Menschen schwer gemacht.“ „Durch Ablenkung, durch die Verbreitung falscher Informationen und falschem Wissen.“ „Aber wer hat daran Interesse?“ will Khalil nun wissen. „Und warum?“ „Auch bei dem Gespräch mit Susha sind einige Fragen offen geblieben“, merkt der Rabenvater an. „Hat sie gesagt, ob sie hier zu uns in den Keller kommen kann?“ fragt Georgina Taubenfuß nach. „Ich weiß es nicht. Wir können sie ja mittels einer Songline auf die Spur bringen. So wie bei Hübsch-Dich-zu-sehen.“ Khalil ist unterdessen immer unruhiger geworden, besteht darauf, zurückkehren zu wollen, und verabschiedet sich. „Klar. Gerne. Aber was?“ George schlägt vor, es mit einem Reggae auszuprobieren. „Auf dem Festival hat sie zu einem Stück von Bob Marley getanzt…“ Georgina kennt ein bisschen den Text vom Buffalo Soldier, fängt an, die Melodie zu summen und dann eine Strophe zu singen. George steigt etwas holprig ein, dann wiederholen sie, im Duett: „Said, he was a Buffalo Soldier/win the War for America/Buffalo Soldier, Dreadlock Rasta/fighting on arrival/fighting for survival/driven from the Mainland/to the Heart of the Carribean…“ „Na, das ist aber ziemlich sehr existentialistisch hier.“ George hebt grüßend die Hand, und als Georgina sich zu der Frau umdreht, die soeben durch die Kellertür hereingekommen ist, fällt ihr als erstes „Ziggy Stardust“ ein, was sie auch gleich laut ausspricht, um sofort darauf sich selber zu schelten, was für einen Blödsinn sie da von sich gibt. „George hat an irgendein Cat Woman gedacht“, was Georgina einen fragenden Blick zu dem Mann werfen lässt. Der winkt ab. „Nicht so wichtig.“ „Also, ich bin Susha von den drei Ebenen.“ Georgina streckt ihr die Hand entgegen, fragt, was es mit den drei Ebenen auf sich hat, und bekommt von Susha gesagt, dass damit die so genannte Realweltebene und die zwei Traumweltebenen gemeint seien. Georgina rechnet nach. „Also ich komme auf drei Ebenen, bislang. Diese hier, dann die Waldhütte mit dem Tank, und das Reggaefestival…“ „Der Keller hier und die Hütte gehören zu der von euch erschaffenen Traumwelt. Der Festivalort ist eine andere Traumwelt, die willentlich zu erreichen lediglich über den Samadhi-Tank möglich ist.“ „Dann befindest Du… Dein Realkörper sich jetzt in so einem Tank?“ „Nachdem ich einige Aufgaben zur Zufriedenheit Diegos erfüllt hatte, befand er mich bereit dazu, mit dem Floatingtank Bekanntschaft zu machen. Dadurch bin ich für die zweite Ebene justiert worden, sozusagen.“ Susha nimmt auf einer der Kisten platz, fragt, ob sie hier etwas zu trinken haben; so ein Alkopop wäre jetzt schick, doch Georgina schüttelt bedauernd den Kopf, und George rechtfertigt die fehlende Komponente mit „Frühversuch“. „Ach so, naja.“ „In der Waldhütte haben wir für Essen und Getränke gesorgt.“ „Mensch, in der Küche steht doch ein Kühlschrank!“ fällt da George ein, was Georgina ihre linke Hand an die Stirn schlagen lässt. „Stimmt, ja, die habe ich ganz vergessen“, und George fragt Susha, ob er ihr ein Bier holen solle, was die Frau mit einem Nicken bejaht. Auch die Taubenfuß ordert ein Bier, und so bewegt der Mann sich los, seinen Auftrag auszuführen, und die Frauen sind nun unter sich. „Hast Du Kinder?“ wird Georgina von Susha gefragt. Sie will zuerst verneinen, ihre Vergangenheit verleugnen, antwortet dann aber „Zwei. Einen Sohn und eine Tochter.“ „Wie alt sind sie?“ will Susha weiter wissen, und da muss Georgina eben überlegen. „Nick ist jetzt zehn, Cora neun.“ Susha hat ihr Zögern bemerkt, stellt eine weitere Frage, doch Georgina will oder kann sich dort jetzt nicht öffnen, sagt lediglich „die Kinder leben beim Vater“, und das muss genügen für den Moment. „Ich wünsche mir eine Tochter“ gibt nun Susha ein Stück von ihrem Inneren preis. „Aber noch ist nicht der richtige Erzeuger aufgetaucht.“ „Bist Du mit diesem D.B. liiert?“ „Nein. Aber ich habe ihm viel zu verdanken hinsichtlich meiner...Bewusstseinsentwicklung.“ „Soo, hier kommt das Bier.“ George verteilt die Flaschen, Georgina öffnet alle mit ihrem Feuerzeug. „Auf uns!“ „Auf das, was wir erschaffen!“ „Ja. Prost!“ Susha nimmt einen Schluck, sagt, dass sie zwischendurch mit Diego gesprochen habe, und der hat gesagt, dass er ein Gespräch mit Khalil führen will. „Er meinte damit ein Treffen in der Realwelt.“ „Dafür bräuchten wir dann seine Adresse.“ „Die werde ich Khalil in einem weiteren Traum zukommen lassen.“ Mit dieser Aussage ist Georges Verständnisfülle ausgeschöpft. „Wir haben doch nun alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um nicht aufgespürt zu werden. Zumal es sich hier doch um einen Informationsaustausch unter Gleichgesinnten handelt.“ „Diego ist übervorsichtig, da gebe ich Dir recht.“ Susha puhlt an dem Etikett der Bierflasche herum, überlegt, wie sie das Folgende formulieren soll, kommt schließlich damit heraus: „Er will erst sichergehen, dass es sich bei euch nicht um Nigromanten handelt.“ „Um...was?“ „Seher. Beherrscher der von der Kirche als Schwarze Magie bezeichneten Künste.“ Georgina muss bei diesen Bezeichnungen Lachen. „Willst Du damit sagen, er hält uns für Hexen und Zauberer?“ „Nein, nein! Darum geht es nicht! Als Nigromanten werden Diejenigen bezeichnet, die diese Fähigkeiten besitzen und sie in die Dienste beispielsweise der Kirche stellen, um Menschen wie euch aufzuspüren.“ „Menschen wie uns? Aber wir tun doch niemandem etwas zuleide.“ „In gewissen kirchlichen Kreisen werdet ihr als Abweichler bezeichnet.“ „In was für kirchlichen Kreisen?“ will es Georgina genauer wissen. „Glaubensgemeinschaften, die der festen Überzeugung sind, dass die Bibel das Wort Gottes ist und dass Gott das Universum, die Welt und alles Leben in sechs Tagen erschaffen hat. Menschen, die nicht an Gott und seinen Sohn Jesus Christus glauben, leben in Sünde und sind besonders empfänglich für das Böse. “ „Also irgendwelche Hardcorekatholiken“ interpretiert Georgina, was von Susha aber nicht uneingeschränkt bestätigt werden will. „Solches Gedankengut gibt es auch und besonders bei den Evangelikalen. Und nicht wenige dieser Bewegungen verfolgen die Bestrebung, wieder mehr Einfluss auf den Staat ausüben zu können. Verbündete dafür finden sie mitunter bei Adligen, die ihre 1920 abgeschafften Standesrechte wiedererlangen wollen. Mit Hilfe von Gottes Segen sozusagen.“ „Und solche...Nigromanten sind jetzt hinter uns her?“ fragt George zur Sicherheit nach, damit er auch nichts falsch verstanden hat. „Durchaus möglich, ja.“ George ist aufgestanden und geht in dem Kellerraum auf und ab, bleibt schließlich stehen. „Als ich von dem Gespräch mit Dir auf dem Festival zurückgekehrt bin, ist mir bewusst gewesen, dass… ich damit überfordert bin: die Welt anhalten. Den Moment der Stille herbeiführen…“ Er kratzt sich an der Stirn. „Wir haben alle unsere Zweifel bekommen. Hübsch-Dich-zu-sehen ist daraufhin zurück in die Realwelt.“ „Wer?“ „Na, der Typ aus Berlin.“ „Wir glauben, dass er uns über einen Telefonanruf vor eben jenen Kräften gewarnt hat“, fügt Georgina hinzu, wird jedoch von Susha berichtigt. „Das war Diego gewesen.“ „Wir wollen doch nur eine Traumwelt erschaffen“, klagt George. „Daran ist doch nichts Schlimmes. Oder?“ „Erinnerst Du Dich an unser Gespräch über das Paradies auf Erden?“ fragt Georgina ihn. „Und dass es den Menschen verwehrt wird, die dafür notwendige Kenntnis zu erlangen…“ „Negative Mächte haben sich der Lebensenergie bemächtigt, und haben daraus den Dämon Mammon erschaffen“, bekommen sie nun von Susha zu hören. „Und Mammon will, nein, er muss die Menschheit versklaven, damit er sein Schwert gegen die Erdgöttin Gaia erheben kann…“ Völlig entgeistert starrt George die dort auf einer Holzkiste sitzende Frau an, fragt, ob dies jetzt metaphorisch gemeint sei, was von Susha mit einem „nein, eher nicht“ beantwortet wird. Und erklärend fügt sie hinzu: „Für die Alten Griechen ist Gaia die Urgöttin gewesen. Das hat Diego und mir gefallen. Dass das Göttliche weiblich ist.“ „Und Mammon?“ will George wissen, der immer noch dasteht, als hielte er sich bereit, loszurennen und sich irgendwo zu verstecken. „Ja, das war schon bildlich gesprochen“, gibt Susha zu. „Mammon als Symbol für Reichtum und Gier und Macht.“ „Und warum Khalil?“ möchte Georgina von Susha wissen. „Was? Ach so. Na, weil er der Geschichtenschreiber ist.“ „Wie hatte er sich eigentlich zu den Ausführungen Sushas geäußert?“ George versucht sich zu erinnern; ihm fällt aber nur ein, dass Khalil darauf gedrängt hat, endlich die Echtzeit zu erfahren. Susha hat das Bier ausgetrunken, stellt die Flasche auf den Betonfußboden. „Überdenkt es, bitte, noch einmal! Ich würde mich freuen, wenn das Zusammentreffen zwischen Khalil und Diego zustande kommt.“ Susha winkt den beiden zu, öffnet die Kellertür, und verschwindet.
Als erste Handlung sucht Khalil einen Nachrichtensender in dem Fernsehgerät. Als der Mann das dort eingeblendete Datum und die Uhrzeit sieht, ist er erstaunt und gleichzeitig auch erleichtert. Ihm bleiben demzufolge ganze einunddreißig Stunden bis zu seinem Dienstbeginn. Zeit genug, in der er sich auf die Suche nach diesem Alexander Tagthetruth begeben kann. Vielleicht weiß der Treckernomade, wo er sich aufhält. Khalil lässt sich auf dem Bett nieder, erinnert sich an John, den Philosophen. Als er von seiner Neuseelandreise zurückkehrte, erfuhr er, dass in dieser Zeit John der Tod ereilt hatte. Diese Nachricht betrübte ihn; hatte er doch in den Gesprächen mit dem Philosophen einiges über sich selbst erfahren können. Khalil ist sich unschlüssig darüber, ob er zu den anderen in den Keller zurückkehren soll. Ihm liegt daran, die Traumwelt weiter aufzubauen. Und was hatte es mit diesen Kräften auf sich, die dies verhindern wollten? Wer hatte sie überhaupt davor gewarnt? Auch konnte er sich in die Waldhütte zurückträumen, und von dort aus versuchen, mit dieser Susha Kontakt aufzunehmen, in der Hoffnung, von ihr mehr zu erfahren. Aber dafür war es notwendig, dass der Traumaufzeichner sich noch in der Hütte befand. Bei dieser ganzen Grübelei überkommt den Mann der Schlaf, und er träumt, in Marokko zu sein. Er ist von einer Bergwanderung zurückgekehrt, sitzt nun im Gastraum des Hotels, hat sich Tajine bestellt. An einem Nebentisch sitzen zwei in Djellabas gehüllte Männer und spielen Backgammon. Als ihm sein Essen gebracht wird, fragt Khalil den Koch, was das Pentagramm auf der Landesflagge zu bedeuten hat. Der Mann sagt, es sei eine Abbildung des Siegels von dem weisen König Salomon. Khalil wacht früh am darauffolgenden Tag auf, duscht und rasiert sich, frühstückt, fährt anschließend mit dem Fahrrad los. Beim Treckernomaden trifft er niemanden an; Khalil vermutet, dass er mit dem Deutz unterwegs ist. Für einen Besuch bei Faktor 4 ist es noch zu früh, auch im Stadtpark vorbeizuschauen hat um diese Tageszeit wenig Sinn. So geht er einen Kaffee trinken, und fällt dabei den Entschluss, sich auf gut Glück in die Waldhütte zu träumen, findet dort den Gedankenaufzeichnungsapparat vor. Im Samadhi-Tank liegend gelangt er in einen Traum, in dem er auf Susha in dem Körper eines Krafttieres trifft. Dort erfährt er den Echtzeitaufenthaltsort von D.B. Da diesen Wohnort zu erreichen für Khalil mit dem Zug hin und zurück eine Tagesreise bedeuten würde, entschließt er sich, den Besuch auf das kommende freie Wochenende zu verlegen.
Rafael ist froh darüber, wieder auf sein Sofa zurückgekehrt zu sein. Nein, korrigiert er sich, er ist ja die ganze Zeit hier gewesen, lediglich seine Gedanken, sein Geist, oder was auch immer, haben sich auf eine Reise begeben. Als Jugendlicher hat er auf einer Party einmal Pilze probiert – nein, Peyote; war das nicht eine Kakteenart? Jedenfalls hat er unter der Wirkung der Droge ähnliche Erfahrungen gemacht. Seine Umgebung erschien ihm auf einmal verändert; auch die Partygäste sahen fremdartig aus, redeten anders. Er verließ das Partyhaus, ging hinaus auf die Straße. Von den am Straßenrand gepflanzten Bäume ging ein Leuchten aus, ebenso von den in den Gärten befindlichen Büschen und den dort wachsenden Rasenflächen. Er meinte damals, die Natur atmen zu sehen. Es war ein beeindruckendes Triperlebnis gewesen. Nun aber steht er nicht unter der Einwirkung von Drogen. Und um einen Flashback wird es sich jetzt nach zwanzig Jahren mit Sicherheit nicht handeln. Ein Traum ist es aber auch nicht gewesen. Nicht so ein Traum wie der mit dem Aborigine. Und auch nicht vergleichbar mit dem, in dem die Stimme ihm gesagt hat, er solle sich auf die Suche begeben nach Gleichgesinnten… Rafael greift nach der Flasche Sternburger, nimmt einen Schluck. Die Musikanlage ist immer noch angeschaltet, die Platte zum Ende gespielt, der Tonarm befindet sich wieder auf der Ablagestütze. Der Mann entschließt sich zu einem Spaziergang, zieht sich zur Sicherheit eine Jacke über, da die Luft sich im Laufe des Abends etwas abgekühlt haben könnte, packt sich zwei halbe Liter als Wegzehrung in den Rucksack, und geht los, die Straße entlang, gelangt irgendwann an eine Baustelle, will dort die über den Kanal führende Brücke überqueren. „Hübsch-Dich-zu-sehen?“ Der so Angesprochene wendet sich um, sieht an dem Bauzaun zwei Gestalten, die sich nun auf ihn zubewegen. Das gelbe Licht einer Straßenlaterne wirft ihre Schatten auf den Asphalt. Einer von ihnen trägt einen schwarz-weiß-karierten Hut. „Wir haben ein paar Fragen an Sie. Kommen Sie, unser Auto steht gleich in der Nähe…“ „Neinnein“, versucht sich Rafael nun herauszuwinden, „ich bin nicht der, den Sie suchen. Mein Name ist Kellner. Ich hatte nur…“ „Aber ja, das wissen wir doch. Sie müssen nicht beunruhigt sein. Wir benötigen lediglich Ihre Hilfe…“ Die Männer nehmen den Gesuchten zwischen sich, der Jüngere der Beiden umfasst seinen linken Oberarm, als müsse er ihn führen. Nachdem er mit dem Mann mit dem Hut auf der Rückbank platz genommen hat, startet der Andere den Wagen.. „Wir werden Sie selbstverständlich nachher wieder zu Ihrer Wohnung zurückbringen.“ Nach einer kurzen Strecke, während der die Fahrt Rafael unerträglich lange erscheint, halten sie vor einem alten, mehrstöckigen Gebäude. Der Jüngere schließt die Eingangstür auf, schaltet das Licht im Treppenhaus ein. Hintereinandergehend, Rafael wieder in der Mitte, steigen sie die ausgetretenen Stufen hinauf in die zweite Etage. Dort angekommen, wird eine weitere Tür geöffnet und Licht angemacht. Es ist eine Arztpraxis, die die drei Männer betreten haben. In einem der Behandlungszimmer wird sich hingesetzt; der Ältere legt seinen Hut auf den Schreibtisch, nimmt dahinter platz. Aus seiner Jackentasche holt er ein silbernes Etui, entnimmt ihm eine Zigarette, bietet dem sich auf einem der Stühle sich niederzulassen angewiesenen Rafael von dem Rauchwerk an, was dieser kopfschüttelnd ablehnt. So wird das Etui zurückgesteckt, sich vergewissert, dass ein Aschenglas bereitsteht, und die Zigarette mit einem Feuerzeug entzündet. Rafael deutet zu seinem Rucksack. „Kann ich vielleicht etwas trinken? Ich habe Durst.“ Der zweite der Männer schaut hinein, schüttelt den Kopf. „Alkohol können wir Ihnen nicht erlauben. Aber ein Glas Wasser kann ich Ihnen holen.“ Der Mann hinter dem Schreibtisch zieht an der Zigarette, wartet, bis der Andere mit dem Glas Wasser zurückgekehrt ist, und beginnt mit der Befragung. „Wo haben Sie sich in den letzten Tagen aufgehalten?“ Rafael zählt auf: „Die meiste Zeit zuhause. Dann war ich in der Bücherei, im Schwimmbad, und zwischendurch einkaufen.“ „Und mit wem hatten Sie Kontakt?“ Da muss Rafael nicht lange überlegen. „Mit den Angestellten in der Bibliothek, den Kassiererinnen im Supermarkt, dem Inhaber vom Grill, wo ich…“ Der Frager unterbricht ihn mit einer Bewegung seiner rechten Hand, will nun wissen, ob er einen Daniel Mauro kenne. Nein, antwortet Rafael, dieser Name sage ihm nichts. „Tja…“ Die beiden Männer wechseln einen Blick, dann greift der Ältere zu dem auf dem Schreibtisch stehenden Telefon. „...Dann werden wir für die weitere Befragung noch Jemanden hinzuziehen müssen.“ Zu dem Unbehagen, welches Rafael die ganze Zeit spürt, gesellt sich nun Furcht. Kalte Schauer kriechen sein Rückgrat hinab, Schweiß beginnt sich auf der Stirn zu sammeln. „Ich habe Ihnen doch alles wahrheitsgemäß beantwortet. Bitte, lassen Sie mich gehen!“ „Ja, gut. Dann sehen wir uns gleich. Ja, wir sind hier im Haus Nummer Dreiundzwanzig“, und an Rafael gewandt: „Er wird in spätestens einer Viertelstunde hier eintreffen.“ „Aber was wollen Sie denn noch von mir?“ „Die Wahrheit. Wir müssen davon ausgehen, dass Sie uns etwas verschweigen.“ Rafael senkt ergeben seinen Kopf, ballt die Fäuste, dann: „Ich muss mal pinkeln“, blickt die beiden Wächter nacheinander an. „Ehrlich jetzt.“ Der hinter dem Schreibtisch nickt, woraufhin der Andere Rafael auffordert, mit ihm zu kommen. Nachdem Rafael sich erleichtert und die Hände gewaschen hat, kehrt er mit seinem Begleiter in das Behandlungszimmer zurück. Kurz darauf ist das Schließen der Eingangstür zu hören. Ein hagerer, grauhaariger Mann betritt den Raum. Er trägt einen Arztkittel, darunter einen smaragdgrünen Hausanzug. Der Mann grüßt mit einem stummen Nicken, weist Rafael an, ihm in einen anderen Raum zu folgen und dort auf einem Untersuchungsstuhl platz zu nehmen. Neben dem Stuhl befindet sich eine Apparatur mit einem Monitor. „Ich werde jetzt eine EEG bei Ihnen durchführen.“ „Aber wozu das Ganze?“ versucht Rafael Widerstand zu leisten. „Ich bin doch nicht krank.“ Zum ersten Mal schaut ihn der Grauhaarige direkt an. „Wir vermuten, dass Sie Kontakte haben mit abnormalen Erscheinungen.“ „Mit...was?“ „Althergebracht auch bezeichnet als Dämonen.“ „Wollen Sie mir weismachen, dass George und Georgina vom Teufel besessen sind?“ bölkt Rafael die Drei an, sich gleich darauf bewußt werdend, sich verplappert zu haben. „Sie geben sich als Schutzengel oder Schutzwesen aus, je nachdem“, fährt der Grauhaarige im dozierenden Ton fort. „Aber das sind sie bei weitem nicht. Es sind besessene Abtrünnige, die Zwietracht unter den Menschen säen wollen, um schließlich die Herrschaft über die Welt zu erlangen.“ „Aber genau das wollen sie verhindern durch den Moment der Stille“, kontert Rafael, was bei dem Typen hinter dem Schreibtisch ein verächtliches Schnauben hervorlockt. „Einmal ist es der Moment der Stille, ein anderes Mal ist es das Siegel des Salomon, dann wieder ist es irgendetwas anderes, mit dem sie die Menschen verwirren wollen.“ „Ihr Mund ist glätter denn Butter und haben doch Krieg im Sinn. Ihre Worte sind gelinder denn Öl, und sind doch bloße Schwerter…“ „...Dass Du nicht geratest auf den Weg des Bösen, noch unter die verkehreten Schwätzer…“ „...Die da verlassen die rechte Bahn, und gehen finstere Wege…“ „...Die sich freuen, Böses zu tun, und sind fröhlich in ihrem bösen, verkehreten Wesen.“ „Das ist ein Traum hier“, meint sich Rafael auf einmal sicher zu sein, woraufhin der Mann in dem Arztkittel ihm mit einem kleinen silberfarbenen Hammer einen leichten Schlag unterhalb des rechten Knies versetzt, was den bekannten Reflex auslöst. Voll der Verzweiflung starrt Rafael auf sein Bein, den Tränen nahe. „Helfen Sie uns, diese Georgina Darling und George Oremora ausfindig zu machen… und auch den Herrn, der sich Khalil Samiri nennt. Dann haben Sie nichts zu befürchten.“ Warm und freundschaftlich klingt dabei die Stimme des hageren Grauhaarigen. „Aber ich bin ihnen doch nur im Traum begegnet. Ich weiß doch gar nicht, wo sie in Wirklichkeit wohnen.“ „Ihr Unterbewußtsein wird uns mit Hilfe dieses Apparates Antwort darauf geben.“ Rafael bekommt Elektroden an die Kopfhaut befestigt. Nachdem der Arztkittelträger auch sich ein ebenfalls mit der Apparatur verbundenes Elektrodennetz aufgesetzt hat, schaltet er das Messgerät ein, setzt sich auf den Stuhl Rafael gegenüber, schließt die Augen. „Ist das auch so eine Art Gedankenaufzeichnungsapparat?“ will Rafael in Erfahrung bringen, und der Mann hinter dem Schreibtisch bedeutet ihm, nicht zu sprechen, doch der Grauhaarige hat seine Augen wieder geöffnet und richtet das Wort an ihn. „Ach. Haben die so etwas etwa benutzt?“, und schon wieder hat Rafael das Gefühl, etwas verraten zu haben. Der Mann ihm gegenübersitzend redet beruhigend auf ihn ein. „Vertrauen Sie uns, Herr Kellner. Lauschen Sie in Ihr Inneres, so wie auch ich es tun werde…“
„Ah, da seid ihr ja.“ „Immer noch“, bestätigt Georgina. „Und, musstest Du arbeiten?“ wird Khalil von George gefragt. „Ach was, nein! Ist noch Zeit genug bis dahin.“ Khalil pflanzt sich auf einen der Stühle, reckt und streckt sich, deutet auf die leergetrunkenen Flaschen, fragt, ob sie vielleicht für ihn ein Bier da hätten, was lachend von den Beiden verneint wird. „Aber im Kühlschrank ist noch genug da.“ „Im Kühlschrank?“ „Na, in der Küche.“ „Ach ja, die gibt es ja auch noch!“ Khalil erhebt sich und will losgehen. „Bring uns auch welche mit!“ „Klar.“ Nachdem der Mann mit dem gewünschten Nass zurückgekehrt ist, werden Trinksprüche ausgesprochen. „Auf unsere Traumwelt!“ „Ja, cheers.“ „Auf dass wir unbehelligt bleiben!“ „Wieso? Habt ihr etwas Konkretes in Erfahrung bringen können?“ Georgina berichtet von dem Besuch Sushas hier im Keller, und was sie von ihr zugetragen bekommen haben. Darüber zeigt sich Khalil bestürzt, sagt, dass er dem Anruf nicht so recht hatte Glauben schenken wollen. Und als Georgina hinzufügt, dass der Anruf von D.B. gekommen sei, teilt er ihnen mit, dass er in seiner Traumreise erfahren hat, wo Diego wohnt. Er schlägt vor, dass sie alle drei zu ihm hinfahren. Den Einwand von George, Susha habe gesagt, D.B. wolle zuerst nur mit ihm sprechen, lässt Khalil nicht gelten. „Wir alle sind gleichberechtigt!“ „Dann sollte auch Hübsch-Dich-zu-sehen mitkommen.“ „Ich habe es so verstanden, dass der Mann sich verabschiedet hat…“ „Nun ja. Auch George und ich sind uns nicht ganz schlüssig darüber, wie wir handeln sollen. Was ist Deine Meinung dazu?“ Der Gefragte wiegt seinen Kopf hin und her. „Um ganz ehrlich zu sein: mir geht die Menschheit links am Arsch vorbei.“ „Khalil!“ „Ja. Was kann ich… was können wir dafür, dass Kriege geführt werden, die Menschen ihr Leben führen auf Kosten der Umwelt und anderer Lebewesen, und dabei noch meinen, sie wären dazu berechtigt, weil sie ja die Krone der Schöpfung darstellen…“ „Es sind aber doch nicht alle so“, wirft Georgina ein, was Khalil eine wegwerfende Handbewegung machen lässt. „Ich wusste, dass dies als Antwort kommt! Leider erweckt es bei mir den Eindruck, dass Diejenigen, die nicht so sind, etwas wenig dafür tun, die Zustände zu ändern.“ „Sie haben zu wenig Einfluß. Oder auch nicht genügend Kraft…“ „...Oder sie werden abgelenkt“, erinnert sich George an das Gespräch hier vor einiger Zeit mit Georgina. Diese stimmt dem Rabenvater zu. „Und ihnen fehlt schlichtweg die Zeit zum Handeln, weil sie arbeiten und Geld verdienen müssen, um die Miete bezahlen zu können, und Schulbücher für ihre Kinder…“ Ja,ja, ich muss auch arbeiten“, hält Khalil dagegen. „Und mit meiner Behindertenarbeit tu ich meiner Ansicht nach ausreichend Gutes.“ Georgina seufzt auf. „Ach mensch, Khalil, es stimmt ja alles, was Du sagst.“ „Worüber ich mir Gedanken mache“, spricht nun George, „dass sind diese Nekromanten, oder wie die heißen.“ „Ja, was wollen die eigentlich?“ reagiert Khalil darauf. „Die können sich mal nen Backs abholen!“ „Einen...was?“ „Also euren Beschreibungen nach kommt es mir vor, als handelt es sich bei Denen um irgendwelche Faschisten, die das vierte Reich errichten wollen. Und so ein Gesocks kann ich ja nun gar nicht ab.“ Während Georgina sich über Khalils Äußerungen positiv überrascht zeigt, mahnt George zur Vorsicht, rät, erst mit D.B. in Kontakt zu treten und zu hören, was er über diese Erscheinungen weiß. „Und dies sollte so bald wie möglich geschehen.“ Als Khalil sagt, dass er die Fahrt dorthin wegen seiner Arbeit für das kommende Wochenende geplant hat, fragt Georgina, ob er den Dienst eventuell tauschen könne, da das Zusammentreffen mit D.B. schon eine dringliche Angelegenheit sei. „Oder wir nehmen Kontakt zu Georgina Ponee auf und fahren gemeinsam mit dem Auto zu Diego“, schlägt George vor, „da sind wir schneller unterwegs.“ „Das nützt nichts“, widerspricht Khalil. „Das Treffen soll in der Realwelt stattfinden.“ „Ach so, ja, stimmt.“ Schweigend versinken die Drei im Nachdenken, um eine bestmögliche Lösung für das Problem zu finden.
Das Glatzengirl sitzt bei Morgen-ist-eh-alles-zu-spät. Morgen-ist-eh hat Tee zubereitet, dazu gibt es Gebäck. Sonja ist zu ihm gekommen in der Hoffnung, dass er weiß, wo Alexander Tagthetruth sich aufhält, doch er kann ihr nicht weiterhelfen. „Schieß-mich-heute-tot und Barfly sind zu einem Rockkonzert gefahren, aber da ist er nicht mit.“ „Die letzten, die ihn gesehen haben, sind Mikesch und Faktor vier“, weiß Sonja, „und das ist vorgestern Abend gewesen.“ „Hast Du dieses Pärchen schon mal wieder gesehen, die neulich im Stadtpark aufgetaucht sind?“ „Ach, die wissen doch auch nichts.“ Sonja greift sich einen Keks, wirft sich genervt im Sessel zurück. In dem Moment wird die Tür geöffnet und der Hippie tritt herein. „Hallo Leute! Na, alles fix?“ Nein, ist es nicht, und Morgen-ist-eh erklärt, warum. „Na, da kann ich schon weiterhelfen.“ „Wieso, weißt Du…?“ „Ja, aber easy! Aber Du musst versprechen, nichts weiterzuplaudern…“ „Ich versprechs!“ „Sie ist vertrauenswürdig“, legt Morgen-ist-eh sein Wort für das Glatzengirl ein. „Wenn Du willst, fahr ich Dich zu ihm.“ Und an Morgen-ist-eh gewandt: „sorry, aber ich werds hier jetzt nicht ausplaudern“, wofür der Hausherr Verständnis zeigt. „Geht schon klar. Je weniger Leute Bescheid wissen…“ Eine halbe Stunde später hält der Transit auf einem abseits gelegenen, schon reichlich verfallenen Bauernhof. „Hier wohnst Du...allein?“ „Hab den Kasten vor einem halben Jahr geerbt. Für den Winter gibts nen Ofen und reichlich Brennholz. Nur Strom hab ich noch nicht, aber den melde ich demnächst an.“ „Gibts hier denn eine Toilette? Oder muss ich auf ein Plumpsklo gehen?“ „Nee, alles easy! Ich zeig Dir, wo es ist. Und zu Alexander gehts dann die Treppe rauf…“ Der sitzt in einem notdürftig bemöbelten Raum mit einer Fensterluke in der Dachschräge, durch die das Licht des Nachmittages hereinkommen kann. „Hey, Alex!“ „Hey.“ Sonja setzt sich ihm gegenüber auf den Fußboden. „Warum versteckst Du Dich hier?“ Alex hat seinen Blick auf die Holzdielen unter seinen Füßen geheftet. Unvermittelt schaut er die junge Frau an. „Ich kann sie nicht mehr wahrnehmen…“ Er spricht leise, beinahe flüsternd. „...Es ist, als wäre die Verbindung zu ihnen abgebrochen.“ „Sind sie… verschwunden?“ Tagthetruth schüttelt seinen Kopf. „Es ist etwas anderes da, das sich dazwischengeschoben hat. Andere Energien…“ Wieder senkt er seinen Blick, den Kopf zwischen den Händen haltend. Am liebsten möchte Sonja den Jungen in die Arme nehmen, ihn trösten, ihn beschützen, wenn sie wüsste, wovor. „Was ist das, wovon Du sprichst?“ Wieder bewegt Alex seinen Kopf hin und her. „Es ist etwas Mächtiges. Aber ich kann es nicht sehen… es gibt sich nicht zu erkennen.“ „Was kann ich tun?“ wird von dem Glatzengirl gefragt. „Richte Grüße aus an Alle… oder nein, besser nicht?“ „Von mir wird niemand erfahren, wo Du Dich aufhältst.“ Damit beenden sie ihr Gespräch. Unten sitzt der Hippie in einem lädierten Sofa, streichelt einen Hund, der leise zu knurren anfängt, als Sonja die Diele betritt. „Hey Elwood, aus! Das ist Sonja, die gehört zu uns!“ Die Frau nimmt auf einem alten Holzstuhl platz. „Was hat er zu Dir gesagt?“ Sonja gibt es wieder. „Im Grunde das Gleiche, was er auch zu Mikesch und Faktor vier gesagt hat. Und dass das, wovon diese negativen Energien ausgehen, immer näher kommt…“ Der Hippie überlegt. „...Nein. Dass es sich bereits irgendwo hier befindet, so hat er sich ausgedrückt.“ „Oh, mensch, was kann er nur damit meinen? Alex ist doch nicht verrückt, oder?“ „Nicht verrückter als Du und ich.“ Die beiden Menschen gehen eine Zeitlang ihren Gedanken nach, dann „soll ich Dich noch irgendwo hinfahren?“ „Ja. Vielleicht ist im Stadtpark jemand.“ „Gut. Fahren wir zum Stadtpark! Und Du, Elwood, Du kommst mit!“ Freudig mit dem Schwanz wedelnd springt das Tier auf und läuft dem Hippie und Sonja voraus zum Transit. Der Transporter fährt auf den Hof eines Mehrfamilienhauses, hält bei den Garagen. Die Scheinwerfer werden ausgeschaltet. Die abgedunkelten Scheiben verwehren einen Blick in das Innere des Fahrzeugs. Außer dem Fahrer befinden sich noch vier weitere männliche Personen darin. Sie tragen Bekleidung aus Armeebeständen, dazu Sturmhauben, und sie sind bewaffnet. Der Mann auf dem Beifahrersitz hält ein Mobiltelefon an sein Ohr. „Hier spricht die Einheit Zwicker. Wir haben das Ziel erreicht. In einer der unteren Wohnungen ist Licht zu sehen. Es gibt einen Hintereingang, über den wir uns Zutritt verschaffen werden. Nächste Meldung erfolgt nach Zugriff. Zwicker Ende.“ Zeitgleich werden die Türen von dem Transporter geöffnet. In geduckter Haltung nähern sich die Männer der Hintertür. Der die Meldung abgesetzt hat drückt die Klinke hinunter, gibt den anderen das ok-Zeichen, woraufhin sie in das Haus eindringen. Sie befinden sich im Flur. Einer der Männer formt mit seinen Lippen ein “wo?“, und es wird mit dem Daumen zum oberen Stockwerk gedeutet. Kopfnicken. Hintereinander bewegen sie sich die Stufen hinauf, sammeln sich vor der Tür zu der Wohnung, die als Aufenthaltsort der Gesuchten angegeben wurde. In den Glasscheiben der Wohnungstür ist ein Schimmer blauen Lichts zu erkennen. Auf ein weiteres Zeichen hin wird die Klinke hinuntergedrückt, und tatsächlich lässt sich auch diese Tür öffnen. Zwei der Männer observieren die Räumlichkeiten links vom Eingang: Küche und Badezimmer. Ein Mann schaut in den nächsten Raum, in dem sich die Quelle des Lichts befindet. Er entdeckt einen eingeschalteten Fernseher, der in einem Einkaufswagen steht. Gemeinsam rücken sie zu dem Raum am Ende des Flures vor. Dort ist es dunkel. Nur schemenhaft sind drei Gestalten zu erkennen, die auf dem Fußboden sitzen. „Ach du Scheiße“, entfährt es einem der Männer, und gleich darauf betätigt ihr Anführer einen Lichtschalter. Ihre Waffen sind auf die am Boden Hockenden gerichtet, doch von Denen kommt keine Reaktion. Die drei, zwei Männer und eine Frau, sitzen einfach nur da, und haben ihre Augen geschlossen. „Sollen wir sie liquidieren?“ „Wartet.“ Erneut wird das Mobiltelefon aktiviert. „Wir haben die drei Objekte ausfindig gemacht. Wie sollen wir mit ihnen weiter verfahren? - Nein. Sie befinden sich noch in ihrem Trancezustand – ja. Habe verstanden. Ende.“ Der Mann steckt das Telefon zurück. „Anweisung von Señor de Montesa: die Abweichler sind lokalisiert. Nun gilt es abzuwarten, da anzunehmen ist, dass es noch weitere von ihnen gibt, die sie aufsuchen werden, und wir ihrer dann habhaft werden können…
Dritter Teil
Traumwelt
Nobody knows where you are, how near or how far. Shine on you crazy Diamond (Roger Waters)
„Sei gegrüßt, Susha!“ Die Frau hebt ihren Blick vom Boden, stellt die Hacke ab. „Khalil! Auch Du sei gegrüßt! Willst Du Dich der Gartenarbeit widmen?“ „Ich wollte mir mal anschauen, wie das Ganze hier geworden ist…“ „Und? Gefällts Dir?“ Khalil lässt seinen Blick schweifen. „Wie groß ist das denn hier? Ich meine…“ „Insgesamt sind es… zweihundertvierundsechzig Gärten.“ „Du Heiliger! Und wer soll die alle bewirtschaften?“ „Na, ich denke, irgendwann werden noch weitere dazukommen.“ „Ja, das haben George und Georgina auch gesagt, als wir die Wohnblocks erschaffen haben.“ „Also ich glaube fest daran, dass noch welche dazustoßen werden.“ Khalil bewegt zweifelnd seinen Kopf hin und her, deutet auf einen Stapel Bretter und Balken, der in einem der Gärten liegt. „Wozu ist das?“ „Baumaterial für eine Hütte. Wir dachten uns… also ich dachte mir, dass es ganz schön wäre, wenn nicht alles schon fertig ist, sondern sich selber handwerklich betätigt werden kann.“ „So? Naja, ich bin da jetzt nicht der Handwerker.“ „Georgina hat auf jeden Fall Lust dazu. Und Hübschi bastelt auch ganz gerne mal an etwas herum.“ „Aha.“ Als Susha merkt, dass der Begeisterungsfunke nicht auf Khalil schafft überzuspringen, erinnert sie ihn daran, dass sie doch alles ausführlich im Keller ausgearbeitet haben. „Ja, schon. Aber hier nun erscheint alles doch… irgendwie größer.“ Dem muss Susha zustimmen. „Wo befindet sich denn mein Garten?“ Susha deutet zu einem Grundstück gleich neben ihrem. „Na, da kann ich ja eben hingehen.“ Khalil steigt von dem Kutschbock ab, geht den Kiesweg entlang, öffnet die etwas über kniehohe Pforte. Eine kleine an den Leisten befestigte Kuhglocke ertönt. Das bringt Khalil endlich zum lachen. „An was Du alles gedacht hast!“ Er beschaut sich die Blumen und Pflanzen, die dort wachsen, während Susha sie für ihn benennt. „Das da hinten sind Rhododendren“, weiß Khalil, „und das hier…“, er geht auf einem Baum zu, „...ein Apfelbaum? Nee…“ „Kirschen. Die Zeit dafür ist aber schon vorbei. Bei Hübschi steht ein Apfelbaum. Die sind demnächst reif.“ „Wo ist der?“ „Hier, neben meinem.“ „Ist er auch hier?“ „Er hat gesagt, er kommt noch. Soviel ich weiß, ist er im Haus…“ „Im echten Haus?“ „Die Frage lässt Susha lachen und mit ihrer freien Hand um sich deuten. „Das ist doch alles echt. Ich mach da keinen Unterschied.“ Khalil geht zur Hütte, die sich am Ende des Grundstücks befindet. „Weißt Du, wo Georgina und George sind?“ „Ich glaube, sie schlafen noch.“ Susha nickt und widmet sie sich wieder ihrer Arbeit, das Beet winterfertig zu machen. Khalil steht im Inneren seiner Hütte. Ein vertäfelter Raum, vielleicht drei mal vier Meter. Rechts vom Eingang steht ein Bett, davor ein kleiner Tisch, auf dem der mittlerweile wieder obligatorisch gewordene Notizblock und ein Stift liegen, daneben ein Stuhl. Der Mann greift den Block, liest ‚Willkommen in Deiner Hütte, Khalil! Ich hoffe, es gefällt Dir, was Du im Schrank findest.“ Darunter ist ein Smiley gemalt und ein geschwungenes G. „Hm.“ Gerne hätte er den Schrank nach eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen befüllt, fühlt sich nun etwas bevormundet, öffnet jedoch neugierig die rechte Klappe des über Spüle und Gasherd angebrachten Hängeschranks, entdeckt im oberen Fach Gläser und Tassen. Darunter sind Teller und Bretter untergebracht. Links oben steht eine Teekanne, darunter liegen Zeitschriften. Khalil greift sich die zuoberst liegende. Was er sieht, ruft ein überraschtes Lachen hervor. Es ist ein Herrenmagazin, ebenso die anderen; Playboy, Penthouse… Während der Mann die dort abgebildeten Frauenkörper betrachtet, bekommt er tatsächlich eine Erektion, obwohl er diese Form erotischer Darstellung, sei es als Fotografie oder im Film, eher als langweilig empfindet. Khalil sieht es als ein Experiment an, setzt sich auf das Bett, und beginnt, sein steif gewordenes Glied zu massieren, blättert die Seiten des Magazins um, reizt dabei weiterhin seinen Schwellkörper, bis er den Höhepunkt kommen fühlt und sich bereit macht, auf das vorher ausgelegte Stofftaschentuch zu ejakulieren. Es tritt jedoch kein Sperma hervor, Erektion und Erregung klingen ebenso schnell ab wie sie sich angekündigt haben. ‚Fortpflanzen können wir uns hier also nicht‘, schlussfolgert Khalil, bringt seine Kleidung wieder in Ordnung, will sich die Hände waschen, jedoch gibt es in der Hütte keinen Wasseranschluss. Draußen im Garten findet er einen Wasserhahn. „Und, wie findest Du`s?“ hört er Susha fragen, was ihn gegenfragen lässt „von wem ist denn die Idee mit den Erotikmagazinen?“ „Das kam von Georgina – aber dem Ponee.“ „Aha.“ Die Hände in der Luft trockenwedelnd kehrt Khalil auf den Weg zurück. Auf einem Fahrrad nähert sich ihnen Hübsch-Dich-zu-sehen. „Hey! Sportlich“, wird er von Susha begrüßt. Dich-zu-sehen steigt ab. „Mit den Pferden kann ich mich nicht so recht anfreunden. Da bleib ich lieber beim Drahtesel.“ Auch er zeigt sich überrascht von der Größe des Terrains. „Ganz schön weitläufig hier.“ „Susha meint, dass noch andere den Weg hierher finden werden.“ „Wie soll das denn funktionieren?“ „Na, durch positives Denken“, schlägt Susha vor, woraufhin Hübsch-Dich-zu-sehen entgegnet, dass dies nach alldem, was vorgefallen ist, nicht mehr so einfach wäre. „Habt ihr denn auch an Regen gedacht?“ lenkt Khalil zu einem anderen Thema, dabei zum Himmel deutend, „oder gibt es hier nur blauen Himmel mit Wattewölkchen?“ „Nö, das ist hier auf den Lauf der Gezeiten programmiert, da können wir jetzt nicht so viel dran drehen…“ Unterdessen hat sich Hübsch-Dich-zu-sehen auf sein Grundstück begeben, begutachtet die dort herumliegenden Bretter und Balken. „Gibt´s hier auch Werkzeug?“ „Ja, da steht ne Kiste mit Hammer, Zangen und Nägeln.“ „Haben wir hier denn überhaupt Strom?“ Da kommt von Susha nichts. Hilfesuchend schaut sie zu Khalil, doch der zuckt lediglich mit den Schultern. „Hab jetzt kein Kernkraftwerk gesehen“, was Hübsch-Dich-zu-sehen „Atomkraft nein danke, bei uns kommt der Strom aus der Steckdose“ skandieren lässt. „Ihr seid blöd“, faucht Susha die beiden Männer an und bearbeitet mit wütender Energie weiter den Acker. Da tauchen Georgina und George mit einem Zweispänner auf. „Alles da, was ihr braucht?“ wird von George gefragt, was Hübsch-Dich-zu-sehen mit einem knurrigen „wir haben hier keinen Strom“ beantwortet wird. „Strom?“ George steigt vom Kutschbock. „Elektrizität. Antriebsenergie“, definiert Dich-zu-sehen, als müsse er einem Viertklässler die Grundlagen der Physik erklären. „Ist doch alles da“, entgegnet George mit einer alles umfassenden Bewegung seines linken Armes. Hübsch-Dich-zu-sehen und Khalil glotzen ihn verständnislos an, und der Rabenvater erklärt: „In der Atmosphäre befinden sich elektrisch geladene Teilchen, die jedoch in ihrem Zustand nicht für Energiegewinnung verwendbar sind. Erst zu diesem Zweck konstruierte Transformatoren können diese Teilchen in kinetischen Energie umwandeln.“ Hübsch-Dich-zu-sehen versteht gar nichts, Khalil auch nicht wesentlich mehr, und fragt deshalb nach. „Bewegungsenergie. Sie ermöglicht es, Elektromotoren zu betreiben, die wiederum Geräte wie Rasenmäher, Kreissägen und so weiter in Bewegung setzen.“ „Und wozu haben wir die Sonnenkollektoren auf den Dächern?“ „Für Licht, Musikanlagen, Kühlschränke… für alles, was keine Motoren benötigt.“ „Aber wie ist das möglich, ich meine…“ Hübsch-Dich-zu-sehen ist dabei, seine lange zurückliegenden Schulkenntnisse in Physik zusammenzukratzen. „Im Grunde funktioniert das Prinzip ähnlich wie der Gedankenspeicherapparat. Aber um das zu akzeptieren, kannst Du Dein Schulwissen getrost über Bord werfen.“ „So, Leute, ich mach Schluss für heute“, lässt da Susha verlauten, bringt das Gartenwerkzeug in einen neben ihrer Hütte aufgestellten Schuppen, schwingt sich auf ihr Rad und fährt zu ihrer Wohneinheit, hinterlässt dort die zur Orientierung notwendigen Notizen, und ist in ihrer Wohnung in dem Haus. Sie sitzt in einem halben Lotossitz auf dem mit Teppich ausgelegten Fußboden. Draußen hat es zu dämmern begonnen. Ein kräftig wehender Herbstwind bewegt das Geäst der vor dem Haus gepflanzten Büsche und von dem Baum. Die bis eben auf dem Hochbett schlafende Katze kommt die für sie angelegte Stiege hinab und tappt auf Susha zu. „Na, Persi, hast Du ausgeschlafen?“ Sie krault das Katzentier, welches wohlig zu schnurren beginnt. „Meine Persephone, meine süße Persephone“, flüstert die Frau dem Tier zu, das sich auf den Rücken gelegt hat und ihr die Pfoten entgegenstreckt. Sie war Susha nachgelaufen, als sie mit ihren Einkäufen vom nebenan befindlichen Supermarkt zurückkehrte. Wie immer stand ein Fahrzeug auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in dem zwei Männer saßen und das Tier argwöhnisch beäugten, als könne es sich um ein Krafttier oder etwas ähnliches in ihren Augen Widernatürliches handeln. Als die Katze bei ihr blieb, obwohl Susha die Wohnungstür aufließ und sie so jederzeit zu den Menschen zurückkehren konnte, bei denen sie vielleicht zuhause war, kaufte die Frau Dosenfutter, gab ihr einen alten Wollpullover als Liegeplatz und einen Namen. Als ihren Besitz jedoch sieht sie Persephone nicht an, ebenso wenig, wie sie irgend jemandes Besitz sein wollte. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Susha entzündet eine Kerze, gibt Persephone etwas zu fressen, bereitet für sich einen Salat zu, trinkt dazu einen Tee. Spät am Abend hört sie die schlurfenden Schritte von Hübsch-Dich-zu-sehen im Flur, wie er die Haustür abschließt und in seine Wohnung, die der ihren gegenüberliegt, zurückgeht. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses besuchen sich nicht, reden auch so gut wie gar nicht miteinander, grüßen sich, wenn sie sich im Hausflur begegnen, viel mehr aber auch nicht. Die Traumwelt ist der Ort, wo sie sich begegnen und miteinander agieren, ohne befürchten zu müssen, deswegen neuen Repressalien ausgesetzt zu werden. Alsbald wird Susha müde und klettert auf ihr Hochbett, während Persephone sich zu ihren Füßen einrollt.
Khalil hat seine Akustikgitarre durchgestimmt, Peter Burschs Gitarrenbuch aufgeschlagen vor sich liegen, greift ein amoll, ein Cdur, verhaspelt sich beim dmoll, fängt nochmal von vorne an. „There is a House in New Orleans, they call the rising Sun…“ Beim Fdur muss er spicken, legt seine Finger auf die entsprechenden Saiten, schlägt an, singt weiter „...it`s been the Ruin of many poor Men, and me, oh Lord, I´m one.“ Khalil gönnt sich eine Pause, stellt das Instrument beiseite, nimmt einen Schluck aus der Bierdose. „Unter Quarantäne stellen“, so lautete die Bezeichnung für das Vorgehen von der Organisation, die ihre Festsetzung hier in dem Haus veranlasste. Um welche Organisation es sich dabei handelte, bleibt im Dunklen verborgen. Es wurden Dienstmarken vorgezeigt, auf denen ein doppelköpfiger Adler zu erkennen gewesen ist. Als Khalil sich an den Einsatzleiter wandte mit der Forderung nach einem Anwalt, nickte dieser und sagte, er würde sich darum kümmern. Am Vormittag des darauffolgenden Tages klingelte es bei ihm, und vor der Tür stand ein junger Mann in Anzug und Krawatte, mit einem Aktenkoffer in der rechten Hand. Khalil bat ihn, hereinzukommen, fragte, ob er die Anderen hinzuholen solle, was der Anwalt als nicht unbedingt erforderlich erachtete und Khalil ganz recht war, da seine Mitstreiter sich zu dieser Zeit in der Traumwelt befanden. Dies nun dem jungen Mann zu erklären erschien ihm dem zu führenden Gespräch nicht zuträglich. Der Anwalt sagte, dass dies eine Art von Sicherungsverwahrung darstelle, die durchaus mit dem Gesetz vereinbar wäre, da es sich um eine Maßnahme handele, die unter anderem angewendet werden kann, wenn der Verdacht auf politisch motivierte kriminelle Handlungen besteht, in ihrem Fall aus einer religiösen Ideologie heraus. Als Khalil von dem ihm gegenübersitzenden Mann wissen wollte, auf welchen Handlungen dieser Verdacht beruhte, antwortete dieser ihm, dass ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall betraut sei. Khalil fragte, wie lange sie denn damit rechnen müssten, bis dieser Verdachtsmoment sich als unbegründet erweisen würde. Der Anwalt versicherte ihm, an dem Fall dranzubleiben und ihn zu informieren, sobald es Neuigkeiten gäbe. Während des Gesprächs machte der Anzugträger auf Khalil nicht den Eindruck, dass von ihm ausreichend Unterstützung zu erwarten wäre, da es dem jungen Mann erstens aufgrund seines Alters an Berufserfahrung fehlte und zweitens Khalil keine Persönlichkeit wahrnehmen konnte, was auf ein mangelndes Selbstbewusstsein schließen ließ. Als Khalil darauf hinwies, dass er und auch Georgina berufstätig seien, bekam er als Antwort zu hören, dass die Arbeitgeber entsprechend informiert worden seien. ‚Na toll‘ dachte sich Khalil daraufhin, und als der Anwalt auf seine Armbanduhr schaute und damit das Ende dieses Besuches signalisierte, fasste Khalil spontan den Entschluss, etwas zu versuchen. Er sprach von der Idee, die nun so unerwartet zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll zu nutzen, und Gitarre spielen lernen zu wollen. Leider ist es ihm und auch seinen Mitbewohnern (beinahe hätte er ‚Mitstreiter‘ gesagt, was bestimmt verdachtsbestätigend geklungen hätte, auch in den Ohren des bestellten Anwalts) nun nicht gestattet, das Haus, außer zu Einkäufen im Dorf, zu verlassen. Und von daheraus stellte er die Frage, ob sein, oder besser: ihr aller Anwalt vielleicht den Gefallen erweisen möchte, so ein Musikinstrument, eine akustische Gitarre, zu besorgen. Mit dieser Bitte fand Khalil tatsächlich Gehör, da der junge Mann, wie er sagte, selber in einer Band spiele, und auf die Rückfrage von Khalil tat er kund „Death Metal, so in die Richtung.“ Khalil hatte nun nicht erwartet, damit Erfolg zu haben, genau so wenig, wie er es erhofft hatte. Es war lediglich das Wollen gewesen, was zum Erfolg führte. Das ist so ähnlich wie wünschen, funktioniert jedoch anders. Vielleicht wird es im Laufe der Geschichte noch eine Situation geben, die den Unterschied verdeutlicht. Khalil ergreift noch einmal das Instrument (es handelt sich um eine Hoyer mit einer Buchse für Verstärkeranschluss), spielt das Lied (fast) fehlerfrei durch, zeigt sich zufrieden damit, entschließt sich dazu, noch Fernsehen zu gucken, (das Gerät steht jetzt im Wohnzimmer auf einem Sideboard; der Einkaufswagen wurde entfernt) und sich noch eine Pizza aus dem Tiefkühlfach zuzubereiten.
Georgina und George sind aus der Traumwelt zurückgekehrt. George schaltet den Fernseher ein. Dies ist ihnen als Verbindung zur Außenwelt zugestanden worden; Telefone und Internet gibt es in dem Haus nicht. „Mal schauen, was es Neues gibt in der Welt…“ Georgina hat gerade geduscht; nun steht sie, bekleidet mit einem blauen Seemannspullover und Tigerleggins, im Türrahmen. Ihr blond gefärbtes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. „Kommt doch eh nur das, was wir glauben sollen.“ „Meinst Du?“ „Ja, klar! Oder denkst Du etwa, da wird die Wahrheit erzählt?“ George zuckt mit den Schultern. „Wer weiß schon, wie die Wirklichkeit aussieht…“ Georgina lacht kurz auf. „Das weiß ich nicht. Aber die Realität könnte meiner Ansicht nach besser sein. Trinkst nen Kaffee mit?“ „Mit Milch, ja.“ Georgina verschwindet in der Küche, kehrt mit zwei Bechern zurück, reicht einen davon dem Rabenvater. „Danke Dir.“ Der eingeschaltete Sender überträgt eine Literaturveranstaltung aus der Frankfurter Batschkapp. Gerade liest Hadayatullah Hübsch. „Fünfzehn Minuten hinter Oldenburg wache ich plötzlich auf, der olle VW-Bus schliddert gefährlich über die Straße. „Was ist los?“ schreie ich, „bin grad mal ein bisschen eingeschlafen“, sagst Du fröhlich. Zeit für einen Kaffee und ich werfe die Kassette Velvet Underground live in Hamburg ein, und wir sind mitten drin in einem Geheul. „Das klingt wie ne Steinsäge, die durch Granit fährt“, brüllst Du. In der Tat, ‚all tomorrows Parties‘ ist fast nicht zu hören. Irgendetwas stimmt nicht mit der Aufnahme. Egal, wir lassen uns Löcher in die Zähne bohren. Keine drei Minuten später Raststätte Fernwald…“ „Der Typ sieht ja aus wie Hübsch-Dich-zu-sehen!“ ruft Georgina überrascht aus. „Deswegen habe ich ihm ja auch den Namen gegeben.“ Hadayatullah Hübsch hat zuende gelesen. Ein weiterer Schreibender betritt die Bühne, der als K 27 angekündigt wird. Er trägt eine erdfarbene Djellaba, um den Kopf gewickelt hat er sich ein indigofarbenes Tuaregtuch, und die Augen sind durch eine Ray-Ban-Sonnenbrille verdeckt. „Ist da einer von denen dabei, die wir in Berlin gesehen haben?“ „Ich glaube nicht, nein.“ „Glaubst Du, oder weißt Du es?“ „Außer den Hübsch kenne ich da jetzt keinen.“ „In Berlin haben wir ja auch keinen gekannt – außer Khalil.“ „Stimmt. Vielleicht tritt ja noch einer von ihnen da auf.“ „ ...Als unausgesprochene Gedanken treffen auf Erinnerungen einer völlig anders erlebten Vergangenheit unter beständigem Beschuss der Synapsen mit kontinuierlich wechselnden Raum-Zeit-Verzerrern läßt das Jetzt zu einer Gebärmutter mit warmem Fruchtwasser gefüllt schwimmt D.B. in sich selbst versunken slide-guitar spielend ist er verbunden durch an den Schädel punktierte Drähte senden codierte Signale an die Außenwelt windet sich in der Agonie des sich ständig Wiederholens müde gibt der Schriftsteller sich in Tanger den Todesstoß mit der Nadel fließt ein Wortschwall auf das weiße Papier…“ „Weißt Du eigentlich, was mit der Wohnung über uns ist?“ „Was soll damit sein?“ „Na, ob da jemand wohnt.“ „So viel ich weiß, nicht. Zumindest habe ich da noch niemanden gesehen…“ „Was nichts heißt. Wir begegnen ja so gut wie keinem hier im Haus.“ „Reicht doch, wenn wir uns drüben sehen.“ „Drüben? Ach so, ja. Stimmt.“ Georgina nimmt einen Schluck vom Instantkaffee, beginnt, sich eine Zigarette zu drehen. „Was gibt es denn sonst heute noch in der Glotze?“ „Nachher zeigen se noch ‚Der Tag, an dem die Erde stillstand‘, was Georgina „Michael Rennie was ill, the Day the Earth stood still“ anstimmen lässt. George muss kurz überlegen, kann dann weitersingen: „and Flash Gordon was there, in silver Underwear, dadada was the invisible Man…“ „...Then something went wrong, for Fay Wray and King Kong, they caught in a celluloid...Dream?“ Und dann weiter, im Duett: „At the late night, double Feature, Picture Show…“ Lachend umarmen sich die Beiden, wischen Tränen fort, und dann schaut Georgina ihrem Freund, ihrem Vertrauten in die Augen und spricht, leise aber bestimmt: „es wird alles in Ordnung kommen. Wir müssen es nur wollen.“ Und George stimmt ihr zu mit einem stummen Nicken.
Hübsch-Dich-zu-sehen ist mit dem letzten noch abends verkehrenden Linienbus zur Kleinen Stadt gefahren, hat bei dem Kulturhaus vorbeigeschaut, doch dort findet keine Veranstaltung statt, und ist dann weiter zur Kneipe gegangen. Beim Wirt ersteht er eine Flasche Bier, setzt sich an einen Tisch in die rechte hintere Ecke. Don Pedro hat eine Kassette mit lateinamerikanischer Musik eingelegt. Drei Jungs betreten den Schankraum, versammeln sich um den Billardtisch, spielen, so meint Dich-zu-sehen aus ihren Andeutungen herauszuhören, um ein Tütchen psychoaktive Pilze. Noch drei weitere Gäste kommen an diesem Abend hinzu. Einer setzt sich an die Theke, bestellt Bier vom Fass, trinkt schweigend. Die beiden anderen nehmen an einem der Tische platz. Dich-zu-sehen kennt sie nicht. Ihre Gespräche drehen sich um Belanglosigkeiten, und als der Mann für sich entscheidet, dass dort nichts mehr zu erwarten ist, bricht er auf Richtung Bahnhof. Leichter Nieselregen hat eingesetzt, als ein PKW an ihm vorbeifährt und am Straßenrand hält. Die Seitenscheibe wird heruntergekurbelt, aus der Dunkelheit des Wageninneren dringt eine Stimme: „Erzähl! Hast Du schon was in Erfahrung bringen können?“ Rafael ist stehen geblieben, die Hände stecken in den Taschen seiner Jacke, den Kopf hält er leicht nach vorne gebeugt, so, als trage er eine Last auf seinen Schultern. „Nein.“ „Wie bitte?“ Rafael Kellner räuspert sich. „Nein, bislang noch nichts.“ „Das ist nicht gut.“ Der Sprecher hat seiner Stimme eine bedauernde Färbung gegeben. „Auch wir müssen Bericht erstatten. Und unser Auftraggeber erwartet Ergebnisse. Hast Du das verstanden?“ „Ja.“ „Gut.“ Die Scheibe wird wieder hochgekurbelt, der Wagen fährt an, und Hübsch-Dich-zu-sehen setzt seinen Weg fort. In der Wohnung im Haus angekommen setzt er sich auf das Sofa, starrt vor sich hin. An dem Abend in der Arztpraxis ist ihm ein Teil seiner Lebensenergie abhanden gekommen. Als wäre sie abgesaugt worden durch den Apparat, an den der eine Agent ihn angeschlossen hatte. Mit der Hilfe seiner Gedanken konnten sie den Aufenthaltsort von Khalil, George und Georgina ausfindig machen. Kurz darauf ging Susha ihnen ins Netz; auch sie bekam, ebenso wie George und Georgina, eine der zwischenzeitlich freigeräumten Wohnungen zugewiesen. Und auch Rafael wurde dorthin umgesiedelt. Diego jedoch konnten sie nicht habhaft werden. Als eine Einheit seine Wohnung stürmte, war er bereits auf und davon. Seitdem hält er sich versteckt, und es ist ihnen nicht möglich, ihn zu orten. So wird sich ein Mensch fühlen, der mit einem Voodoozauber belegt worden ist, kommt es Rafael Kellner in den Sinn. Er ist dazu verdammt, den Befehlen seines Meisters zu folgen. Rafaels Befehle lauten, die anderen im Haus zu bewachen, und den Aufenthaltsort von Alexander Tagthetruth herauszufinden. Nach Ansicht seiner Auftraggeber stellt dieser ebenfalls eine Gefahr dar. Für die Ordnung. Die Aufgabe der Geheimgesellschaft ist es, dafür zu sorgen, dass diese Ordnung aufrecht erhalten bleibt. Und dass in diesem Zusammenhang die Gesetzmäßigkeiten weiterhin anerkannt werden. Würden die Gesetze von den Menschen angezweifelt, bekam Rafael gesagt, bräche ein Chaos aus, in dem die bestehende Zivilisation versinken würde. Und dies müsse mit allen Mitteln verhindert werden. Der Mann weiß nicht mehr, was er glauben soll; was richtig ist und was falsch, was Lüge und was Wahrheit ist. Aber eines weiß er: dass er in Frieden leben möchte, ohne Angst haben zu müssen vor irgendeiner Bedrohung. Dass es wieder so werden möge wie in der Zeit zuvor, bevor diese Mächte in sein Leben getreten sind. Und dafür ist er bereit, alles zu tun...
Alexander Tagthetruth ist unterwegs im Schutz der Nacht. Den Mond und die Sterne haben Wolken verdeckt; die Straßenbeleuchtung ist ausgeschaltet. In den Seitenstraßen ist um diese Zeit niemand anderes unterwegs. Alexander hat wieder Signale empfangen können, die ihn leiten. Er kommt zu einem Haus, öffnet leise die Pforte der Einfahrt, schließt sie wieder hinter sich. Vorsichtig pirscht er weiter, gelangt zu einer Treppe an der Seitenwand des Hauses. Die Signale sind hier intensiv. Alexander schließt die Augen, steigt mit angehaltenem Atem die Stufen hinab, drückt eine Klinke herunter, findet die Kellertür geöffnet vor. Alex` Herz pocht vor Aufregung, seine Stirn und die Hände sind schweißfeucht. Durch die Kraft einer Zugfeder schließt sich die Tür mit einem leisen Klacken. Alexander lauscht, starrt in die Dunkelheit, zuckt zusammen, als er eine Heizungstherme anspringen hört. Fest umfasst er mit der rechten Faust die Nagelschere, mit der er sich zu Wehr setzen würde, falls dies eine Falle sein würde und sie ihm hier auflauern sollten. Schritt für Schritt bewegt er sich vorwärts, ertastet eine Tür, öffnet sie. Ein merkwürdiger Geruch zieht ihm in die Nase. Als er den Lichtschalter betätigt, wird er Regale mit Einmachgläsern und anderen dort gelagerten Vorräten angesichtig. So schließt er die Tür wieder, pirscht weiter den Gang entlang, öffnet eine weitere Tür, bleibt im Türrahmen stehen, bereit, seine Waffe herauszureißen und auf irgendwelche aus der Dunkelheit kommenden Gestalten einzustechen. Aber er sieht dort lediglich etwas blinken. Zwei kleine Lämpchen, eine blau, die andere rot. Wie ein Signal. Sie haben ihr Ziel erreicht, oder so. Mit der linken Hand findet Alexander einen Drehlichtschalter, betätigt ihn, und der Raum wird von einer Deckenlampe erhellt. Ziemlich genau in der Mitte des Kellerraumes steht auf Europaletten und Autoreifen gelagert der Samadhitank. Der Besucher geht darauf zu, bleibt vor dem eiförmigen Gebilde stehen, setzt das Headset auf . Durch die Kopfhörer dringt ein leises Rauschen, Knacken und Fiepen an seine Ohren, wie es auf der Langwellenfrequenz im Radio zu hören ist. „Hallo? Diego? Bist Du da?“ Eine Weile geschieht nichts weiter, und dann vernimmt Alex durch das Rauschen eine Stimme. „Bist Du das, Alex?“ „Ja. Ja, ich bin´s.“ „Hast Du aufgepasst, dass Dir niemand gefolgt ist?“ Nein, hat Alex nicht. „Ich glaube nicht, nein.“ „Glauben heißt nicht wissen, mein Freund. Aber jetzt wäre auch nichts mehr daran zu ändern.“ „Wer sind diese...diese…?“ Tagthetruth fällt keine Bezeichnung ein. „Letztlich sind es nur Erfüllungsgehilfen einer ihnen übergeordneten Macht.“ „Das Böse?“ versucht sich Alex in einer Interpretation, worauf er tatsächlich ein Lachen aus den Ohrhörern kommen hört. „Mit dem Bösen verhält es sich wie mit dem Guten: in jedem Guten steckt auch ein bisschen Böses, nicht wahr?“, was der Junge vehement verneint: „Ich hasse alles Böse! Und Georgina und George sind durch und durch gute Menschen...“ Und nach kurzem überlegen anfügend „...und der Khalil bestimmt auch!“ Wieder wird seine Äußerung mit einem Lachen quittiert; diesmal jedoch klingt es wohlwollend. „Selbstverständlich! Deswegen habe ich sie ja gesucht… und gefunden.“ „Aber warum?“ „Was warum? Ich sie gesucht habe, oder warum ich sie gefunden habe?“ Alexander starrt auf die abwechselnd blinkenden Lämpchen des Floatingtanks. „Ääh...beides.“ „Beginnen wir mit der zweiten Frage: WIE habe ich sie gefunden? Einfach war es nicht, ihre Gehirnwellen aus den Millionen von Gedanken herauszufiltern, die mich hier im Tank erreichen. Das ist wie die berühmte Nadel im Heuhaufen… nein, anders: die richtigen Fische in einem riesigen Schwarm erkennen.“ „Aber ich verstehe das nicht.“ „WAS verstehst Du nicht?“ „Gehirnströme sind doch elektromagnetische Wellen. Und die…“ Alexander sortiert sein bruchstückhaftes Wissen, „...gehen doch nicht über den Kopf eines Menschen hinaus!“ „Sagt wer?“ Alex berichtet von dem Gespräch mit Faktor 4. „Na, dann wird es ja wohl auch so stimmen.“ „Aber ich habe… diese Gedankenwellen doch empfangen!“ „Ach ja?“ „Und dann ist da ja auch noch dieser Apparat.“ „Genau, ja. Der Traumaufzeichner. Fast vergessen. Du bist übrigens gerade daran angeschlossen.“ „Was?“ „Bleib ruhig Alex, mein Junge! Wie soll ichs Dir verständlich machen? Also: auf der einen Seite ist da die Wissenschaft, mit ihren Gesetzen und Formeln und Messapparaten, mit denen sie die Welt erfassen. Die Wissenschaftler sagen, nach diesen Gesetzmäßigkeiten funktioniert die Welt. Und mit den von ihnen entwickelten Messapparaten können sie dies bestätigen. Soweit alles klar?“ Alex bestätigt mit einem Nicken. „Alex?“ „Ja. Klar.“ „Gut. Und dann gibt es Menschen, die glauben, beispielsweise, an einen Gott. Oder auch an mehrere Götter. Und sie glauben an die Wiedergeburt, oder dass ihre Seele in den Himmel kommt. Jedoch gibt es für all diese Behauptungen keine Beweise...“ Es folgt eine Pause, in der Alexander gespannt wartet, wie es weitergeht. „...Und dann gibt es Leute wie uns, die sozusagen sich zwischen den Lagern befinden.“ „Zwischen den Lagern?“ „Ja. Wir nehmen etwas wahr, was es laut den Gesetzmäßigkeiten der Wissenschaft nicht gibt, nicht zu geben hat, weil sie es mit ihren Messgeräten nicht nachweisen konnten… bislang jedenfalls nicht.“ Wieder gibt es eine Pause, und Tagthetruth meint, in dem Rauschen und Knacken das Summen einer Melodie zu vernehmen. Unvermittelt setzt die Stimme von Diego wieder ein. „Aber im Gegensatz zu Wissenschaft und Religion haben wir etwas wahrgenommen, ja sogar gesehen!“ „Was gesehen?“, fragt Alex nach, und erhält als Antwort, die Traumkörper von Georgina und George zum Beispiel. „Und von dem Khalil“ ergänzt Alex. „Sagt Dir der Name Mauro etwas?“ „Wer ist das?“ „Mauro… mir fällt der Vorname… Daniel. Daniel Mauro. Der Geschichtenschreiber.“ Da fällt bei Alex der Groschen. „Die Hefte!“ erinnert Alexander sich da, „er hat damals diese Hefte verfasst!“ „Wo wir bei dem Warum wären?“ „Warum?“ „Ja. Warum Du jetzt hier bist. Weil ich Deine Hilfe benötige, Alex. Georgina, George, Khalil und Hübsch-Dich-zu-sehen sind in einem Haus festgesetzt worden, von diesen, ich nenne sie jetzt mal: Geheimagenten. Und da kommst Du mit Deinen Freunden ins Spiel: ihr sollt die Agenten eine Weile ablenken, damit die Fünf in dem Haus das Siegel des Salomon bilden können.“ Auf die Frage, was dies ist, bekommt Alexander die unwirsche Antwort, dass für Erklärungen gerade nicht die Zeit sei. Denn sie müssen dieses Ablenkungsmanöver möglichst schnell in die Wege leiten, an einem vorher verabredeten Tag. „Und nun setz Deinen Hintern in Bewegung und unternimm was. Triff Vorbereitungen und Leute…“ Es knackt, als sei die Verbindung unterbrochen worden, aber dann ertönt noch einmal Diegos Stimme: „Und nimm den Traumaufzeichner mit! Damit kannst Du versuchen, die Skeptiker zu überzeugen. Aber übertreib es nicht.“ Damit ist das Gespräch beendet. Alexander nimmt den Aufzeichnungsapparat, steckt ihn in seine Messenger-Bag und setzt seinen Weg fort.
Khalil sitzt am Küchentisch und schreibt an der Geschichte weiter. Die Geräusche der elektromechanischen Schreibmaschine und das Rauschen des Herbstwindes in den Bäumen üben eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Dies hilft ihm dabei, seine Gedanken zu sortieren. Mitunter ist Khalil sich nicht sicher, ob er sich richtig erinnert. Er hält sich für einen unzuverlässigen Erzähler. Das Adjektiv unzulänglich ist auch anwendbar. Khalil ist sich im Klaren darüber, warum er sich dazu entschieden hat, hierzubleiben. Aber das ändert nichts an der momentanen Situation. Und auch stellt sich die Frage, ob sein Doppelgänger die Botschaft erhalten hat, und wie er darauf reagieren wird. Selbstverständlich wird die Geheimgesellschaft davon Wind bekommen, wenn sein Doppelgänger den Entschluss fasst, hierher zurückzukehren und das Haus aufzusuchen. Wenn er die Signale richtig zu deuten versteht, wird er hoffentlich abwarten, bis eine Veränderung der Situation eingetreten ist. ‚Es ist Zeit, sich um die Pferde zu kümmern‘ fällt Khalil ein, und er verlässt die Küche, begibt sich in die Wohneinheit der zweiten Ebene, geht dort die Stufen hinab ins Erdgeschoss, drückt die Glastür auf und hält sich links, wo sich die Stallungen befinden. Die Pferde, es sind fünf, drei Hengste und zwei Stuten, sind in klassischen Boxen untergebracht, mit Stroh als Auslage, Futtertrog und Wasserspender. Licht kommt durch großzügig bemessene Fenster herein. In den Stallungen stehen auch die Kutschen, zwei Einspänner und ein Zweispänner, die über Ladeflächen für Transporte verfügen. Khalil kontrolliert die Futterbehälter, greift sich einen in der Ecke stehenden Hafersack, füllt, wo Bedarf besteht, die Tröge auf. „Nachher kommt die Susha noch und reitet mit Dir aus.“ Susha kümmert sich um zwei Pferde, eine Stute und einen Hengst. Ananke und Phanes. Es hat sich ziemlich schnell herausgestellt, dass Hübsch-Dich-zu-sehen keinen Bezug zu den ‚Viechern‘, wie er sie nennt, herstellen konnte. Khalil hat seinen Hengst Salvadore genannt, als Verbindung zu Dali, dessen Bilder er faszinierend findet. Bei Salvadores Box ist er jetzt angelangt, öffnet die Tür, schnappt sich eine Bürste und beginnt, das Tier zu striegeln, dabei „ja, mein Feiner, gut, mein Dicker“ raunend. Dabei kommt Khalil ein Lied in den Sinn, und er summelt die Melodie vor sich hin, erinnert sich dadurch an eine Motorradfahrt im Juni, bei dem Treckernomaden auf dem Rücksitz. Sie waren unterwegs nach Hamburg; Khalil hatte Mikesch eine Karte für das Konzert zum Geburtstag geschenkt. Im Vorraum zur Konzerthalle begegnete er einem Herrn, der sich als ‚Peter Voss, der Millionendieb‘ vorstellte, und der vorhatte, das Konzert mit der Hilfe eines Diktiergerätes mitzuschneiden, das er an den Eingangskontrollen vorbeischmuggeln wollte. Khalil hegte berechtigte Zweifel, dass dem Mann dies gelingen würde. Ein paar Wochen darauf fand er in seinem Briefkasten eine Postsendung, in der sich zwei Musikkassetten befanden mit dem Mitschnitt des Velvet Underground-Auftritts in der Alsterdorfer Sporthalle an jenem Abend. Der Millionendieb hatte es tatsächlich geschafft! „Grüß Dich, Khalil!“ Er schaut aus der Box heraus, erblickt die Frau, fragt: „Georgina Ponee?“ „Woran hast Du mich erkannt?“ will das Ponee wissen. „Na, an Deiner Frisur. Und Du bewegst Dich auch anders.“ Georgina hat die Box betreten, streichelt Salvadore. „Und? Hast Du die Schleuderhefte gefunden?“ „Die was? Ach so, ja. Ich habe dabei herausgefunden, dass es uns hier nicht möglich ist, Kinder zu zeugen.“ „Nein? Dann brauchen wir ja auch gar nicht zu verhüten…“ Die Frau steht ganz nah bei Khalil. Ihre Finger streifen wie zufällig seine Hand. „Was hältst Du von einem sportlichen Match auf dem Zweispänner?“ „Ich weiß nicht… Susha könnte jeden Augenblick hereinkommen.“ „Na, und? Wir können ja auch zu dritt spielen.“ Da fällt Khalil ein, was er das Ponee fragen will. „Weißt Du eigentlich, woher der Mann gekommen ist, da im Schlafzimmer? Bei unserer zweiten Traumreise?“ Da legt Georgina einen Zeigefinger auf ihre Lippen, deutet dann damit nach oben, signalisierend, dass sie auch hier belauscht werden können. Dann antwortet sie leichthin „irgendein Typ, den ich mir im Traum vorgestellt habe…“ Khalil bestätigt diese Interpretation mit einem Kopfnicken, sagt „das habe ich mir auch so gedacht.“ Georgina möchte nun wissen, welches der Pferde zu ihrer Schwester gehört. Khalil deutet zu der nebenliegenden Box. Georgina öffnet die Tür, fragt nach dem Namen des Hengstes, beginnt, das Zutrauen des Tieres zu gewinnen. „Cassius.“ „Wie der Boxer?“ „Kann sein, ja.“ Die Frau schnappt sich einen der an der Wand aufgehängten Sättel und legt ihn Cassius auf. „Kommst Du mit?“ „Reiten ist nicht so mein Ding.“ „Habe ich mir fast gedacht…“ Georgina Ponee führt das Pferd zum Tor hinaus, sitzt draußen auf und reitet hin zu dem nicht weit entfernten Wald. Khalil indes striegelt Salvadore zuende, und spürt, dass er gleich wieder in das Haus zurückkehren muss.
Susha hat, nachdem sie aufgewacht ist, geduscht, sich angekleidet, Persephone Fressen in den Napf getan, und danach für sich ein Müsli und einen Tee zubereitet. Nun sitzt sie am Küchentisch, versucht, die auf sie eindringenden Energieströme zu bewältigen. Die haben sie nicht weggeleitet, es wahrscheinlich gar nicht erst versucht oder auch bewusst so gelassen. Vielleicht liegt es aber auch nicht in ihrer Macht, daran etwas zu ändern. Aber ihre Gedanken zu kontrollieren bekommen sie hin. Dass sie sich nicht mehr in Krafttiere verwandeln können. Und dass sie sich nur noch zeitlich begrenzt in der Traumwelt aufzuhalten haben. Verbindungen zu Diego und Alexander Tagthetruth aufzunehmen ist ihnen auch nicht mehr möglich. „Scheiße!“ Susha hat aufgegessen, trinkt den Tee aus, spült Geschirr und Besteck sauber. Sie sind gewissermaßen kaltgestellt. So wie Strafgefangene auf einer Insel dürfen sie sich in einem vorgegebenen Rahmen bewegen, in dem sie keine Gefahr darstellen. Denn nach Ansicht der Gesellschaft können sie gefährlich sein für Diejenigen, die dem Dämon Mammon dienen. In ihrem Auftrag handelt die Gesellschaft. Und sie glauben sich im Recht; die Wissenschaft spricht von einer der Natur entsprechenden Gesetzmäßigkeit, und für die Kirche ist es Gottes Wille. „Scheiße!“ Susha schlägt mit der Faust auf den Tisch, was das Katzentier zusammenzucken lässt. „Tut mir leid, Persi, ich wollt Dich nicht erschrecken.“ Sie hebt die Katze auf ihren Schoß, streichelt sie, was beruhigend wirkt. Auf sie beide. Die Wohnungstürklingel wird betätigt. Susha benötigt einen Moment, bis sie sich erinnert, was dies zu bedeuten hat. Persephone ist beim Ertönen des für sie neuen Geräusches Susha vom Schoß gesprungen. „Wer kann das sein?“ fragt Susha, und da niemand in der Nähe ist, ihr diese Frage zu beantworten, entschließt sie sich, nachzuschauen. Im Flur beim Hauseingang steht ein Mann mit Arbeitskleidung, stellt sich mit einem gewinnenden Lächeln als „Bezau von den Stadtwerken“ vor, und fragt, nachdem er einen Blick auf den von einem Klemmbrett gehaltenen Zettel geworfen hat „Sie sind Frau Dreiebner?“ Susha beantwortet die Frage mit einem Nicken. „Ich soll bei Ihnen die Wasseruhren ablesen.“ „Die Wasseruhren?“ „Ja. Die Zähler für den Wasserverbrauch. Zur Berechnung für den Kostenträger…“ Unterdessen hat sich Persephone dem Mann genähert, umstreift seine Beine, was diesen veranlasst, sich niederzuhocken und das Tier zu kraulen. „Ja, Du bist aber eine Schönheit.“ Dies überzeugt Susha von den drei Ebenen, dass der Mann nicht in bösen Absichten gekommen ist, sondern tatsächlich die Wasseruhren ablesen will. „Ja, dann kommen Sie doch herein.“ „Danke. Es wird auch schnell gehen.“ Der Herr Bezau folgt Susha in die Wohnung. „Wenn Sie so freundlich sind mir zu zeigen, wo das Bad ist.“ „Das Bad?“ Der Mann, Susha schätzt ihn auf Mitte Zwanzig, vielleicht auch jünger, strahlt sie weiterhin an. „Und die Küche. Dort befinden sich die Wasserzähler.“ „Ach so, ja.“ Susha öffnet das Bad, zeigt auf die Tür gegenüberliegend. „Und dort ist die Küche.“ „Danke“. Herr Bezau kniet sich unter dem Waschbecken nieder, macht Notizen. Persephone indes hat das Interesse verloren und ist auf das Hochbett gestiegen. „Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“ Es wird kurz überlegt, dann: „gerne, ja.“ „Ich kann einen Tee machen.“ Der sich als Stadtangestellter Vorgestellte begleitet die Frau in die Küche. „Was für einen Tee würden Sie denn trinken wollen?“ Da muss Susha nicht lange überlegen: „Kirschblütentee.“ Der Mann nickt, öffnet die Tür unter der Spüle, schreibt die Zahlen von der dort angebrachten Wasseruhr ab. Susha, neben ihm stehend, befüllt den Wasserkocher. Während sich das Wasser erhitzt, tut Susha aus einer Blechdose getrocknete Blüten in die Teekanne. Herr Bezau ist mit seiner Arbeit fertig, hat am Küchentisch Platz genommen. „Wohnen Sie in der Kleinen Stadt?“ wird er unvermittelt von Susha gefragt. „Nein, ich wohne in der Großen Stadt, und noch dahinter.“ „Aha.“ „Wenn Sie wollen, können Sie mich Bernd nennen.“ „Gern. Ich heiße Susha.“ „In meiner Freizeit male ich.“ „Oh, tatsächlich. Was denn?“ „Nun, wie soll ich es sagen? Ich male Träume auf.“ „Träume. Ihre eigenen?“ Nein. Es sind die Träume von Anderen.“ „Woran glauben Sie dies zu erkennen?“ „Das ist schwer zu beschreiben. Vielleicht stellen sie Botschaften von den Träumenden dar.“ „Kommen Sie in den Träumen vor?“ „Nein. Nie. In den Träumen bin ich der Betrachter.“ Der Tee hat fertiggezogen; Susha füllt durch ein Teesieb hindurch zwei Becher. „Möchten Sie Honig dazu?“ „Ich probier mal eben.“ Bernd nippt und winkt ab. „Schmeckt sehr gut so.“ Susha setzt sich ihm gegenüber, trinkt aus ihrem Becher, ebenfalls ungesüßt. „Also: wer sind Sie wirklich? Wie heißen Sie und wer schickt Sie?“ Der Mann ist so überrumpelt, dass er ins Stottern gerät, beim Leugnen und Zurechtbiegen, doch dann rückt er es tatsächlich raus: „Ich heiße Elias. Mein Nachname ist für den Augenblick nicht wichtig. Mein Vater ist ein ziemlich hohes Tier bei der Geheimgesellschaft. Der gleichen Geheimgesellschaft, die für eure Einknastung hier verantwortlich ist. Aber ich hab damit nichts zu tun, verstehst Du? Ich halte ihr Vorgehen für nicht richtig...“ Susha ist aufgestanden, den Blick abweisend auf Bernd-Elias gerichtet haltend, spricht sie „es ist jetzt wohl besser, wenn Du gehst.“ Der Mann erhebt sich ebenfalls vom Stuhl. „Warte, nein! Bevor Du über mich urteilst, lass mich Dir noch meine Bilder zeigen…“ „Wozu? Was soll das? Ich kann hier nicht weg.“ „Ich werde wiederkommen und Fotografien mitbringen. Bitte…“ Dabei schaut er sie so voll der Hoffnung an, dass Susha schließlich zustimmt. „Wann?“ Die Frau zuckt mit den Schultern. „Ich bin ja immer da…“ „Gut. Dann werde ich gleich morgen wiederkommen.“ „Und die Männer? Sie lassen das so einfach zu?“ „Aber ja. Ich hab doch einen Ausweis.“ „Ach so, ja. Du gehörst ja zu denen.“ Augenblicklich verschwindet das Lachen aus seinem Gesicht. „Nein, Susha. Wie ich Dir schon sagte: ich habe mit dieser Gesellschaft nichts zu tun.“ „Du hast auch gesagt, dass Du von den Stadtwerken kommst…“ Elias kichert lausbübisch, dann macht er ihr Date fest: „Also bis morgen...Nachmittag?“ „Ja gut, einverstanden.“ Der Mann wendet sich zum gehen, hätte sein Klemmbrett vergessen, bekommt es aber von Susha nachgereicht, „Bis morgen!“ Susha greift sich ihren Becher, trinkt den Tee, und weiß nicht recht, was sie von der ganzen Sache halten soll.
Georgina und George haben ihr Pensum an Gartenarbeit erledigt, sitzen nun in der Hütte von Georgina, bevor sie sich in ihre Wohneinheiten und von dort aus in das Haus zurückbegeben müssen. Die Taubenfuß nimmt einen Schluck aus der Bierflasche, die sie zuvor aus der Wohneinheit mitgenommen hat. George trinkt Saft. „Wird es die Traumkörper nach dem Tod eines Menschen weitergeben?“ fragt Georgina unvermittelt ihren Partner. „Vielleicht. Bislang gibt es keine… Beweise dafür.“ „Aber ich möchte daran glauben, dass es sie nach unserem Tod weiterhin gibt.“ „Ich denke, der Glauben daran ist etwas Positives und kann Dir Kraft geben.“ „Aber wenn es doch nun nicht wahr ist?“ „Letztlich verhält es sich damit wie mit Gott oder Paralleluniversen.“ „Wir aber wissen, dass es Traumkörper gibt – weil wir sie sehen.“ „Ist also nur das existent, was Du auch siehst?“ stellt nun George eine Frage. „Auch eine Blume in der Wüste ist existent, auch wenn ich sie nicht betrachten konnte.“ „Aber woher weißt Du, dass es sie gibt?“ „Vielleicht, weil jemand darüber berichtet hat. Oder ich habe eine Abbildung davon gesehen.“ „Sind wir denn nicht auch Abbilder?“ „Du meinst die Traumkörper?“ „Ich spreche von mir als Traumkörper, ja.“ „Können wir sicher sein, dass es uns wirklich gibt?“ „Ich sehe Dich.“ „Und wenn Du Dir nur vorstellst, dass Du mich siehst?“ „Umgekehrt auch?“ „Ja, selbstverständlich. Wir befinden uns in einem gemeinsamen Traum.“ „Der wo stattfindet?“ „Das weiß ich nicht. Das Naheliegendste ist wohl, zu behaupten, die Träume finden in unseren Köpfen statt…“ „Aber es muss ein ‚Dazwischen‘ geben, dort, wo sich unsere Gedankenwellen...treffen? Verbinden?“ „Und wo sind unsere Traumkörper, wenn wir wach sind?“ „Ich weiß es nicht.“ „Und wenn es sie nur gibt, wenn wir bewusst träumen – so wie jetzt?“ „Dann werden sie auch nach unserem Ableben verschwinden.“ „Aber ich will, dass es die Energie, aus der sie bestehen, auch nach dem Tod weiterhin gibt.“ „Und was glaubst Du, wie lange?“ „Je nachdem, wieviel Energie der Mensch zu Lebzeiten ansammeln konnte…“ Georgina leert die Flasche, rülpst. „Also los, Rabenvater! Machen wir, dass wir zurückkommen…“ „Und wenn nicht?“ Diese Frage lässt Georgina aufseufzen. „Ich möchte es nicht noch einmal erleben, was ich wegen diesem Zwicker durchgemacht habe! Während dieser Verhöre sind sie so tief in mein Bewusstsein vorgedrungen, bis sie die Erlebnisse aus meiner Kindheit hervorgeholt haben.“ „Verzeih, Georgina. Das war unbedacht von mir…“ Die beiden gehen zu dem Zweispänner und fahren zurück zu Georginas Wohneinheit, setzen sich dort auf das Bett, schließen ihre Augen, und sind wieder in dem Haus. Georgina steht von dem Bett auf, „Georgina, ich…“, schüttelt den Kopf und verlässt den Raum. George bleibt dort zurück, will die anwachsende Verzweiflung niederkämpfen darüber, dass der Riss zwischen ihnen immer tiefer zu werden droht. Es ist die Unzufriedenheit über ihre momentane Situation, die ihre Zuneigung auf eine Probe stellt. Und dass ihr Leben von der Geheimgesellschaft kontrolliert wird, macht ihnen schwer zu schaffen. Da bilden die Aufenthalte in der Traumwelt nur einen unzureichenden Ausgleich. George ist vom Bett aufgestanden, findet Georgina auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzend. Er setzt sich neben sie, sieht, dass Tränen ihre Wangen herabfließen, flüstert „gib nicht auf. Denke daran, was Du zu mir gesagt hast: es wird alles wieder in Ordnung kommen…“ Da lehnt sich Georgina gegen die Schulter vom Rabenvater, und er legt tröstend seinen Arm um sie.
Der Transit hält auf einem der Parkplätze, der Hippie und Sonja, das Glatzengirl steigen aus. Der Hippie öffnet die Seitentür, und Elwood kommt, freudig mit dem Schwanz wedelnd, herausgesprungen. Musik schallt ihnen entgegen, als sie sich der Rasenfläche nähern. Jemand hat einen batteriebetriebenen Ghettoblaster mitgebracht, in dem eine Cassette einliegt. Gerade ist Musik von sonic youth zu hören. „Hey, Leute! Wie schaut`s?“ Morgen-ist-eh-alles-zu-spät und Schieß-mich-heute-tot winken kurz ihre Hände, konzentrieren sich weiter auf ihr Backgammonspiel. Der Hippie wirft dem Hund einen Ball zum spielen zu, lässt sich auf dem Rasen nieder, wendet sich dem Tapemixer zu. „Ahoi, Birdy. Wie es aussieht, hat noch keiner Bier mitgebracht.“ Birdy entschuldigt sich, sagt, dass er mit dem Cassettengerät genug zu schleppen hatte. „Dann hol ich gleich noch welches.“ Morgen-ist-eh hat die Partie gewonnen, fragt Sonja, wie es Alex geht. „Ich soll euch von ihm grüßen.“ „Hey, Marc, hier ist Geld für Bier“, ruft Schieß-mich dem Hippie hinterher, doch dieser winkt ab. „Ich geb einen aus. Elwood, Du bleibst hier…“ Der Hund leistet Folge, hat er doch in Morgen-ist-eh einen Spielkameraden gefunden. Aus den Lautsprechern des Ghettoblasters tönt nun Hardcoretechno, und Sonja fragt Birdy, wer das ist, bekommt als Antwort „Hetzjagd auf Nazis von Atari Teenage Riot.“ „Cooler Mix. Wann hast Du den gemacht?“ „Gestern abend.“ „Hast auch was von Guns`n Roses dabei?“ wird von Schieß-mich-heute-tot gefragt, was Birdy verneinen muss. „Aber beim nächsten Mix bring ich die garantiert mit rein.“ Es beginnt, dunkel zu werden. Der Hippie ist mit einer Palette Dosenbier zurückgekommen, Schieß-mich kommt auf die Idee, ein Lagerfeuer zu machen und sammelt dafür Zweige und Äste zusammen, entzündet sie unter Zuhilfenahme eines Zellstofftaschentuchs und durch pusten. Elwood liegt bei Marc, der, wie die anderen auch, Gedanken schweifen lassend in die Flammen starrt. ‚Are you satisfied?‘ fragen Jesus Jones, da werden sie umstellt von helmtragenden Polizisten, aufgefordert, die Musik abzustellen und das Feuer zu löschen. Birdy drückt sofort die Stopptaste, Schieß-mich-heute-tot erhebt sich und beginnt, beschwichtigend gestikulierend auf die Uniformierten einzureden, bekommt als Antwort einen Schlagstock zu spüren. Elwood hat angefangen, seine Zähne zu fletschen und warnend zu bellen. „Nimm Deinen Köter an die Leine!“ Der Hippie versucht, den Hund zu beruhigen, doch dieser gebärdet sich weiterhin wie toll. Da zieht einer der Beamten seine Dienstwaffe und schießt auf den Hund, der jaulend niederfällt und auf der Seite liegenbleibt. „Elwood, nein!“ Marc beugt sich zu dem Tier nieder, sieht eine blutende Wunde an dessen linker Schulter. „Du verdammter Scheißbulle!“ Der hält seine Waffe immer noch in den Händen, zielt jetzt auf den Hippie. „Macht endlich das verdammte Feuer aus!“ brüllt ein anderer Polizist. „Solln wir`s etwa auspissen, oder was?“ schreit das Glatzengirl zurück, was einen weiteren Beamten zu der Bemerkung „das würde ich gerne sehen“ verleitet. „Nehmt doch das Bier dafür“, kommt als Vorschlag aus den Reihen der Helmträger. Sofort kippen Birdy und Morgen-ist-eh-alles-zu-spät den restlichen Inhalt ihrer Dosen in die Flammen. Marc kümmert sich derweil um den verwundeten Elwood, wendet sich an die Polizisten: „Ich muss den Hund zu einem Tierarzt bringen!“ „Hier verlässt niemand den Ort, bevor nicht die Personalien aufgenommen wurden.“ „Ich heiße Schieß-mich-heute-tot.“ „Und mein Name ist Morgen-ist-eh-alles-zu-spät“, beeilen sich die beiden um Namensnennung, um dieses unangenehme Procedere zu beschleunigen. Birdy und Sonja folgen ihnen, und als letzter gibt der Hippie seinen Namen preis, gleichzeitig fragend, ob er nun endlich seinen Hund zum Auto bringen kann. „Dann will ich Ihre Fahrzeugpapiere sehen“, fällt dazu einem Beamten ein. „Die liegen im Transit“, knirscht Marc zwischen den Zähnen hervor und bewegt sich, eskortiert von einer Polizisten und einem Polizisten, mit Elwood in den Armen, weg vom Ort des Geschehens. Der Uniformierte, welcher zu Anfang gefordert hat, die Musik auszustellen und das Feuer zu löschen, überlegt, den Ghettoblaster zu beschlagnahmen, entscheidet sich dann, die Cassette als Beweismaterial mitzunehmen. Auf die Frage, ob er sein Mixtape wiederbekommen würde, bekommt Birdy zu hören, dass sich die Staatsanwaltschaft bei ihnen allen melden wird. Sonja will darauf etwas entgegnen, lässt es dann aber bleiben, sieht durch einen Schleier aus Wuttränen die Staatsbüttel abziehen. Schieß-mich-heute-tot betastet die Stelle, wo ihn der Schlagstock getroffen hat, erfühlt dort eine Beule. „Alles in Ordnung?“ wird er von Birdy gefragt, was Schieß-mich freudlos auflachen lässt. „Nein, Birdy, hier ist im Moment absolut nichts in Ordnung“, und der Tapemixer entschuldigt sich für die blöde Frage. „Ich schlage vor, wir brechen hier die Zelte ab und gehen alle noch zu mir, unsere Wunden lecken.“ „Und wenn Marc zurückkommt, wie soll er wissen, wo wir sind?“ fragt Sonja Morgen-ist-eh-alles-zu-spät, worauf dieser spontan keine Antwort geben kann. „Ich kann ja hierbleiben und auf ihn warten“, bietet Birdy an, was jedoch abgelehnt wird. Und so zieht die kleine Gruppe mit dem Ghettoblaster und ihrem restlichen Dosenbier los.
Sie kommen in das Haus ohne zu klingeln, betreten die Wohnung von Hübsch-Dich-zu-sehen ohne vorherige Ankündigung. Es ist ein diesiger Morgen; der stetig niederfallende Nieselregen überzieht alles mit einem Grauen Schlier. Die Bäume, die Dächer der Häuser, die Autos und die Menschen. Und allmählich beginnt der Graue Schlier auch in ihre Köpfe einzuziehen. Die zwei Männer tragen dunkelgraue Trenchcoats und schwarze Hüte, denen der Regen scheinbar nur kurz zugesetzt hat. Sie finden Hübsch-Dich-zu-sehen auf dem ungemachten Bett sitzend. Er hat sich gerade eine Flasche Bier aufgemacht und nimmt einen Schluck daraus. „Aber Herr Kellner! So früh am Morgen! Das muss doch nicht sein“, mahnt ihn Einsatzleiter Zwicker. Sein Begleiter schaut sich derweil um, registriert die Batterie leergetrunkener Bierflaschen sowie den Abwaschberg in der Küche, die herumliegende Wäsche im Schlafzimmer. „Ich habe den Eindruck, Herr Kellner vernachlässigt sich etwas…“ Zwicker nickt betrübt bestätigend, geht auf Hübsch-Dich-zu-sehen zu, der die beiden Eindringlinge aus blutunterlaufenen Augen anstiert, als handele es sich um einen bösen Traum, und nimmt ihm die Flasche aus der Hand. „So können Sie doch unmöglich Ihren Aufgaben nachgehen.“ Der so Angesprochene beginnt zu weinen, schüttelt seinen gesenkten Kopf, und Tränen tropfen auf sein schmutziges T-Shirt. „Na, nun fassen Sie sich mal!“ Zwicker setzt sich neben den vor sich Hinjammernden, berührt seine Schulter, übergibt unterdessen dem anderen Agenten die gerade angetrunkene Bierflasche. „Sie müssen diesem Tagthetruth auf die Spur kommen. Verstehen Sie das?“ „Ja, ja. Ich versuch`s ja!“ „Nein! Es reicht nicht, es zu versuchen! Sie müssen es wollen! Es ist enorm wichtig, dass wir diesen Tagthetruth ausfindig machen und einer Vernehmung unterziehen. Er ist der Einzige, von dem wir vermuten, dass er noch Verbindung zu D.B. hat….“ Zwicker lässt eine Pause, macht den Anschein, als würde er über etwas nachdenken, stellt Rafael auf einmal die Frage „oder wer hat in der Zwischenzeit versucht, mit Diego Balanza Kontakt aufzunehmen?“ „So heißt der Typ?“ „Ja, so heißt der Typ.“ Hübsch-Dich-zu-sehen schüttelt wieder seinen Kopf. „Darüber weiß ich nichts.“ „Vielleicht frischt das Dein Gedächtnis auf“, zischt der vor ihm stehende Agent, schüttet den Inhalt der Bierflasche über den Kopf des Wimmernden aus. „Wir kommen wieder. Und sollten Sie bis dahin keine Resultate oder Antworten vorweisen können…“ Durch den Schlier aus Bier erkennt Hübsch-Dich-zu-sehen ein aufgeklapptes Messer, das dicht vor sein Gesicht gehalten wird. „...Werden wir eine andere Sprache sprechen.“ Es regnet immer noch, als der Mann die beiden Agenten in ihr Auto steigen und losfahren sieht. Er starrt aus dem Fenster, sieht, wie der Graue Schlier immer näher kommt, und da fasst er einen für sein Dasein wichtigen Entschluss…
Georgina Ponee hat mit Cassius den Rand von dem Wald erreicht, zögert kurz, aber nicht, weil sie sich nicht sicher ist, dort hineinzureiten, sondern weil sie das Pferd entscheiden lassen will, wohin es geht. Doch auch Cassius wartet ab, will von der Reiterin eine Anweisung haben. So gibt Georgina ihm einen kurzen Druck mit den Schenkeln, woraufhin der Hengst in Schritttempo einen Weg einschlägt, der in den Wald hineinführt. Georgina zieht tief die Luft ein, nimmt all die dortigen Gerüche wahr: die Blätter und Nadeln der Bäume, ihr Holz, Pilze. Am Weg entlang befindet sich ein träg dahinfließender grüner Bach, der zu einem Sumpfgebiet führt. Umgestürzte Bäume ragen aus grauem, schlickigem Wasser, algen- und moosbewachsen. Es ist kühl da im Wald, Georgina Ponee trägt nur ein kurzärmeliges Hemd. Unvermittelt bleibt Cassius stehen. „Na, mein Großer, was geht vor?“ Die Frau lässt ihren Blick schweifen, sieht zu ihrer Linken eine Holzhütte stehen. „Ach, Du warst hier schon mal, was?“ Cassius schnaubt, als will er damit die Worte bestätigen. Als Georgina sieht, dass der Waldboden bis zur Hütte übersät ist von Ästen und Unebenheiten, entscheidet sie, sich ohne den Hengst dort hinzubegeben. „Und Du wartest hier auf mich.“ Pirschend legt sie die rund fünfzehn Meter bis zu der Hütte zurück, geht um sie herum, findet eine Tür, öffnet sie. „Aha, da ist er ja!“ In dem von grün gefilterten Tageslicht erkennt das Ponee den Floatingtank, davor ein dreibeiniges Tischchen mit der Sanduhr darauf. Georgina atmet ein, drei mal, atmet aus, drei mal. Sie ist sich unschlüssig, ob sie es wagen soll, in den Tank zu steigen, ohne dass jemand dabei ist, der sie sekundiert, sie durch ein Klopfzeichen zurückholt. Anders als in ihrer Traumwelt bedarf es bei den Tanksessions eines Kontrolleurs, der über die Zeit wacht, damit die Träumenden von dieser Traumebene zurückkehren können. Georgina Ponee entdeckt den Kühlschrank, stellt sich vor, dass sich eine Flasche Weißwein darin befinden könnte, macht ihn auf, und ist enttäuscht darüber, lediglich Bierdosen und -Flaschen dort vorzufinden. Die Frau ist durstig, will sich aber auch etwas Mut für die bevorstehenden Aktion antrinken, Bier jedoch schmeckt ihr nicht. Sie sieht eine weitere Tür, öffnet sie, und hat die Speisekammer vor sich, die tatsächlich auch Weißweinflaschen beinhaltet. Als sie nach einer greift, fällt ihr Blick auf einen Gegenstand, etwas versteckt auf einem der Regale deponiert. Es ist ein kleiner Reisewecker. „Das gibts doch nicht!“ Georgina nimmt ihn an sich, drückt den Korken in die Flasche und gießt das ebenfalls in der Kammer gefundene Glas voll, trinkt daraus. „Also dann: show me to play Pinball…“ In der körperwarmen Flüssigkeit liegend, umgeben von völliger Dunkelheit, nimmt das Ponee die Traumaufzeichnungen Khalils wahr, wie er mit Susha zusammentrifft. Susha hat zu diesem Anlass die Gestalt eines Krafttieres angenommen; sie ist ein Delfin. Bei diesem Treffen will Susha Khalil den Aufenthaltsort D.B`s mitteilen, was diese Aufzeichnung jedoch nicht hergibt. Georgina versucht nun, direkt Signale von Diego aufzuspüren, aber sie wird nicht fündig. So verlässt sie den Tank wieder, ohne dass der Wecker zum Einsatz kommen musste, stellt ihn dorthin zurück, wo sie ihn gefunden hat, kleidet sich an, vergewissert sich am Stand der Sonne, dass ihr Aufenthalt dort nicht länger als erlaubt gedauert hat, und reitet zurück.
Khalil nimmt das letzte Bier aus dem Kühlschrank, wirft einen Blick in das Schlafzimmer, um sich zu vergewissern, dass dort noch der Einkaufswagen mit dem Fernseher steht, und begibt sich in den Kellerraum, setzt sich auf einen der Stühle, beäugt die auf dem gelben Tisch stehenden leergetrunkenen Bierflaschen, rekapituliert die zurückliegenden Ereignisse, nimmt zwischendurch einen Schluck aus der Dose. „Guten Tag. Wir stören doch hoffentlich nicht?“ Ein Mann und eine Frau stehen im Türrahmen, strahlen Khalil an, und warten ab, was er zu ihnen sagen wird. Khalil ist perplex über diesen Besuch, überlegt, ob er die zwei kennt, schon einmal gesehen hat, ihnen vielleicht woanders begegnet ist, aber: nein. Sie wären ihm in Erinnerung geblieben, mit ihren silber- und goldfarbenen Stoffen, in die sie gekleidet sind, dem auffälligen Schmuck aus Muscheln, und dazu diese Cowboystiefel… „Nein. Kommen Sie doch bitte herein. Ich…“ „Wir sind uns noch nicht begegnet“, spricht die Frau, und beide treten an ihn heran. „Ich heiße Neila. Und der Mann neben mir ist Lyndon.“ „Ich bin Khalil.“ Die Frau nickt, als handele es sich lediglich um eine Bestätigung ihrer Vermutung. Der Mann richtet sich gestikulierend an seine Begleiterin, diese antwortet ihm, ebenfalls mit Gesten. ‚Solresol‘, schießt es da Khalil durch den Kopf, ‚sie unterhalten sich in Solresol‘, was ihn wundert, da es sich um eine fast vergessene und kaum noch angewendete Form der Kommunikation handelt. „Wollen Sie sich setzen?“ Neila und Lyndon nehmen das Angebot dankend an, nehmen auf den Holzkisten platz. „Leider kann ich Ihnen nichts anbieten, der Kühlschrank…“ „Danke, aber wir haben bereits etwas zu uns genommen.“ Wieder ein kurzes Gestikulieren, dann spricht der Mann: „Wir kommen aus einer anderen Traumwelt und haben den Entschluss gefasst, uns mit Ihnen in Verbindung zu setzen.“ Auf Khalils Frage, wo sich ihre Traumwelt denn befände, antwortet die Frau etwas rätselhaft, dass sie zu diesem Sternensystem gehören würde. Und dann eröffnet Lyndon Khalil den Grund ihres Hierseins. „Wir würden gerne mit D.B. Kontakt aufnehmen. Sie wissen, wo er sich aufhält?“ Khalil hat einen trockenen Mund bekommen, leert die Flasche, antwortet „nein, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“ „Schade“, ergreift nun Neila wieder das Wort, „wir hatten eine Information darüber bekommen, dass er sich hier aufhalten soll.“ „Hier? Im Keller?“ Nicken. Und auf einmal bricht Khalil der Schweiß aus, als ihm bewusst wird, um was es sich bei den Beiden handelt. Ihm sitzen die Traumkörper von zwei Nigromanten gegenüber! „Glauben Sie mir! Wir wissen nicht einmal, wie er aussieht!“ „Aber Sie haben vorgehabt, ihn zu besuchen.“ Keine Frage, sondern eine Feststellung. „Ihn zu besuchen?“ Khalil will Zeit schinden, um seine Gedanken zu sperren, doch dies nützt nun auch nichts mehr. „Die Adresse von Diego haben Sie von Susha von den Drei Ebenen erhalten. Leider haben wir ihn dort nicht antreffen können…“ Khalil starrt die beiden dort sitzenden Gestalten an, seine Hand krampft sich um die leergetrunkene Bierflasche. „Und nun, so war uns zugetragen worden, soll er hier Zuflucht gesucht haben.“ Khalil schüttelt den Kopf, leistet sich dabei sogar ein Grinsen. „Nein, selbstverständlich nicht! Wir befinden uns hier auf einer anderen Traumebene.“ „Oh, richtig, Herr Samiri… oder darf ich Sie Daniel Mauro nennen?“ Der soeben Entlarvte ist kurz davor, die Beherrschung zu verlieren, aufzustehen, wegzugehen, sich in die Realwelt zurückzubegeben, aber dies käme einer Kapitulation gleich. „Dann wissen Sie also alles über mich?“ Wieder ein stummes Nicken. „Eine Frage ist allerdings noch offen: hat er vor, zurückzukehren?“ „Wer?“ „Ihr Doppelgänger.“ Khalil sieht keinen Sinn mehr darin, zu leugnen. „Ja, es ist angedacht. Aber noch nicht jetzt.“ „Wann?“ „Zu dem Zeitpunkt wir das Siegel des Salomon bilden werden.“ Bedauerndes Kopfschütteln von Lyndon. „Das könnt ihr euch abschminken.“ „Bitte?“ „Mister Kellner has left the Building.“ „Was?“ „Kurz nachdem er Besuch bekommen hat von…Schleicher?...“ „Zwicker“, berichtigt Lyndon Neila, „...hat Rafael Kellner, in Ihrem Kreis Hübsch-Dich-zu-sehen genannt, sich von dieser Welt verabschiedet.“ „Er ist tot?“ „Zumindest was den Realkörper betrifft, ja.“ Khalil sitzt da, vornübergebeugt, den Blick auf den Betonfußboden geheftet. Das war jetzt einfach zu viel. Wie durch eine Membran hört er die Worte der sich entfernenden Frau: „Besorgen Sie uns D.B., bitte! Bevor er alle Macht an sich reißen kann, und die Herrschaft über die Welt antritt.“ Khalil bleibt zurück, allein. Und dann, voll der Verzweiflung und Hilflosigkeit, beginnt er zu weinen.
Die Nacht ist so dunkel, dass die Gebäude der ehemaligen Kaserne, die zu einem Einkaufszentrum mit Büroräumen umgestaltet werden soll, kaum zu erkennen sind. Auch der dort abgestellte Bauwagen, der den Handwerkern als Pausenraum dient, wird erst sichtbar, wenn man kurz davor steht. Die fünf weißgekleideten Gestalten haben diesen Ort als Treffpunkt gewählt, da sie sicher sein können, dass dort keine Kameraüberwachung stattfindet. „Also, was willst Du?“ „Ich brauche eure Hilfe.“ „Worum geht’s?“ „Diejenigen, die das Gleichgewicht wieder herstellen sollen, sind in Gefangenschaft geraten.“ „Was erzählst Du da?“ „Ich spreche von Susha, George dem Rabenvater, Georgina Taubenfuß…“ „Das ist doch bloß ne Geschichte, Mann!“ „Ich bin ihnen selbst begegnet.“ „Und wer bist Du, Mann?“ „Mein Name ist Alexander Tagthetruth.“ Die Fünf brechen in Gelächter aus. „Ey, biste auf Pille, oder was?“ Da holt Alexander etwas aus seiner Tasche. „Was haste da mitgebracht – ne Playstation?“ „Es ist der Traumaufzeichnungsapparat.“ Wieder Gelächter. Allmählich wird es dem Wortführer zu bunt. „Dann beweise es!“ Tagthetruth hält ihm die zwei Anschlußdrähte hin. „Hier, nimm.“ „Was soll das?“ „Du musst sie an Deinen Schläfen befestigten. Warte, ich zeigs Dir…“ Sein Gegenüber zuckt zurück. „Halt still, sonst geht es nicht.“ Vorsichtig drückt er die kleinen Metallkrallen an den seit Jahrhunderten bekannten Stellen fest, legt seine rechte Hand an den Schalter des Apparates. „Bist Du bereit?“ Nicken. „Dann los!“ Der Weißgekleidete beginnt stoßweise zu atmen, sein Oberkörper ruckt vor und zurück, seine Arme vollführen kreisende Bewegungen, wobei ihm die Kopfbedeckung, eine Melone, zu Boden fällt. Die bisher regungslos dastehenden Begleiter machen eine Bewegung nach vorn, wollen eingreifen, ihrem Anführer die Drähte vom Schädel reißen und anschließend den anderen Typen mit ihren Baseballschlägern und Fahrradketten bearbeiten. „Nein, bitte, wartet!“ Die Vier halten sich tatsächlich zurück, und Alexander schaltet das Gerät aus, nimmt dem Fünften der Gruppe die Drähte ab. Der braucht kurz, bis er wieder da ist, dann „Mann, das ist ja irre!“ „Und, glaubst Du mir nun?“ Und während er von seinen Gefolgsleuten bestürmt wird zu sagen, was da eben los gewesen ist, streckt er Alexander die Hand entgegen. „Ich heiße William, aber nenne mich Billy… doesn´t like to live here in this Town…“ „...Cause it`s a Rat Trap“, kann Alex die Lyrics weiterführen, die Hand von Billy ergreifend. Dieser nickt anerkennend, vollendet „and we´ve been caught“, und die Gang summt eine Melodie dazu, dann ist das Ritual beendet. „Also, was können wir tun?“ „D.B. hat mich um Hilfe gebeten. Die Agenten der Geheimorganisation müssen abgelenkt werden, damit das Siegel des Salomon von Georgina und den Anderen gebildet werden kann…“ Alexander lässt eine Pause, in Erwartung, dass von seinen neu gewonnenen Helfern Fragen kommen, doch die kennen ja bereits Teile der Geschichte, und so instruiert er weiter: „Die Aktionen zur Ablenkung müssen gewaltfrei ablaufen, versteht ihr?“, was ein unwillig klingendes Gemurmel und die Frage folgen lässt „auch kein kleines bisschen tollschocken?“ „Nein.“ „Oder Einsatz von Sprengsätzen?“ „Nope.“ Daraufhin führen die Fünf eine kurze Diskussion, nach der Billy sich wieder an Alex wendet. „Also ja. Wir sind dabei.“ Alexander will den Weißgekleideten keine falschen Versprechungen machen, sagt „ich weiß nicht, was geschehen wird. Vielleicht wird es funktionieren, oder wir werden alle verhaftet und landen im Knast.“ „Dann aber bitte im Hochsicherheitstrakt“, fällt Billy dazu ein, was seinen Mitstreitern ein zustimmendes Lachen entlockt. Zum zweiten Mal reichen sich Rattrap und Tagthetruth die Hände. „Wir werden und wiedersehen.“ „So oder so, ganz bestimmt.“
Bei seinem zweiten Besuch kommt Elias nicht in Arbeits-Verkleidung; er hat sich leger in Schale geschmissen, Chinos, dazu ein chices langärmeliges Hemd, und er bringt Gebäck mit zum Tee, statt Blumen. Susha hat sich für ein geblümtes knielanges Sommerkleid entschieden, das den Rücken freilässt, und mit dem sie ihre Brüste betont. Sie lacht, als Elias ihr die Keksepackung entgegenhält, sagt, dass sie vorhin noch einkaufen gewesen ist, und zeigt ihrem Besuch in der Küche eine Packung mit dem gleichen Inhalt. „Verhungern werden wir also nicht…“ Als Getränk schlägt die Frau Masala-Chai vor, was Elias nichts sagt, und Susha lässt ihn an dem Tütchen mit den Zutaten schnuppern. „Mmh, das riecht...sehr anregend“, was Susha leicht erröten lässt. Sie fragt, ob es ihm etwas ausmachen würde, hier in der Küche zu bleiben, weil es im Wohnzimmer lediglich einen niedrigen Tisch und Sitzkissen gäbe, was zwar auch gemütlich ist… „Ich finde es schön hier in der Küche.“ Elias setzt sich auf seinen angestammten Stuhl und beginnt, die Kekse auszupacken, während Susha den Tee zubereitet. Persephone schaut kurz rein, zeigt aber kein weiteres Interesse an dem Besuch, signalisiert stattdessen, dass sie raus möchte. Susha öffnet das Wohnzimmerfenster, und Persephone gelangt über eine Katzenleiter ins Freie. Die Kekse sind auf einen Teller gefüllt, der Chai fertig, und so sitzen die beiden Menschen an dem Küchentisch, trinken und knabbern, wissen für den Moment nichts zu erzählen, oder besser gesagt, sie wissen nicht, wie anzufangen, und dann ist es Elias, dem der eigentliche Grund für seinen Besuch einfällt. „Wenn Du möchtest, zeige ich Dir jetzt die Fotos.“ Susha möchte, sagt „da bin ich aber gespannt“, und der ihr gegenübersitzende junge Mann holt aus einem Rucksack einen Din-A-5-Briefumschlag, entnimmt ihm eine Packen 10x15-Papierabzüge, schiebt sie zu der Frau hinüber. „Hier, bitte.“ Susha nimmt den Stapel mit geschätzt zwanzig Fotos entgegen, behält ihn in der linken Hand, nimmt das erste Bild, betrachtet es, legt es anschließend auf dem Küchentisch ab. „Was ist das hier?“ fragt sie beim nächsten Bild, hält es Elias entgegen. „Das ist der Traum von einer Oase in Afrika, ich weiß nicht genau, wo. Namibia?“ „Und was sind das für Tiere?“ „Das sind die Gestalten der Krafttiere, die die Träumenden angenommen haben.“ „Ich sehe Schildkröten und… wie heißt das?“ „Echsen. Ja, das sind die Entscheidungen dort gewesen.“ „Wo ist das hier?“ „Oh, das ist in Wyoming, USA. Dort am Fuß dieses Berges versammelt sich regelmäßig eine Gruppe von Träumenden, um sich mit den Ahnen der Ureinwohner zu treffen.“ „Und den Berg gibt es aber wirklich?“ „Ja, er wird als ein Kraftort bezeichnet.“ „Und was für Krafttiere nehmen diese Leute in… Wyoming an?“ „So viel ich weiß, gar keine. Ich habe ein Bild gemalt, wo man sie an einem Lagerfeuer sitzen sieht…“ Susha findet es, fragt „die Männer mit dem Federschmuck, das sind die Ahnen?“ „Ja. Durch sie können die Träumenden mit der Großen Kraft in Kontakt treten.“ „Ich verstehe. Aber weshalb...erreichen Dich diese Träume?“ „Ich weiß es nicht. Irgendwann waren sie einfach da.“ „Ich verstehe.“ Das nächste Bild zeigt eine Insel mit Palmen und Sandstrand, mitten im Meer. „Da würde ich mich langweilen“, kommentiert Susha, und Elias stimmt ihr zu. „Was ich nicht verstehe, ist, warum wir bisher keinen Kontakt zu diesen anderen Träumern gehabt haben“, worauf Elias zu berichten weiß, dass bei manchen der Traumgruppen Verbindungen untereinander bestehen. „Aber vielleicht hat ja Diego Kontakt zu ihnen“, überlegt die Frau, „und hat es uns bisher nur nicht gesagt.“ „Ja, der Herr hat schon seine Eigenarten“, fällt Elias dazu ein, und Susha macht sich keine Gedanken darüber, wie er darauf kommt, da bereits ein weiteres Bild ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat. Wortlos hält sie es ihm entgegen. „Das ist der Jupiter mit einem seiner Monde…“ Susha ist schwer beeindruckt, will wissen, ob denn von ihrer Traumwelt auch ein Bild dabei sei. „Da ist eine Holzhütte im Wald. Die müsste von euch sein.“ Susha findet die Fotografie, sagt, dass sie selber noch nicht dort gewesen sei. Elias nimmt sich noch einen Keks, trinkt den Becher leer. „Möchten Sie… möchtest Du noch von dem Tee?“ Elias lehnt dankend ab, und als Susha ihm die Fotografien zurückgeben will, sagt er, dass sie als Geschenk gedacht seien. „Welches der Bilder hat Dir denn am besten gefallen?“ „Das mit der Hütte im Wald.“ Wieder sitzen die Beiden schweigend beieinander, und dann sagt Susha „wenn Du möchtest, kannst Du gerne wiederkommen. Vielleicht abends. Dann koche ich für uns.“ Davon ist der junge Mann sehr angetan, fragt „wann?“, und die Frau schlägt vor „vielleicht am Samstag? Um acht… nein, lieber schon um sieben.“ Elias verabschiedet sich formvollendet mit einer angedeuteten Verbeugung; Susha bleibt auf dem Küchenstuhl sitzen, lauscht in sich hinein, und fühlt, dass sie verliebt ist, zum ersten Mal in ihrem Leben. Leise bewegt sie ihren Kopf hin und her, kann es nicht fassen, was ihr da widerfährt. Was wohl Diego davon halten würde, denkt sich Susha, und stellt fest, dass sie ihn gar nicht vermisst.
„Wo bist Du denn gewesen? Ich habe Dich überall gesucht!“ „Das glaube ich nicht, dass Du mich überall gesucht hast“, entgegnet ihm Georgina, „sonst hättest Du mich ja gefunden.“ George glotzt die Frau an, die er so bisher noch nicht erlebt hat. „Aber wo bist Du denn gewesen?“ wiederholt er seine Frage. „Ich wollte einfach mal für mich alleine sein. Kannst Du dir das vorstellen? Und wenn es Dich interessieren sollte: ich war ausreiten.“ „Ausreiten?“ „Ja, Herrgott!“ Georgina Darling stampft in die Küche, kommt mit einem geöffneten Bier zurück. „Aber beim Schrebergarten warst Du nicht.“ „Nein. Da wäre ich ja auch nicht alleine gewesen.“ Die Frau pflanzt sich in einen der Sessel, nimmt einen gehörigen Schluck aus der Pulle. „Ich war bei der Waldhütte…“ „Bei der Waldhütte?“ „Ja, bei der Waldhütte. Und ich werde Dir auch verraten, was ich dort wollte: ich habe vorgehabt, mit Diego Balanza in Kontakt zu treten…“ George kann es nicht fassen, was er da eben zu hören bekommen hat. „Aber das ist uns doch verboten!“ „Da scheiß ich aber drauf.“ „Georgina!“ „Es hat ja auch nicht funktioniert“, gibt die Frau gleich darauf zu. Aber jetzt bohrt George weiter. „Du kannst doch nicht ohne Begleitung in den Tank!“ „Aber sicher! Ihr habt euch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie Khalil das angestellt hat…“ „Ja, stimmt, der war ja auch…“ „Mit einem Reisewecker. Einem stinknormalen Reisewecker. Genial, nicht?“ Jetzt funkt George zurück, sagt, dass sie sich zu Anfang darauf geeinigt haben, keine Uhren mit in die Traumwelt zu bringen. „Ja. Das war, bevor irgendwelche finsteren Gesellen angefangen haben, uns auf den Füßen herumzutreten. Andere Zeiten, andere Sitten…“ George sagt nun eine Weile nichts, fragt dann nach, ob er sie richtig verstanden hat, dass es ihr nicht gelungen ist, eine Verbindung mit D.B. herzustellen. „Nein, ist es nicht.“ Fast kommt es Georgina vor, als wäre George erleichtert darüber, blafft deswegen los: „Was sollen wir denn Deiner Ansicht nach tun? Hier rumsitzen und abwarten, bis sich alles zum Guten wendet?“ George sagt, dass sie doch ihre Traumwelt haben mit den Gärten, doch Georgina winkt ab. „Mich beschleicht allmählich das Gefühl, dass wir da zu große Hoffnungen hineingesetzt haben.“ „Wie meinst Du das?“ „Es wurde alles so angelegt mit dem Glauben, dass über kurz oder lang noch weitere Träumende hinzukommen würden…“ Georgina vollführt eine Handbewegung, mit der sie signalisieren will, dass dies letztlich eine Illusion gewesen sei. „Nein, Georgina! Es wird alles gut werden, wenn erst...wenn wir erst…“ „...Das Gleichgewicht der Kräfte wieder hergestellt haben?“ Georgina Darling lässt der Frage ein verächtliches Schnauben folgen, und dann „ich denke, Khalil hat recht mit dem, was er sagte.“ Verzweifelt fleht George die Frau nun an, nicht ihren Glauben zu verlieren, doch diese bewegt leise ihren Kopf hin und her, schaut dem dort vor ihr sitzenden Mann direkt in die Augen. „Nein, George! Es wird allmählich Zeit, dass wir beginnen, die Wirklichkeit zu sehen...“
Der Büroraum liegt im ersten Stock des Instituts; durch eine die gesamte Frontseite einnehmende Scheibe kann auf den Forschungsbereich geschaut werden, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinter Schreibtischen sitzen und Ergebnisse von Computersimulationen ausarbeiten, die von anderen Angestellten des Instituts erstellt worden sind. ‚Ordem e Progresso‘ ist auf einem Banner zu lesen, ein Motto, das auf den französischen Mathematiker und Philosophen Auguste Comte zurückgeht. Ordnung und Fortschritt. Dies beides findet sich in der Einrichtung des Büroraums wieder. Klare Linien bestimmen das Mobiliar: Kunstlederbespannter Stahl bei den Sitzgelegenheiten, der Schreibtisch ist aus Melamin. Im Raum verteilt stehen, nach Vorgaben des feng shui, diverse Pflanzen mit Hydrokultur genährt, vorzugsweise Ketiapalmen. An der Wand links vom Eingang ist ein Wasserspender aufgebaut. An dem Schreibtisch sitzt ein Mann, gekleidet in einen hellgrauen Anzug; sein ebenso graues Haar ist zu einem Igelschnitt frisiert. Die in dunkelgrünen Lackschuhen steckenden Füße hat der Mann auf der Schreibtischplatte abgelegt. Zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand hält er eine noch in Manufaktur hergestellte Il Moro, in der anderen ein schnurloses Festnetztelefon. „Ich denke schon, dass es uns etwas angeht. Schließlich werden dort wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten infrage gestellt – Nein, viele seiner Aussagen konnten im Laufe der Jahre durch Versuche bestätigt werden – Einstein war Jude. Von daher vermute ich, dass er den Spruch auf das Alte Testament bezogen hat... Roland, um was es mir geht, ist, dass mit dem Aussetzen dieser Regeln Tür und Tor geöffnet wird für irgendwelche Kosmogonischen Mythen. Und dies wäre unserem Bestreben, mittels der Quantenphysik einen Gottesbeweis zu erbringen, nicht sonderlich zuträglich – ach so, sie stehen bereits unter Beobachtung? Ah, gut, sehr gut – Soll das heißen, Du willst Dich auf Dein Altenteil zurückziehen? Und wer käme Deines Erachtens für die Nachfolge in Betracht? - Ich verstehe. Die üblichen familiären Zwistigkeiten…“ Der Mann nimmt die Füße vom Tisch. „Ich sehe gerade, da ist noch jemand anderes in der Leitung. Wir sehen uns auf dem Golfplatz? Gut, gut. Ade, mein Bester, ade…“
Alexander sitzt bei Barfly, der gerade dabei gewesen ist, sich einen Joint zu drehen. Die Luft in dem Zimmer ist abgestanden, das Fenster ist mit schwarzen Tüchern verhängt. In einer Zimmerecke steht eine verwelkte Pflanze. Der Bildschirm des Fernsehers zeigt das Standbild eines Untoten, der einer Frau in den Arm beißt. Tagthetruth erklärt den Grund seines Besuchs, was Barfly aggressiv-abweisend reagieren lässt. „Hast noch nichts davon gehört, was gestern im Park losgewesen ist, was?“ Alex verneint. „Na, dann werd ich es Dir sagen. Eine Einheit Cops hat Morgen-ist-eh-alles-zu-spät und Schieß-mich-heute-tot drangsaliert. Sonja, Birdy und der Hippie waren auch dabei. Den Hund von Marc haben sie angeschossen…“ „Was?“ „Ja, was. Und das alles, weil Du meinst, hier den Weltretter spielen zu müssen!“ „Matthias, ich…“ „Nenn mich nicht Matthias! Und ich meine es, wie ich es sage. Das sind Kräfte, mit denen Du dich besser nicht einlassen solltest.“ „Ich habe keine andere Wahl. Sie sind es gewesen, die den Kontakt zu mir aufgenommen haben, und bitte, glaube mir, Barfly, durch sie kann das Gleichgewicht der Kräfte wieder hergestellt werden.“ Die Reaktion von Barfly ist ein kurzes, humorloses Lachen, dann: „es ist sinnlos, den Anker auszuwerfen, wenn das Schiff untergeht.“ „Nein, nein, nein, Barfly! Bitte höre mir zu: Diese Kräfte, von denen wir sprechen, wirken nicht ausschließlich außerhalb von uns. Sie sind ein Teil von uns. Und wir sind ein Teil von ihnen. Und wir haben die Möglichkeit. Sie zu beeinflussen…“ Alexander überlegt, stellt richtig: „Wir können Denen behilflich sein, die es können.“ „Und wie?“ „Wie ich es zu Anfang sagte. Indem wir die Kontrollorgane ablenken. Bitte lass Dir dazu was einfallen, Barfly, o.k.?“ „Ich werds mir überlegen.“ Barfly entzündet den Joint, nimmt einen Zug, hält ihn Alexander entgegen. Dieser lehnt ab, steht auf, verabschiedet sich. Barfly drückt die Playtaste des Videorekorders, und bevor Alex das Zimmer verlässt, sieht er, wie dem Zombie, der der Frau ein Stück Fleisch aus dem Oberarm gebissen hat, in den Kopf geschossen wird. Alexander atmet die klare Nachtluft ein, erblickt den abnehmenden Mond, und Sterne funkeln. Dann tritt er den für ihn schwersten Gang an, nur ein paar Straßen weiter, zu Faktor 4. Es liegt ihm so viel daran, den Mann überzeugen zu können. Es musste eine mythische Seite bei ihm geben; der Mann liest schließlich Science Fiction-Romane! Er klopft an die Tür, wartet das „herein“ ab, betritt das Zimmer. Es folgt eine freundliche Begrüßung, und dann entschuldigt sich Faktor 4, gibt zu, an dem Abend zu dogmatisch reagiert zu haben. „Das ist unhöflich von mir gewesen.“ Die Entschuldigung lässt Alexander Mut fassen, und bei einer Kanne grünem Tee erklärt er Faktor 4 die Lage, und was der Plan ist. Dieser wiegt seinen Kopf hin und her. „Wie bereits gesagt, bin ich ein Mann der Wissenschaft und Forschung, sehe also die aus ihr hervorgegangenen Gesetzmäßigkeiten durchaus als non plus ultra zum Erkennen der uns umgebenden Welt an…“ Diese Aussage des Chemikers lässt Alexanders eben noch gewachsene Hoffnung augenblicklich wieder zusammenfallen. „...Auf der anderen Seite bin ich ein Anhänger von Platons Höhlengleichnis“, was Alexander nun nichts sagt, und auf seine Nachfrage hin bekommt er zu hören: „Verkürzt und vereinfacht gesprochen beinhaltet dieses Gleichnis Folgendes: Eine Gruppe von Menschen verbringt ihr ganzes Leben in einer Höhle, gefesselt und ihren Blick nur auf die Wand vor ihnen richten könnend. Die Wand wird von einem weit oberhalb der Höhle hinter ihnen befindlichem Feuer beleuchtet, durch das Schatten von Objekten und anderen Lebewesen an der Wand zu sehen sind. Das, was die Gefangenen dort sehen, versuchen sie zu deuten, und erkennen diese Deutungen als die Wirklichkeit an.“ „Ich verstehe nicht ganz, was…“ „Nun, mitunter kommen mir Wissenschaftler vor wie die Gefangenen in dieser Höhle. In dem Gleichnis wird einer der Gefangenen losgebunden und zu dem Feuer geführt, wo er sehen kann, was dort geschieht. Laut Platon gibt es zwei Möglichkeiten, wie dieser Mann reagiert: Die eine ist, dass er durch die neuen Eindrücke verwirrt und überfordert ist, wieder in die Höhle zurückkehrt, und an den alten Deutungen festhält. Die zweite Möglichkeit ist, dass er mit seinen neu gewonnenen Erkenntnissen zu den anderen Gefangenen zurückkehrt und ihnen davon berichtet. Was könnte die Reaktion darauf von den in der Höhle zurückgebliebenen sein?“ „Entweder sie glauben ihm und wollen auch aus ihrer Lage befreit werden, oder… sie lassen sich nicht von ihrem alten Glauben abbringen, und erklären ihn für verrückt.“ „Richtig! Und in einem ähnlichen Dilemma befinde ich mich gerade.“ Wieder kann Alex dem Mann nicht folgen, und so erklärt Faktor 4, dass nach seinem Besuch an jenem Abend die Zweifel, welche schon länger sich still und leise bei ihm eingenistet hatten, nun auf einmal begonnen haben, einen großen Raum einzunehmen. „Das war nicht meine Absicht“, gibt Tagthetruth sogleich bekannt, was den Chemiker eine beschwichtigende Handbewegung vollführen lässt. „Kennst Du das Märchen von ‚des Kaisers neue Kleider‘?“ „Ja, das kenne ich.“ „Ich denke, so funktioniert es auch bei der Weitergabe und Konsolidierung von Wissen. Von einer Autorität, sagen wir, von einem Professor, wird eine Behauptung, meist in Form einer Theorie, aufgestellt. Und diese gilt als gültig, solange sie nicht von jemand anderem widerlegt wird. Diese Theorie wird an Universitäten gelehrt, findet Eingang in Schulbücher, und wird gerne auch bestätigt durch Experimente von Forschern, die dadurch die Wahrhaftigkeit dieser Theorie untermauern wollen…“ Faktor 4 grübelt nach, ergänzt „obwohl dies beim Michelson-Morley-Experiment zur Bestätigung des Lichtäthers nun nicht funktioniert hat…“ Alexander wirft ein, dass bei dem erwähnten Märchen nicht eine Autorität, in dem Fall der Kaiser, eine unwahre Behauptung aufgestellt hat, sondern die Schneider, die die Kleider anfertigen. „Das ist richtig. Mir ging es dabei um die Moral: es wagt kaum jemand zu sagen ‚das stimmt nicht‘, wenn von der Mehrheit behauptet wird, dass es sich um die Wahrheit handelt.“ „Hast Du die Schriften von diesem Daniel Mauro gelesen?“ Faktor 4 schüttelt unwirsch den Kopf. „Ich habe davon gehört, bin damals aber schwer damit beschäftigt gewesen, meine Examensarbeit zu schreiben.“ Alexander wartet gespannt auf die Entscheidung des Mannes, ob er sich ihnen anschließen wird, oder ob die Skepsis überwiegt. Er unterlässt es, nachzufragen, Faktor 4 zu einem Entschluss zu drängen. „Gut, also, ja, ich werde die Aktion unterstützen. Aber nicht, weil ich daran glaube! Ich sehe es als die Durchführung eines Experiments an.“ Als Alexander wieder draußen ist und vor dem Grundstück in der Seitenstraße steht, überlegt er, wie er nun zurück zu dem Hof von dem Hippie gelangen kann, was zu Fuß eine beachtliche Strecke bedeutet. Es nähert sich ein Motorrad, wird neben ihm angehalten, und der Lenker klappt das Visier seines Helms hoch, fragt „na, Herr Tagthetruth, wohin kann ich Sie bringen?“
Khalil Samiri alias Daniel Mauro ist einkaufen gewesen. Einen Teil der Getränke hat er in den Kühlschrank gestellt. Nun sitzt er auf der Couch am Wohnzimmertisch. Bevor er aus der Traumwelt zurückgekehrt ist, hat er in der Küche abschließende Notizen hinterlassen, die Diejenigen, die sie entdecken würden, von dem Zusammentreffen mit Neila und Lyndon in Kenntnis setzen sollen. Auf dem Tisch liegen Packungen mit verschiedenen Medikamenten; zum Teil frei käufliche (Schmerztabletten), und auch rezeptpflichtige (Antidepressiva, Beruhigungsmittel), die er sich von dem Anwalt hat besorgen lassen. Für Lieferservice ist der Mann gut zu gebrauchen. In der anderen Dienstleistung, für die er seinen Schein gemacht hat, konnte man ihn getrost in die Tonne treten. Aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Der Mann hat den Entschluss gefasst, sich wegzumachen. Er hat mit sich selbst durchdiskutiert, wie er dies anzustellen gedachte, und ist ziemlich schnell zu der nun in der Durchführung befindlichen Methode gekommen: Medikamente und Alkohol. Das sollte funktionieren. In das bereitgestellte Glas gießt er zur Hälfte Weißwein, füllt es mit Apfelkorn auf. Auf dem Tisch stehen außerdem noch Southern Comfort, weißer Rum, Wodka, Cuarenta y tres Likör, und warten auf ihren Einsatz. Daniel lässt den Zufall entscheiden, mit welchem Medikament er startet, nimmt dazu einen Abzählreim zur Hilfe – ene mene miste – landet bei den Ibuprofen 400, drückt eine der Tabletten aus dem Blister, nimmt sie in den Mund, und befördert sie mit einem Schluck von dem Wein-Korn-Cocktail die Speiseröhre hinunter. So, was jetzt? Vielleicht eine Diazepam? Wird eingeloggt. Anschließend wartet er ab, ob und wie das bisher eingenommene Wirkung zeigt. Als er merkt, dass er schon etwas lahm ihn den Beinen wird, öffnet Daniel die Flasche Southern Comfort und den weißen Rum, trinkt das Glas leer, füllt halb und halb mit den neuen Getränken auf, probiert. Mmh, lecker!, entscheidet sich als nächstes für eine Tavor, muss bei dem Gedanken lachen, dass er gar nicht die Beipackzettel liest, wegen möglicher Nebenwirkungen… Er schaltet noch den Fernseher an, dann überwältigt ihn Müdigkeit. Daniel fällt in Schlaf, und er träumt, wieder im Keller zu sein. Hassan i Sabah ist dort, schüttelt missbilligend seinen Kopf, sagt „dafür habe ich Dich nicht zurückgeschickt“. George Rabenvater sitzt an dem niedrigen Tisch, der dort rot ist, angeschlossen an den Gedankenaufzeichnungsapparat, motzt „das hat sich in der Wirklichkeit doch alles ganz anders zugetragen“, worauf ihn eine der Georginas belehrt, dass es auf den Standpunkt, also auf die Betrachtungsweise ankäme, was Hübsch-Dich-zu-sehen fragen lässt, ob die Katze denn nun tot sei oder lebendig. „Das musst Du den unendlichen Affen fragen, der an einer Schreibmaschine hockt und den Hamlet schreiben soll.“ „Das ist doch Quatsch“, ruft der Rabenvater, „so etwas gibt es doch gar nicht!“ „Und uns gibt es dann auch nicht“, behauptet daraufhin Hübsch-Dich-zu-sehen, „weil wir sind nur eine Illusion…“ „...Oder eine Simulation“, fügt Georgina hinzu, „wie der Affe an der Schreibmaschine.“ „Ein Computerprogramm?“ „Welches zuerst von einem Programmierer erstellt werden muss, ja.“ „Ist Gott ein Programmierer?“, und Georgina dreht die Frage um: „Ist ein Programmierer Gott?“, was George „Hilfe, ich will hier raus“ brüllen lässt, woraufhin Daniel aufwacht. Ein Speichelfaden rinnt an seinem Kinn hinab. Er sieht zwei sich überlappende Fernsehbilder, die sich nach und nach zu Einem vereinen. Es zeigt das Rathaus der Kleinen Stadt, vor dem mehrere Einsatzwagen der Polizei stehen.
Am Samstag Abend hat Elias um Punkt 19 Uhr die Wohnung von Susha betreten, frisch rasiert und gegelt, mit einem in Packpapier eingeschlagenen Geschenk unter dem Arm. Susha muss nicht lange raten, was es sein könnte, nimmt es und entfernt vorsichtig das Papier, hält das Bild mit ausgestreckten Armen vor sich hin, betrachtet es, ist so überwältigt, dass sie nichts sagt. „Gefällt es Dir nicht? Dann bringe ich Dir ein anderes mit.“ „Oh, Elias!“ Am liebsten würde Susha den Künstler umarmen, in herzen, aber das geht schlecht, mit dem Gemälde in den Händen. „Wo soll ich es denn aufhängen?“ „Ich weiß nicht. Vielleicht in der Küche?“ „Ach Elias, nein“, wehrt Susha entrüstet ab, als handele es sich bei diesem Vorschlag um ein Sakrileg, geht voran ins Wohnzimmer, gefolgt von Elias, der bemerkt „das riecht aber lecker hier“, worauf die Köchin gar nicht reagiert, so beschäftigt ist sie damit, einen passenden Platz für das Bild zu finden. Schließlich entscheidet sie sich für die Wand gegenüber ihrem Hochbett, hängt dafür den dort befindlichen Druck von Mackes ‚Dame in grüner Jacke‘ ab. „Da kann ich es vom Bett aus betrachten.“ Wieder steht sie da und schaut, Elias schweigend neben ihr, bis Persephone kommt und an seinen Waden entlangschnurrt, er sich niederbeugt und das Tier begrüßt. „Das Essen! Zieh doch Deine Jacke aus. Du kannst sie mir geben. Wir essen hier. Trinkst Du Wein? Ich habe Rotwein eingekauft…“ Kurz darauf lassen sie sich die Fischpfanne schmecken, fijianisch, das Rezept habe sie von Khalil, und trinken dazu den Wein, Cabernet sauvignon, von wegen Whitewine with the Fish… „Du sollst doch nicht betteln!“ Das Katzentier schleicht bei dem Gast herum, darauf spekulierend, dass für sie etwas von dem Fisch abfällt. „Sie hat ihr Futter in der Küche stehen, und das weiß sie auch.“ „Aber eins darf sie doch, oder?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, streckt er Persephone seine linke Hand mit dem Stück gedünsteten Rotbarschfilet entgegen. Der Tiger schnappt sich die Beute, verzehrt sie mit sichtlichem Genuss. „So, das reicht denn aber auch…“ Zum Nachtisch gibt es Schoko-Vanillepudding aus dem Kühlfach vom Supermarkt, und danach noch mehr Wein, der die Schranken öffnet und die Zungen löst zum „Ich-erzähl-Dir-jetzt-von-mir“-Gespräch, in dem Elias erfährt, wie Susha Diego kennengelernt hat, und er sie mit dem Samadhitank vertraut gemacht hat. Auf die Frage von Elias, was dies sei, erklärt sie ihm die Möglichkeiten, und dass dadurch ihre Fähigkeiten freigesetzt worden seien. Nun bekommt Susha zu hören, woher Elias meint, seine Fähigkeit, Träume anderer Menschen zu sehen, erlangt haben könnte. Seine Geschichte beginnt damit, dass er seine Mutter nie kennengelernt hat. Elias wurde als Säugling von einer ausgebildeten Kinderschwester betreut, wuchs heran, bekam seinen Vater oft nur am Wochenende zu Gesicht, da dieser als Arzt in einer Klinik arbeitete und parallel dazu zum Doktor promovierte. Mit vier, fünf Jahren nahm sein Vater ihn zu den Großeltern mit, die in einem schlossähnlichen Anwesen mit einem großen Park lebten. Elias erinnert sich an einen steingefliesten Eingangsbereich, von dem aus man in viele Zimmer mit hohen Decken gelangte. Von der Eingangshalle führte eine Treppe in das obere Stockwerk, wo dunkle, schwere Holztruhen standen, in denen Leinenbettwäsche aufbewahrt wurde. Dort befand sich das Zimmer, in dem er schlief, wenn er bei den Großeltern übernachtete. „Und hast Du Dich gefürchtet, in dem großen Haus?“ „Nein, überhaupt nicht! Großvater und Großmutter waren an diesen Wochenenden immer präsent. Großmutter kochte für alle, und wir aßen in dem großen Speisezimmer, wo auch das Klavier stand, auf dem Grova an manchen Nachmittagen spielte. Manchmal war auch der Bruder von meinem Vater zu Besuch. Einmal bekam ich mit, wie sich die beiden über etwas stritten, bis ihre Mutter den Raum betrat und ihnen sagte, sie sollen damit aufhören…“ Elias nimmt eine Schluck aus dem Weinglas; es macht den Eindruck, als überlege er, wie er fortfahren solle. Susha sagt nichts, wartet ab. „Abends, wenn ich fertig war zur Nacht, kam Groma noch an mein Bett, und las mir Geschichten vor, oder erzählte auch welche…“ „Was waren das für Geschichten?“ „Eine, an die ich mich besonders gern erinnere, ist die, die von unseren Vorfahren handelt. Sie beginnt vor etwa 4000 Jahren in Ägypten, im Gebiet des heutigen Fayyum-Beckens. Dort hatten sich zwischenzeitlich Viehhirten angesiedelt, Nomaden, die von dem damals regierenden Pharao Sesostris dem Dritten sowie seinem Sohn, Amenemhet der Dritte, dazu angeheuert wurden, den Josefskanal anzulegen, um durch den Umbau eines Nil-Seitenarms die kontinuierliche Wasserversorgung des Fayyumbeckens und der dort befindlichen Stadt al Fayyum zu gewährleisten. Diese Nomaden nun beteten den Jupitermond Ganymed an, weil sie daran glaubten, die Nachfahren jenes Stammes zu sein, der einst die Ankunft einer Gruppe von Lebewesen vom Mond Ganymed erlebte. Diese hatten, eingeschlossen in einem Meteorit aus Eis, ihren Heimatmond verlassen, weil die den Mond umgebende Eisschicht aufgrund der sinkenden Temperaturen immer dicker wurde, und dadurch ihr Lebensraum, ein darunter befindlicher salzhaltiger Ozean, nach und nach verschwand, und sich auf eine unbestimmte Reise begeben, die auf dem Planeten Erde endete, in einem See, der, wenn auch nicht salzhaltig, den Kiemenatmern einen Unterschlupf bot, den sie nach und nach als ihr neues Zuhause akzeptierten. Die zu dieser Zeit dort ansässigen und vom Fischfang lebenden Menschen verehrten die Ganymedwesen als Götter, und die durch einen Gendefekt zeugungsunfähig gewordenen Männer erdachten einen Initiationsritus für die geschlechtsreif gewordenen Frauen, die in den See hinabtauchten und sich mit den männlichen Wesen vereinten. Die Frauen gebaren Kinder, die sowohl Kiemen- als auch Luftatmer waren…“ „Und solche Geschichten hat Dir Deine Großmutter erzählt?“ „Ja. Und ich fand sie total spannend, weil es nicht einfach Märchen waren, sondern, wie manche Sagen, vielleicht ein Stück Wahrheit in sich tragen.“ „Aber wie kam nun die Verbindung zu Deiner Großmutter zustande?“ will Susha von Elias wissen. „Durch die über all die Jahrtausende stattfindenden Nomadenbewegungen gelangten sie auch nach Norditalien, in die Lombardei. Und meine Großmutter gehört nun diesem alten Lombardischen Adelsgeschlecht an, welches meint, die Nachfahren jener Viehhirten zu sein, die damals in Ägypten gelebt haben.“ „Du musst jetzt gehen“, ruft Susha auf einmal aus. „Es ist schon zehn, und die Tür wird abgeschlossen!“ Etwas verwirrt leistet Elias Folge, wird von der Frau zur Haustür begleitet, wo sie noch eine Zeitlang verweilen, und Susha wundert sich, dass Hübsch-Dich-zu-sehen nicht auftaucht, „er ist immer sehr gewissenhaft bei der Ausführung dieser Pflicht“, und dann verabschiedet sich Elias mit einem zarten Wangenkuss, fragt, ob er Susha anrufen kann, seufzt bei der Antwort, dass ihnen Telefone nicht gestattet sind, und gibt seinem Ärger darüber Ausdruck, dass es nicht in seiner Macht steht, etwas an den Gegebenheiten zu ändern. Als Elias geht, winkt er noch den beiden in den am Straßenrand geparkten Auto sitzenden Wachtposten zu, die seine Geste mit einem verhaltenen Nicken erwidern, dann ist er auf einmal nicht mehr zu sehen, worüber Susha sich wundert, weil sie ihn in kein Auto oder auf ein Fahrrad hat steigen sehen. So kehrt sie in ihre Wohnung zurück und beginnt, den Tisch abzuräumen.
Der Moment der Stille
Schieß-mich-heute-tot tritt auf das Pedal der Fußmaschine, einmal, und der Schlägel trifft das Fell der Bass-Drum. Bumm! Das Geräusch wird von einem direkt vor der Trommel befindlichen Mikrofon aufgenommen, und weitergeleitet zu einem Cassetten-Vierspurgerät, dass an einem Konverter angeschlossen ist, der die eingehenden Hertzfrequenzen umwandelt. „Okay, jetzt die Snare!“ Der SHARP-Skin nimmt den Kopfhörer ab, richtet das Mikrofon neu aus, spult die Cassette ein Stück zurück, drückt die Aufnahmetaste, und gibt dem Schlagzeuger ein Zeichen. Fess! „Gut. Und jetzt noch das Becken.“ Faktor 4 sitzt in der Küche, die zum Senderaum des dort eingerichteten Piratenradios umfunktioniert worden ist, spricht in ein Mikrofon. „Es wird hier gleich die Ausstrahlung von Tönen erfolgen, die der so genannten Schumann-Frequenz nachempfunden sind. Damit soll eine Aktion unterstützt werden, mit der das Gleichgewicht der Erde wieder hergestellt werden soll...“ Im Türrahmen taucht ein hochgewachsener hagerer Herr in einem karierten Schlafanzug auf, gibt dem in seiner Küche sitzenden Faktor 4 das Daumen-hoch-Zeichen, und ist gleich darauf wieder verschwunden. „...Diese Töne sind für das menschliche Ohr gar nicht oder nur bedingt wahrnehmbar. Dennoch bitte ich alle, die diese Sendung hören, ihre Radios auf volle Lautstärke zu stellen.“ Der Moderator wirft einen Blick zu der Diele. Gerade schlägt Morgen-ist-eh-alles-zu-spät eine Saite seines Instruments an. „Die Musiker sind noch dabei, Vorbereitungen zu treffen. Bis es so weit ist, spiele ich die Arie aus der Oper La Wally von Alfredo Catalani.“ Die CD liegt ein, Faktor 4 drückt die Playtaste, und kurz darauf werden die Signale über eine an der Außenwand des Wohngebäudes befestigten Antenne hinaus in die Welt gesendet; zumindest in einen Umkreis von schätzungsweise 25 Kilometern. Faktor 4 verlässt seinen Platz, tritt hinaus in die Diele. „Toby?“ Der SHARP, gerade dabei, einen Akkord von Barflys Gitarre aufzunehmen, wendet sich ihm zu. „Was gibt`s?“ „Wie können wir sicher sein, dass diese Anlage sendet, ich meine, dass uns auch jemand hört?“ „Dass die Anlage sendet, darauf gebe ich Dir Brief und Siegel. Und ob uns jemand hört... Johann?“ Aus einem der anderen Räume tritt der Schlafanzugträger. „Hast Du Telefon hier im Haus?“ „Jojojo, klar.“ „Hat jemand die Telefonnummer von Sonja?“ Morgen-ist-eh meldet sich. „Magst Du sie anrufen und nachfragen?“ „Klar.“ Er tastet Glatzengirls Nummer ein, fragt „kann man das Telefon auf laut stellen?“ Johann zeigt es ihm, und aus dem Lautsprecher meldet sich die Stimme der jungen Frau. „Hi, hier ist Morgen-ist-eh. Ich frage nur mal nach, ob Du uns über Radio hören kannst.“ „Klar und deutlich! Gerade singt eine Frau was Klassisches...“ „Das ist aus dem Film 'Diva'!“ kräht Faktor 4 dazwischen. „Swan Lee ist bei mir, und noch zwei Leute.“ „Hey, habt ihr gehört? Vier Leute, die uns zuhören!“ „Nöö, das dürften ein paar mehr sein. Swan Lee hat ihren Schulkollegen bescheid gesagt, und die haben ihre Eltern informiert, und die wiederum die Nachbarn...“ „Also hört uns jetzt die halbe Stadt“, schlussfolgert Morgen-ist-eh scherzhaft, sieht, wie Faktor 4 etwas blass im Gesicht wird und wieder in der Küche verschwindet. „So, wir sind fertig“, lässt der SHARP verlauten. „Ich misch das eben noch ab, und dann schicken wir das Ganze... in den Äther...“ Morgen-ist-eh-alles-zu-spät verabschiedet sich von Sonja, die allen viel Erfolg wünscht und Grüße ausrichten lässt. „Und was machen wir jetzt?“ fragt Barfly, und bekommt „biertrinken“ von Schieß-mich-heute-tot zur Antwort, der sogleich mehrere Halbliterdosen aus seinem Rucksack holt und sie an die Anwesenden verteilt. Johann lehnt ab, Faktor 4 hat ein eigenes Getränk mitgebracht. „Ich bin soweit“, kündigt Toby an. Faktor 4 schiebt den Regler für den CD-Spieler herunter und den für das Mikrofon hoch. „Es erfolgt jetzt die angekündigte Übertragung einer Tonfolge, die im Hertzbereich der Eigenschwingungen des Planeten Erde liegt. Zu diesem Anlass werden alle Hörerinnen und Hörer gebeten, ihre Radiogeräte auf die höchste Lautstärke zu stellen…“ Toby drückt die Playtaste des Vierspurgerätes und gibt Faktor 4 das ok-Zeichen. Und damit beginnt die Übertragung.
William Rattrap und seine vier Begleiter stehen etwas verloren im Foyer des neu errichteten Rathauses der Kleinen Stadt herum, schauen hinauf bis zum zweiten Stockwerk, über dem sich ein Glasdach spannt, bestaunen den gläsernen Fahrstuhl, der sich gerade mit zwei Besuchern nach oben bewegt, überlegen, wie sie als nächstes vorgehen sollen. Einer der Fünf entdeckt einen Aushang, auf dem steht, dass ab 17 Uhr eine Ratssitzung stattfinden wird. „Wenn wir so lange warten, können wir die Politiker als Geiseln nehmen.“ Billy winkt ab. „Ich denke, es befinden sich mit den Angestellten jetzt genug Leute im Rathaus…“ Durch die Drehtür kommen ein Mann und eine Frau herein, beäugen etwas befremdet die Gruppe weißgekleideter Männer mit ihren schwarzen Kopfbedeckungen und Bundeswehrstiefeln, registrieren, dass einer von ihnen eine Waffe umgehängt hat, die aussieht wie eine Maschinenpistole, die anderen Fahrradketten und Baseballschläger bei sich tragen, kommen zu dem Schluss, dass es sich wohl um Leute eines angestellten Sicherheitsdienstes handeln wird, und gehen an ihnen vorbei die Treppe zum ersten Stock hinauf. „Ich werde mal gucken, wo sich der Hausmeister aufhält, der soll die Türen abschließen, dann kommt hier keiner mehr raus oder rein.“ In dem Moment fängt ein Mädchen zu weinen an, das, in einem Kinderwagen sitzend, sich zusammen mit seiner Mutter im Foyer aufhält. William schaut zu den beiden hin, checkt die Situation, geht auf sie zu. Die Mutter sieht diese merkwürdige Gestalt mit der Waffe sich nähern, interpretiert es ihrerseits, ruft „nein, bitte, ich… sie hört gleich wieder auf. Tun sie ihr nichts!“ Doch der Mann ist bereits an den Kinderwagen herangetreten, bückt sich, und hebt ein Stoffhäschen auf, das auf den Boden gefallen ist. „Guck mal, wer da ist.“ Mit diesen Worten hält er dem Kind das Häschen entgegen, das danach greift, und sogleich fröhlich zu jauchzen beginnt. „Immer schön darauf aufpassen“, mahnt Billy, und an die Mutter und an die Gruppe neugierig Umherstehender gewandt: „Wir brauchen doch alle Jemanden, der aufpasst, oder?“ Vereinzelt zustimmendes Nicken. „Wer sind Sie?“ wird William Rattrap da von der Mutter gefragt, und er antwortet mit den Schultern zuckend „ich denke, dass wir zu den Guten gehören. Die Waffe ist übrigens gar nicht echt, die ist aus Plastik…“ Da geht in dem Rathaus die Beleuchtung aus, Fahrstuhl und Drehtür funktionieren nicht mehr. „Das waren wir nicht, da haben wir nichts mit zu tun“, beteuert einer von Rattraps Leuten, und in diesem Moment fahren in der Fußgängerzone die Einsatzwagen der Polizei ein.
Mikesch der Treckernomade ist mit seinem Deutz einfach auf das Betriebsgelände des Elektrizitätswerks gefahren, hat den Schutzzaun durchbrochen und ist in die Transformatoren reingebrettert. Birdy, der mitgekommen ist, ohne von Mikesch genau in Kenntnis gesetzt worden zu sein, was er vorhat, („komm mit, wir machen jetzt eine action directe“) ist von dem Trecker abgesprungen, steht fassungslos auf dem gepflegten Rasenstück, und sieht den Fahrer inmitten eines Funkenregens auf dem Gefährt sitzen, sich zufrieden grinsend einen Kümmerling genehmigend. Beim Verwaltungsgebäude werden mehrere Fenster aufgerissen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter starren auf das Spektakel, brauchen etwas Zeit, um zu verinnerlichen, was dort soeben passiert ist. Gerade, als Mikesch den Deutz zurücksetzt, kommt ein Anzugträger auf Birdy zu, bleibt in sicherer Entfernung stehen, beginnt auf den Tapemixer einzubrüllen. Wer sie seien, was ihnen einfallen würde, ob ihnen klar sei, dass sie soeben die Stromversorgung von annähernd 50.000 Haushalten unterbrochen hätten…. Birdy steht da, hilflos und ziemlich verängstigt, will sich entschuldigen, da nähert sich der Treckernomade. „Jetzt beruhigen Sie sich mal, guter Mann. Es ist ja niemand zu Schaden gekommen. Sind Sie verheiratet? Haben Sie Familie? Kinder? Damit diese eine Zukunft erleben können, haben wir die Aktion hier durchgeführt. Damit das Gleichgewicht dieses Planeten sich wieder herstellen kann. Das ist nämlich gehörig in eine Schieflage geraten…“ Der Büromann glotzt Mikesch an, als hätte er gerade eine unheimliche Begegnung. „Frank? Die Polizei ist bereits verständigt. Und der Instandhaltungsdienst ist unterwegs.“ Frank nickt seinem Mitarbeiter zu, murmelt „vielleicht hättest Du auch gleich den Notdienst von der Klapse herbestellen sollen“, was Birdy in Tränen ausbrechen lässt. „Das war aber nun nicht nett von Ihnen“, bekommt Frank von Mikesch eine Rüge, und mit den Worten „hier, trinken Sie doch erstmal einen“ hält dieser ihm einen Kümmerling entgegen. Darauf fällt dem Mann nichts mehr ein. Wortlos dreht er sich um und stakst zum Bürogebäude zurück, gefolgt von dem anderen Angestellten. „Willst Du?“ Birdy nickt, nimmt die Miniflasche entgegen, leert sie, gibt sie Mikesch zurück, holt anschließend ein Stofftuch aus seiner Hosentasche, schnäuzt sich. Der Treckernomade klopft seinem Kompagnon die Schulter, sagt „alles wird gut. Glaube mir“, winkt den Leuten zu, die immer noch an den geöffneten Fenstern stehen, und einige von ihnen winken tatsächlich zurück.
George ist mit seiner Stute zu den Gärten geritten, hat dort Gurken und Tomaten sowie etwas Petersilie, Schnittlauch und Basilikum geerntet, mit Essig und Öl aus dem Hängeschrank in seiner Hütte daraus einen Salat angerichtet, ihn am Tisch sitzend verspeist. Gießen braucht er nicht, es ist ausreichend Regen gefallen; lediglich Unkraut jäten hält George für notwendig, bevor er zu den Stallungen zurückreitet, dort sein Pferd und die der anderen versorgt. Als er aus dem Stall hinaustritt, schaut er hinauf zum wolkenverhangenen Himmel, spürt auf einmal dieses ihm bekannte, aber schon lange nicht mehr wahrgenommene Kribbeln, und dann schlägt er mit den Flügeln, steigt auf, wundert sich, ist überrascht, dass es auf einmal wieder funktioniert, kreist über den Häuserblocks, den Wind im Gefieder spürend, möchte am liebsten weiter hinauffliegen, zu den Wolken und weiter, doch er besinnt sich, landet beim Eingang zu ihrem Wohnblock, drückt die Glastür auf, eilt die Treppe hinauf zu seiner Wohneinheit, schreibt das eben Geschehene auf, kehrt zurück. „Georgina!“ Er sieht sie vor sich im Wohnzimmer stehen, sie lacht ihn an, deutet auf die Musikanlage. „Hörst Du das? Es hat angefangen.“ „Ja, ich weiß. Komm, wir müssen uns zu den Anderen begeben und das Siegel des Salomon bilden!“ Georgina ergreift seine dargereichte Hand, und gemeinsam treten sie hinaus auf den Flur, gerade in dem Moment, als Khalil aus seiner Wohnung kommt. „Der Moment der Stille hat eingesetzt“, ruft er ihnen entgegen. „Zeit, hier zu verschwinden!“ „Aber wir müssen das Siegel bilden!“ „Das geht nicht mehr. Hübsch-Dich-zu-sehen hat sich umgebracht.“ „Oh nein! Und was jetzt?“ „Ihr müsst das Haus verlassen!“ „Was ist mit Dir?“ „Ich habe noch etwas zu erledigen.“ „Weiß Susha bescheid?“ „Ich denke schon, ja. Und nun beeilt euch. Es kann jederzeit wieder vorbei sein.“ „Werden wir in Kontakt bleiben?“ fragt George, und erhält als Antwort „ganz bestimmt. Durch unsere Traumwelt.“ Er und Georgina geben Khalil eine winkende Hand, eilen die Treppe hinab, und verschwinden durch die Hintertür. Khalil steht dort im Flurbereich und lauscht. Er hört das Geräusch einer Tür, die geöffnet wird. Es kommt von der Wohnung, die sich eine Etage höher befindet und welche über eine Holzstiege zu erreichen ist. „Ich freue mich, dass Du wieder zurückgekehrt bist…“
Auch Elias hat es mitbekommen, dass da etwas geschieht, wenn auch nicht ganz klar ist, woher. Ob einer der Geheimdienstleute geplaudert hat, oder über ein Telefongespräch mit seinem Vater, vielleicht. Sofort hat er sich zu Susha begeben, und auch die weiß es, klar, Gaia selbst hat zu ihr gesprochen. Auf dem Plattenteller drehen sich die Moody Blues. „Und, was willst Du nun tun?“ Susha strahlt den Jungen an, steht dicht vor ihm, ergreift seine linke Hand, küsst ihn ganz sanft auf die Lippen, sagt „ich will, dass Du mich liebst“, und führt Elias zu ihrem Hochbett. Beide entledigen sich ihrer Kleidung, der Junge ist verlegen, und Susha merkt´s, streichelt seine Wangen, küsst ihn wieder und wieder, und auch er streichelt sie, küsst ihren Hals, fasst ihre Brüste, wird steif. „Komm mein Liebster, komm“, flüstert Susha, und sie klettert vor ihm die Leiter hinauf, und er beißt ihr sanft in den Po, was sie auflachen lässt. Auf dem Bett liegend küsst Elias ihre Füße, dann die Vagina, am Anfang etwas ungeschickt, doch Susha gefällt`s, und dann fordert sie ihn auf, sich auf den Rücken zu legen, und sie steigt auf, lässt seinen bereitstehenden Schwanz in sich hineingleiten. Und auf einem der Sitzkissen liegt Persephone, die Katze, sich das Fell sauberleckend, und kümmert sich überhaupt nicht, was die beiden Menschlein dort miteinander anstellen. „...Ich hatte gehofft, Dir sagen zu können, dass sich etwas geändert hat, nach all den Jahren…“ Daniel Mauro steigt die Stufen der Treppe hinab, reicht dem Daheimgebliebenen die Hände. „Mir kam die Zeit gar nicht so lange vor, vielleicht, dass einige Wochen vergangen seien…“ Darüber zeigt sich der Mann, der sich den Namen Khalil Samiri gegeben hat, erstaunt, meint, dass sie hier in der Traumwelt andere Erfahrungen gemacht hätten, worauf sein Gegenüber nicht weiter eingeht, stattdessen wissen will, wie die Geschichte weitergegangen ist. Khalil erzählt ihm daraufhin von seinen Zusammentreffen mit George, Georgina, Hübsch-Dich-zu-sehen, mit Susha von den drei Ebenen, die einen Kontakt mit Diego Balanza hergestellt hat, den Nigromanten und der Geheimgesellschaft, die ihre Aktivitäten unterbinden sollten und sie hier gefangen hielten. „Ich werde die angenommene Identität behalten wollen“, spricht Khalil, dem Daniel zustimmt. Auch er will sich zukünftig als Khalil Samiri unter den Menschen bewegen, als Nächstes in den Keller schauen um zu sehen, wer sich dort noch alles aufhält. „Ach, ehe ich´s vergesse…“ Aus der Innentasche seiner Jacke holt er den Revolver hervor, den Khalil bereits bei ihrem Zusammentreffen in dem Schlafzimmer gesehen hat, und übergibt ihn seinem Gegenüber. „Ist der echt?“ „Was? Ja. Geladen mit jetzt noch vier Patronen. Du wirst ihn doch brauchen wollen bei dem Zusammentreffen mit diesem… Zwicker?“ Khalil hält die Waffe in seiner rechten Hand, schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, nein. Ich dachte, es wäre vorbei.“ Dem stimmt sein Doppelgänger zu. „Die Festsetzung ist beendet, ja. Die Anweisung kam von ganz oben, den Grund weiß ich nicht. Vielleicht hat ein Umdenken stattgefunden, oder es gab einen Wechsel innerhalb der Führungsebene. Zwicker aber will es zuendebringen, von ihm aus alleine. Bei ihm sitzt die Abneigung uns gegenüber so abgrundtief…“ Daniel Mauro bewegt bedauernd seinen Kopf, „...und ich kann nicht einmal sagen, warum dies so ist.“ Khalil empfindet eine tiefe Traurigkeit über die vernommenen Worte, sagt „ich werde hier auf ihn warten“, verabschiedet sich von dem Wiedergekehrten, sieht ihm nach, und geht in seine Wohnung zurück.
Marc und Alexander sitzen in der Diele von dem in die Jahre gekommenen Bauernhaus, der Hippie mit einer Bierflasche in der rechten Hand, aus der er ab und an einen Schluck nimmt. Elwood, mit einem Verband um der Schulter, hat bis eben noch den Klängen aus den Lautsprecherboxen gelauscht, die zu vernehmen von den im Raum Anwesenden nur er in der Lage gewesen ist. Dabei hat er ab und an ein freudiges Winseln von sich gegeben oder auch mal gebellt, während sein Schwanz vor Aufregung oder auch Begeisterung auf den Boden klopfte. „Die offending Humans geben ihr erstes Konzert, und nur Tiere sind in der Lage, es zu hören“, hat Marc die Situation kommentiert, und dann, an den auf einem Plastikgartenstuhl sitzenden Alex gefragt „glaubst Du, es wird funktionieren?“ Alexander Tagthetruth überlegt einen Moment, was er darauf antworten wird. „Ja, ich glaube daran. An einen Gott habe ich nie geglaubt, oder an ein Leben nach dem Tod, aber an das, was ich in den letzten Tagen erlebt habe, glaube ich…“ Die Übertragung der Töne endet, die Stimme von Faktor 4 donnert durch den Raum, Marc springt von dem Sofa auf, dreht die Anlage wieder leiser. „...Und nun hört ihr Aus der Neuen Welt von Antonin Dvorak.“ Es erklingen die ersten Töne der Symphonie. „Aber es waren doch nur Träume gewesen, oder?“ Alex bewegt seinen Kopf hin und her, lässt sich wieder Zeit für eine Antwort. „Ja, es waren wohl nur Traumbegegnungen gewesen. Vielleicht wie so etwas, an das die australischen Ureinwohner glauben.“ Marc nickt, trinkt sein Bier aus, stellt die Flasche zurück in den Kasten, deutet auf die Limonade in Alexanders Händen. „Hast Du noch?“ Tagthetruth nickt, die Tür wird geöffnet, und zwei Gestalten treten ein, im Licht der oben an der Decke angebrachten Leuchtstoffröhre zunächst nur als Schemen erkennbar. „Guten Abend. Ich hoffe, wir stören nicht“, spricht die Frau, und Elwood springt auf, läuft ihr entgegen, begrüßt sie mit einem Bellen. „Na, Du tapferer Kerl“. Die Frau beugt sich zu dem Hund hinab und fängt an, ihn zu knuddeln. „Wir konnten Deine Signale wieder empfangen“, sagt der Mann, „und haben uns entschlossen, hierher zu kommen.“ Alex ist aufgestanden, geht auf die Beiden zu. „Ich freue mich so, euch zu sehen“, und sich zu dem Hippie umwendend „ich stelle vor: Georgina Taubenfuß und George Rabenvater.“ Marc staunt die zwei an. „Und ich dachte, ihr wärt… oder bin ich jetzt…“ „Manchmal kann man das gar nicht so genau sagen“. Georgina ist auf den immer noch perplex auf dem Sofa Verharrenden zugegangen, gibt ihm die Hand. „Ich bin übrigens Marc“, fällt dem ein, „und mein Hund heißt Elwood“, dann „wollt ihr vielleicht was trinken?“ „Wenn Du noch ein Bier übrig hättest.“ „Für mich auch eins, bitte“, schließt George sich an, und Marc öffnet zwei Flaschen, überreicht sie den Gästen, bietet ihnen das Sofa als Sitzgelegenheit an, doch Georgina lehnt ab, findet eine Holzkiste und setzt sich drauf, George nimmt auf dem wackeligen Holzstuhl platz. So sitzen die Vier da, rekapitulieren die Ereignisse der letzten Tage, während im Hintergrund Dvoraks Symphonie spielt, Elwood lässt sich von Georgina streicheln, und diese ist es dann, die sich mit ihrem Anliegen an Marc wendet. Nachdem sie nun das Haus verlassen haben, seien sie momentan ohne Bleibe, müssten sich erst einmal neu orientieren, und ob es möglich wäre, dass sie vorübergehend hier Unterschlupf finden könnten, so lange, bis… „Klar, selbstverständlich“, willigt der Hippie ein. „Im oberen Stock befinden sich noch drei Zimmer. Allerdings ist die Möblierung etwas karg. Betten stehen da, und Schränke gibt es dort auch. Auf dem Dachboden stehen noch Stühle herum, die wollte ich längst schon runtergeholt haben.“ Georgina und George zeigen sich zufrieden, fragen nach der Miete, doch Marc wehrt ab. „Vielleicht ab und an den Kühlschrank und die Speisekammer auffüllen…“ Aus den Lautsprecherboxen ist die Stimme von Faktor 4 zu hören. „Wir beenden jetzt die Übertragung, hoffen, es hat euch Spaß gemacht, und vielleicht hören wir uns demnächst wieder…“
The Times, they are a-changin
Heute, am Montag Abend, haben nur wenige Gäste den Weg in Detes Feinschmeckerrestaurant gefunden. Es hat sich herumgesprochen, dass die Qualität nachgelassen haben soll, seit einer der Köche gekündigt hat. Auch war bei dem Chef die Luft raus, wie man so sagt. Kein Klönschnack mehr mit den Stammkunden, keine zotigen Sprüche beim Servieren des Grappa, das merkt man, und dann wird halt eine andere Lokalität aufgesucht. Ciao, Bello! Am Einzeltisch links vom Eingangsbereich sitzt noch ein Gast, der hatte sich was Einfaches bestellt, Nudelauflauf mit Lachs und Broccoli in Käse-Sahnesauce. Nun ist er dabei, seinen dritten Rotwein zu verköstigen, lauscht dabei der vom Band kommenden Musik, ein Mix, vom Sohn eines regelmäßig einkehrenden Paares zusammengestellt, wie Dete sagte. Die drei Angestellten haben vor einer halben Stunde Feierabend gemacht; der verbliebene Koch, die Serviererin, sowie die neu eingestellte Küchenkraft. „Und, DeeDee, hat´s geschmeckt?“ Ehrlich zufriedenes Nicken. „Und satt geworden bin ich auch.“ „Noch nen kleinen Absacker?“ „Ooch, da sag ich nicht nein.“ „Grappa?“ „Gerne.“ Der dort sitzende Mann ist ein paar Jahre älter als der Restaurantinhaber. Auf seinem vormals zu einer Glatze rasierten Kopf hat er nun Haare lang wachsen lassen. Der als DeeDee titulierte und Dete kennen sich noch aus den OSHO-Tagen. Dete war nur kurz dabei, verließ die Gruppe, als er Guiseppe, einen glutäugigen Italiener, kennenlernte, sich Hals über Kopf in ihn verliebte, und kurz darauf sich entschloss, das Restaurant zu übernehmen. Der Kontakt zwischen den Beiden blieb bestehen, und ab und an, wenn seine Zeit es zuließ, speiste DeeDee hier. Dete stellt das Glas auf den Tisch. „Wohl bekomm’s!“ „Was, Du trinkst keinen mit? Dete, was ist los? Einen auf die alten Zeiten: Avanti Ashanti!“ Dete muss lachen, schenkt für sich auch ein Glas ein, holt einen Stuhl an den Tisch, setzt sich dazu, beide trinken, Schlückchenweise, den Schnaps. „Willst Du´s mir sagen, wo der Schuh drückt?“ Dete sortiert seine Gedanken, bevor er antwortet. „Ernie der Koch hat aufgehört, weil er es irgendwann nicht mehr ertragen konnte, dass nicht aufgegessene Gerichte wieder zurückkamen. Irgendwann hat er sich im Speiseraum hingestellt und seiner Wut freien Raum gelassen, warum er all diese Gerichte kreiert, wenn die Hälfte davon im Abfalleimer landet.“ Dete lacht kurz auf. „Gee hat ihnen die Spitznamen verpasst, Ernie und Bert. Das hat mich am meisten geschmerzt, als sie nicht mehr wiedergekommen ist. Ich weiß bis heute nicht genau, warum…“ Er deutet auf die Schnapsgläser. „Noch einen?“, was von dem Gast nicht abgelehnt wird. Dete füllt ihre Gläser auf. „Auf uns.“ „Auf das Leben.“ Wieder wird der Gebrannte in kleinen Schlucken genossen, dann beginnt der Gast unvermittelt zu erzählen. „Es gibt da ein Antiquitätengeschäft, nur ein paar Straßen weiter, ganz in der Nähe…“ Dete hört gespannt zu, das interessiert ihn. „Es gehört meinem alten Herrn. Er wollte, dass ich es weiterführe, aber…“ Der Mann macht eine unbestimmte Handbewegung. „Meine Interessen sind da etwas anders gelagert.“ „Dein Vater ist doch nicht etwa…“ „Nein, nein! Es geht ihm gut. Aber er hat sich dazu entschieden, in den Ruhestand zu gehen, nach und nach alle Verpflichtungen abzugeben, sich nur noch der Rosenzucht und seiner Bibliothek zu widmen.“ Er lässt eine kurze Pause, dann „was meinst Du? Möchtest Du Dir den Laden mal anschauen?“ „Jetzt?“ Der Gast leert sein Schnapsglas, nickt. „Ja gut, machen wir uns auf den Weg...“